Letzte Woche hat die Börse einen Ausverkauf gestartet, der durch Rezessionsängste getrieben wird. Investoren sind der Meinung, dass die US-Notenbank Fed «behind the curve» ist, also zu lange mit der Zinswende gewartet hat. Dadurch wird das Risiko einer harten Landung der US-Wirtschaft erhöht. Als Folge davon verzeichnet selbst der als defensiv geltende Swiss Market Index (SMI) seither einen Verlust von mehr als 5 Prozent. Hingegen sind «Safe Haven Assets» wie der Schweizer Franken oder Gold gefragt. cash.ch hat sechs Experten um ihre Meinung zur aktuellen Marktlage gebeten. Hier eine Übersicht.
Christian Gattiker, Chef Research der Bank Julius Bär:
Christian Gattiker betrachtet den Rücksetzer als eine Korrektur einer zuvor übertriebenen Stimmung und Positionierung in einem saisonal bedingt dünnen Liquiditätsumfeld. «Bis Mitte Juli waren die Erwartungen an die Zugpferde der New Economy extrem hoch, dann setzten grösstenteils enttäuschende Berichte ein. Ein mögliches Nachlassen der US-Wirtschaft (ISM, Arbeitsmarkt) trug dazu bei, einen starken Rücksetzer auszulösen.» Die Risiken einer Rezession in den USA seien noch nicht erheblich gestiegen - die Ökonomen von Julius Bär haben sie lediglich von 15 Prozent auf 25 Prozent angehoben. Es gebe noch nicht die typischen Anzeichen eines sich selbst verstärkenden Abschwungs in der Volkswirtschaft.
Für den Leiter Research der Bank Julius Bär bleiben die nächsten Vorlaufindikatoren (ISM), die Inflationsdaten - also der Spielraum der Fed für Zinssenkungen - und weiterhin die Arbeitsmarktzahlen von Bedeutung. «Ab jetzt gilt wieder: ‹Bad is bad›, oder anders ausgedrückt, gute Wirtschaftsdaten sorgen für eine Erholung an den Börsen, schlechte dämpfen diese. Das ist das Gegenteil von dem, was im ersten Halbjahr der Fall war, als gute Zahlen als Hindernis für Zinssenkungen betrachtet wurden», erklärt Gattiker.
Diesmal dürfte die Korrektur komplizierter sein als bei einfachen Korrekturen in einem Bullenmarkt, da die Situation über das Stimmungsbild hinaus verworren ist, so Gattiker. Die Unsicherheiten der US-Wahlen und geopolitische Unwägbarkeiten sind nur zwei Beispiele dafür. «Es ist gut möglich, dass man selbst nach einer kurzen Erholung nach all der Panik weiterhin Geduld und Standfestigkeit benötigt. Dabei sollte man an Qualitätsaktien festhalten und keine grösseren Umschichtungen im Portfolio vornehmen.» Doch selbst ein Evergreen wie Roche wurde von der Bank Julius Bär nach dem jüngsten Aufschwung herabgestuft, und es wird hier keine unmittelbare Kaufgelegenheit mehr gesehen.
Matthias Geissbühler, Anlagechef Raiffeisen Schweiz:
«Der japanische Aktienmarkt steht unter erheblichem Druck, da er im Mittelpunkt von Carry Trades steht. Aufgrund der Zinserhöhungen der Bank of Japan - im Gegensatz zu den westlichen Zentralbanken - ist der Zinsunterschied zu anderen Währungsräumen gesunken. Dies führt zu einer Kaskade von Rückabwicklungen von Carry Trades», sagt der Anlagechef von Raiffeisen. Auch der Nasdaq-Index steht unter starkem Druck. Dort zeichne sich ein Platzen der AI-Blase ab, da viele Technologieunternehmen die hohen Erwartungen an die Quartalszahlen nicht erfüllen konnten.
