«Wir wissen nicht, was wir von ihm zu erwarten haben», sagte die Witwe des verstorbenen russischen Oppositionellen Alexej Nawalny in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. Sie fügte hinzu: «Wahrscheinlich würde er es tun.»

Es sei wie zu Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine: Sie hätte damals auch nicht mit dem Angriff Putins gerechnet, weil es derart starke Verbindungen zwischen den beiden Ländern gebe. «Aber er hat beschlossen, es zu tun. Er macht den Menschen Angst und hält sie in Angst. Niemand weiss, was Putin morgen machen wird.» Sie sei sich nicht sicher, ob der Kremlchef wirklich eine «starke Strategie» habe.

In der Festnahme mehrerer mutmasslicher russischer Spione sieht Nawalnaja ein weiteres Zeichen dafür, dass Putin seinen Kampf längst auch im Herzen Europas mit allen Mitteln führt. «Putin hat nicht jetzt damit angefangen - er macht es schon die ganze Zeit. Er beginnt Kriege, er tötet seine Gegner», sagte sie und fügte hinzu: «Ich bin immer davon ausgegangen, dass es in Europa viele russische Spione gibt, das ist offensichtlich. Für mich ist das deshalb nun nichts Neues.»

Nawalnaja bedauerte vielmehr, dass Europa die von Russland ausgehenden Gefahren nicht schon viel früher benannt habe. «Mir wäre es lieber, wenn Europa dies viel häufiger und früher thematisiert hätte. Dann hätten wir wahrscheinlich einige Kriege und einige Morde verhindern können.»

In Bayern wurden am vergangenen Mittwoch zwei deutsch-russische Staatsbürger festgenommen, die für Moskau Ziele für mögliche Sabotageakte in Deutschland ausgekundschaftet haben sollen. Beide sitzen in Untersuchungshaft. In Polen liess der dortige Geheimdienst einen Mann festnehmen, der dem russischen Militärgeheimdienst angeblich bei der Planung eines Attentats auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj helfen wollte.

Entschlossener Kampf gegen Putin

Nawalnaja kündigte in dem dpa-Interview am Tegernsee erneut einen entschlossenen Kampf gegen Putin an - und forderte eine möglichst starke Unterstützung des Westens. Sie selbst habe keine Angst, betonte sie - auch wenn sie natürlich mit einem gewissen Risiko lebe. «Und dieses Risiko wird noch steigen, wenn ich gute Arbeit leiste», fügte sie hinzu.

Die 47-Jährige träumt davon, eines Tages nach Russland zurückzukehren. «Ich möchte in Russland leben. Meine Kinder träumen davon, nach Russland zurückzukehren. Ich möchte zum Grab meines Mannes gehen. Das ist mir sehr wichtig. Und ich hoffe, dass ich das sehr, sehr bald tun kann. Ich träume davon, so schnell wie möglich dorthin zu kommen.»

Ihr Mann, Alexej Nawalny, starb am 16. Februar nach Behördenangaben im Straflager mit dem inoffiziellen Namen «Polarwolf» in der sibirischen Arktisregion Jamal. Die Umstände seines Todes sind nicht geklärt. Nach Angaben von Nawalnys Team ist im Totenschein von «natürlichen» Ursachen die Rede. Nawalnys Angehörige sprechen von Mord. Seine Ehefrau wurde am Freitag am Tegernsee mit dem «Freiheitspreis der Medien» geehrt, der alljährlich beim Ludwig-Erhard-Gipfel vor Spitzenvertretern aus Politik und Wirtschaft verliehen wird.

Eine Lösung des Ukraine-Konfliktes sieht Nawalnaja derzeit nach eigenen Worten nicht. «Die ganze Welt versucht, einen Weg zu finden, um dieses Problem zu lösen, und niemand hat bisher einen Weg gefunden.» Es werde deshalb keine einfache Lösung geben. Sie hoffe auf eine Versöhnung zwischen Russen und Ukrainern. «Aber Putin hat beide Länder in eine Situation gebracht, in der es sehr schwierig sein wird, die Beziehungen wieder aufzubauen.»

Wann die Opposition in Russland gross genug sein könnte, um Putin zu destabilisieren, vermochte Nawalnaja nicht vorherzusagen. «Ich hoffe wirklich und glaube, dass es viel früher passieren wird, als wir erwarten.» Niemand wisse, wann und warum dies passieren könnte. Aber viele Menschen seien schon jetzt müde vom Krieg. «Sie unterstützen den Krieg nicht, aber sie haben grosse Angst, dies laut auszusprechen, weil sie dies noch am selben Tag ins Gefängnis bringen könnte.» Sie hoffe deshalb, dass das russische Volk weitere Mobilisierungen von Soldaten nicht unterstütze. «Wenn die Regierung versucht, immer mehr Menschen für den Krieg zu mobilisieren, wird der Widerstand dagegen zunehmen.»

Nawalnaja betonte: Russland sei nicht Putin. «Es gibt viele Anti-Kriegs-Aktivisten und Anti-Putin-Aktivisten.» Und diese bräuchten «die Unterstützung aus dem Westen».

(AWP)