Gleichzeitig stagniert die Konjunktur in Europa und zeigt keine Anzeichen einer Erholung. Die inverse Zinskurve zeigt schon seit längerem eine bevorstehende Rezession in den USA an, der Abschwung wird nun zunehmend am Arbeitsmarkt ersichtlich. «Das Rezessionsrisiko in den USA ist real und erhöht», so Geissbühler. Dazu komme, dass der August und September saisonal die schwächsten Börsenmonate sind. Von den Notenbanken ist derweil bis im September wenig zu erwarten. Dann dürfte aber auch die US-Notenbank Fed ihre Zinswende einläuten.
«Es ist aus unserer Sicht noch zu früh für breite Zukäufe. Ganz nach dem Motto: ‹Never catch a falling knife›», warnt der Anlagechef von Raiffeisen. Dennoch sollten Anleger in den kommenden Tagen eine Einkaufsliste bereithalten, um gezielt und selektiv bei weiteren Rückgängen zuzukaufen. «Der Fokus sollte dabei auf qualitativ hochwertigen Unternehmen wie ABB, Roche, Nestlé, Sandoz oder Tecan liegen», sagt Geissbühler.
Jörn Spillmann, Aktienstratege bei der ZKB:
«Der von uns erwartete Rücksetzer ist eingetreten. Die Gewinnprognosen der Finanzanalysten passten einfach nicht mehr zu unserem Konjunkturausblick: Wenn sich die Konjunktur langsam abschwächt, ist kaum mit steigendem Gewinnwachstum zu rechnen», erklärt Spillmann. Genau das wurde jedoch am Markt eingepreist. Der MSCI Welt stieg bis Mitte Juli um rund 17 Prozent, was mehr als doppelt so viel ist wie historisch in einem durchschnittlichen Aktienjahr zu erwarten wäre. Die notwendigen Auslöser für eine Marktkorrektur kamen durch enttäuschende Unternehmensberichte (Amazon, Intel, McDonald's, Procter & Gamble), den ISM-Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe und den Arbeitsmarktbericht in den USA.
Laut dem Aktienstrategen der ZKB wird die Volatilität vorerst hoch bleiben. Die nächsten Meilensteine für Anleger sind der US-Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor heute, die US-Konsumentenpreise nächste Woche und die Gewinnprognosen grosser Konsumunternehmen in Bezug auf die Gesundheit der Konsumenten sowie der Gewinnausweis von Nvidia im Zusammenhang mit dem Thema «Künstliche Intelligenz». «In geldpolitischer Hinsicht sollten Anleger in diesem Jahr auch wieder verstärkt auf das Treffen der Zentralbank in Jackson Hole achten. Dort könnte Fed-Chef Jerome Powell die Investoren auf die Zinsentscheidung im September vorbereiten», fährt Spillmann fort.
«Sofern die US-Konjunktur, wie von uns erwartet, nicht in eine Rezession abgleitet, ist dieser Rückgang eine Gelegenheit, bei niedrigeren Bewertungen wieder in den Markt einzusteigen. Das grösste Potenzial bieten dabei Unternehmen, die am stärksten abgestraft wurden, aber nach wie vor ein gesundes Gewinnwachstum aufweisen», so der Chefstratege. Regional gesehen ist mit einer überdurchschnittlichen Erholung an technologielastigen Märkten in Asien zu rechnen.
Daniel Hartmann, Chefökonom beim Vermögensverwalter Bantleon:
«Bislang galt für Investoren die Devise: ‹bad news are good news›. Schlechte Konjunkturdaten haben demnach Spekulationen über Zinssenkungen angeheizt, und sinkende Zinsen sind grundsätzlich eine positive Nachricht für die Aktienmärkte», sagt der Chefökonom von Bantleon. In den letzten Tagen seien jedoch die geballten negativen Wirtschaftsdaten zu viel des Guten gewesen. Diese reichten von weltweiten Rückgängen in den Einkaufsmanagerindizes bis hin zum enttäuschenden US-Arbeitsmarktbericht vom Juli. Das Risiko eines harten statt eines weichen Landings wird daher von Investoren wieder stärker gewichtet.
Allerdings sind die konkreten Anzeichen für eine Rezession in den USA laut Hartmann immer noch sehr dünn. «Es gibt derzeit eigentlich keinen Grund zur Panik», betont er. Das gilt umso mehr, als der S&P 500 zwischen Ende Oktober 2023 und Mitte Juli 2024 um 38 Prozent zulegte. Ein Rücksetzer von 10 Prozent ist daher kein Beinbruch, sondern Teil einer gesunden Konsolidierung. Die Hausse scheint jedoch vorerst vorbei zu sein, und Anleger müssen sich auf volatilere Zeiten einstellen. «Wir erwarten für das 2. Halbjahr 2024 eine deutliche Abkühlung der US-Wirtschaft, da vor allem der Rückenwind für die Konsumnachfrage nachlässt. Ob daraus eine Rezession entsteht, ist derzeit noch unklar», erklärt Hartmann. Normalerweise bedarf es dafür eines zusätzlichen Auslösers, wie beispielsweise dem Immobilienmarkt oder dem Bankensektor.
«Wer mit einem längeren Abschwung rechnet, sollte eine defensivere Positionierung wählen und Aktien aus den Bereichen Versorger, Pharma oder Nahrungsmittel in Betracht ziehen», empfiehlt der Chefökonom von Bantleon. Wenn die Anzeichen für eine Rezession zunehmen, sollte die Aktienquote konsequent reduziert werden. Aufgrund der konjunkturellen Risiken sieht Hartmann weiterhin mehr Chancen bei Staatsanleihen und anderen konservativen Anleihensegmenten wie Pfandbriefen als bei Aktien im zweiten Halbjahr.
Anastassios Frangulidis, Chefstratege von Pictet Asset Management:
«Die Korrektur, die nach den schwachen ISM Manufacturing und Payrolls Daten erfolgte, wurde von einer stärkeren Performance defensiver Sektoren im Vergleich zu zyklischen Sektoren begleitet», sagt der Chefstratege von Pictet Asset Management. Dies zeige, dass die Märkte mit einer schwächeren Entwicklung der globalen und insbesondere der US-Wirtschaft rechnen. Das Problem dabei ist, dass die starke Korrektur an den Aktienmärkten nicht nur das Verhalten der Investoren, sondern auch das der Konsumenten negativ beeinflusst. Dieser negative Vermögenseffekt wird laut Frangulidis das Verhalten der US-Konsumenten negativ beeinflussen. Daher ist in nächster Zeit mit einer stärkeren Reaktion der US-Notenbank Fed zu rechnen.
«Etwa 400 Unternehmen des S&P 500 haben bereits über ihre Gewinne und Umsatzzahlen berichtet. Dadurch wird der Einfluss der Gewinnperiode auf den Markt geringer», erklärt Frangulidis. Stattdessen wird der Markt sich umso mehr auf Konjunkturdaten konzentrieren. Dazu gehören nicht nur die heutigen Zahlen zum US-Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor, sondern auch die Arbeitsmarktzahlen und die Konsumdaten der nächsten Wochen. «Es ist wichtig für Investoren, dass sie bei grösseren Preiskorrekturen ihre langfristig ausgerichtete Anlagestrategie nicht aufgeben und nicht in grossem Umfang Aktien verkaufen», rät der Chefstratege. Dies gilt insbesondere für den defensiven Schweizer Aktienmarkt, der in dieser Zeit attraktiver ist als viele andere zyklische Aktienmärkte.
Thomas Fischer, Anlagechef der Berner Kantonalbank:
Die Börsenstimmung war für Thomas Fischer bis in den Juli hinein euphorisch. Gleichzeitig sind der August und September in der Regel durchwachsene Börsenmonate, auch in Bezug auf die verfügbare Liquidität - Steuerzahlungen fallen an und die Bilanzbereinigung bei Anlagefonds dauert bis in den September. «Eine Konsolidierung war überfällig», fasst der Anlagechef der Berner Kantonalbank die Situation zusammen. Einige durchwachsene US-Konjunkturdaten haben sicherlich zur Verunsicherung beigetragen. «Die Erwartung einer Rezession war verschwunden, jetzt ist sie zurück - die Erwartung!»
Fischer schliesst eine Rezession nicht vollständig aus, aber das Basisszenario sieht eine Erholung ab dem vierten Quartal 2024 oder dem ersten Quartal 2025 vor. Entscheidend für die Finanzmärkte ist jedoch immer die Entwicklung der Erwartungen. «Ein Wechselspiel zwischen euphorischen und zu pessimistischen Erwartungen gehört einfach zum Alltag an den Finanzmärkten», fügt Fischer hinzu. Dabei werden die US-Konjunkturdaten nun eine zentrale Rolle spielen, besonders wenn sie enttäuschend ausfallen - man sucht nun Bestätigung für die Ängste. «Die Federal Reserve wird ab September 2024 Leitzinssenkungen vornehmen. Spätestens dann wird es an den Aktienmärkten eine Erholung geben», prognostiziert Fischer.
Der Anlagechef ist der Ansicht, dass Rücksetzer zum Kauf genutzt werden sollten. Ab einem Abfall von etwa 10 Prozent ist eine wirtschaftliche Abschwächung bereits in den Kursen eingepreist - ein gerundeter Median für die letzten 50 Jahre. Eine Rezession ist ab einem Rücksetzer von 15 Prozent oder mehr eingepreist. «Das bedeutet, dass kritische Niveaus bei rund 5100 Punkten beziehungsweise 4800 Punkten für den S&P 500 erreicht werden», erläutert Fischer. Als breit diversifizierte Investition ist ein Engagement oft eine gute Lösung für eine Erholung. Bei Einzeltiteln sieht Fischer Nestlé angesichts der Unsicherheiten als ein gutes Investment an. VAT ist etwas risikoreicher, hat aber viel Potenzial bei der zukünftigen Erholung. Bei Straumann könnte eine Investition nach den Zahlen interessant sein, da es sich um Qualitätsaktien handelt.
2 Kommentare
Die US Notenbank ist über das Ziel hinausgeschossen, wie immer. Nun wird die Korrektur echt schwierig, das falsche Signal ist gesetzt.
Diese Korrektur hat aber mal gar nichts mit der FED zu tun.
Ausgelöst vom japanischen Markt, der durch seinen Kurssturz die Carry Traders unter Zugzwang gesetzt hat, hat eine weitere Rotation stattgefunden. Im Sog des Kurssturzes an der Tokioter Börse haben auch die anderen Börsen insb. die erheblich übertriebenen Bewertungen der Big Techs korrigiert. Und dort sind wir noch nicht am Ende: Solange die Bigtechs bei rückläufigem Wachstum immer noch P/Es von 35+ haben, ist noch immer erheblich Fantasie drin, für die es keine faktische Grundlage gibt.
Was die Fed betrifft: Sie macht einen wunderbaren Job, genauso wie die SNB. Die Inflation in denr Staaten ist noch nicht nachhaltig genug gesunken, um die Zügel lockerer zu lassen. Die gierigen Kleinanleger glauben, die Fed sei dazu da, für stetige Gewinne an den Börsen zu sorgen, damit auch der dümmste Kleinanleger die risikoreichsten Papier kaufen kann und einen sicheren Gewinn macht. Dafür ist die Fed aber nicht da. Ihre Aufgabe ist es, die Konsumenten und die Arbeitsplätze zu schützen. Und das heisst in erster Linie mal, die Inflation zu bekämpfen.