Angesichts der massiven Kursschwankungen bei Kryptowährungen und unsicheren Aussichten bei den beliebten Tech-Aktien ist der Schweizer Aktienmarkt langweilig. Aber die Börse hat einen gar nicht so langweiligen Mai hinter sich. Jedenfalls hat der Schweizer Blue-Chip-Markt den Rekordstand vom Februar 2020 endlich wieder erreicht, beziehungsweise übertroffen. 

Die Eigenheiten des Schweizer Marktes sind natürlich trotz der Rekordfahrt nicht verschwunden: Dominanz der sich zäh entwickelnden defensiven Aktien, Volatilität bei Biotech-Aktien und kleinen Finanzgesellschaften und stärkere Kursbewegungen bei zyklischen Industiewerten. Der Börsen-Mai gibt dennoch ein paar wichtige Hinweise für die nächsten Monate am Markt. Hier fünf Erkenntnisse.

1) Luxusgüter-Aktien auf den Kauflisten

Top-Aktien bei den gross kapitalisierten Titeln im Mai waren die Uhren- und Luxusgüterhersteller Richemont (+16,9 Prozent) und Swatch (+16,8 Prozent). Sie sind in der gleichen Branche und dürften beide von verbesserten Uhrenexportzahlen profitiert haben. Doch es sind auch recht unterschiedliche Unternehmen. Richemont setzt stark auf luxuriösen Schmuck und fast nur teure Marken, Swatch hat mehr Uhren im Umsatzkuchen und verkauft neben Luxusgütern auch Mittelpreis- und Billigprodukte, was in den vergangenen Jahren in Nachteil war.

Auch die Kurs-Historien sind verschieden. Der Richemont-Kurs ist bei knapp 110 Franken auf Rekordlevel, Swatch an der Börse - trotz eines 70-Prozent-Kursanstiegs seit dem Knick im März 2020 - auf 327 Franken immer noch fast die Hälfte wert als im Herbst 2013. In einer guten Position sind aber beide.

Die Kursgewinne der beiden Titel hat sich seit längerem angebahnt. Und wer auf sie setzte, hat recht bekommen. Richemont und Swatch profitieren beide davon, dass die Konjunkturaussichten weltweit deutlich besser geworden sind und auch noch dauernd besser werden. Manche Volkwirtschaften - auch dies hat sich in den vergangenen Wochen anhand von Konjunkturdaten gezeigt - haben unter der Krise weniger stark gelitten als am Anfang befürchtet. Und der Höchststand des Kurses bei Richemont ist derzeit kein Grund, von der Aktie des erfolgreichen Konzerns abzulassen. Und Swatch hat dank Effizienzsteigerungen und dem "Value"-Anstrich der Aktie an der Börse weiteres Potenzial.

2) Für SMI-Rekorde braucht es Lebenszeichen von den Defensiven

Während die Finanzwelt auf die Kurseinbrüche von Kryptowährungen starrte, kletterte der Schweizer Leitindex auf ein neues Rekordhoch. Vergangene Woche, am Dienstag, erreichte der Swiss Market Index (SMI) 11'305 Punkte. Damit es mit dem SMI weiter nach oben geht, muss die Gunst des Marktes wieder mehr in Richtung der Defensiven gehen.

Prozentuale Kursveränderungen der 20 SMI-Aktien im Mai (Grafik: Bloomberg).

Die wichtigen defensiven Pharmawerte Roche (+5,3 Prozent) und Novartis (+1,5 Prozent), die grossen Versicherer Swiss Re (+2,4 Prozent) und Zurich (+0,6 Prozent) sowie der Telekomkonzern Swisscom (+2,6 Prozent) haben sich in den vergangenen vier Wochen Lebenszeichen gezeigt. Vor allem der Roche-Kurszuwachs im Mai lässt hoffen. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer: Die viel weniger zuverlässigen Banken UBS (+5,2 Prozent) und Credit Suisse (+3,3 Prozent) liefen nicht unwesentlich besser oder schlechter als die Defensiven.

Die Märkte wollen bei diesen Aktien die Bremse bisher nicht richtig lockern. Und dies hartnäckig. Bei Pharma gibt es keine zwingenden Kurstreiber, bei den Versicherern herrscht ein latentes Misstrauen wegen möglicher Coronakosten (cash berichtete). Dabei haben Nestlé, Novartis, Zurich und Co so viele Vorteile: hohe Dividenden, stabiles Geschäftsmodell, unaufgeregter Kursverlauf. Längerfristig orientierte und auf Dividendeneinkommen ausgerichtete Anlegerinnen und Anleger bleiben dran – auch wenn sich die Kursgewinne nur langsam einstellen.

3) Wenn Finanzaktien, dann keine klassischen Banken

Die Credit Suisse leckt unter einem neuen Verwaltungsratspräsidenten die Wunden des Archegos-Debakels, die UBS streicht hunderte von Stellen. Bei den Banken kehrt keine Ruhe ein. Und damit herrscht auch keine verlässliche Aussicht auf höhere Kurse.

Die Privatmarkt-Anlagegesellschaft Partners Group (+5,3 Prozent) hingegen festigte im Mai ihre vorherrschende Rolle im SMI. Ein Drittel mehr wert als vor der Coronakrise, dürfte die Bewertung manche etwas unsicher stimmen. Ein Grund, die Aktie links liegen zu lassen, ist dies nicht. Aber auch im SPI ist eine Privatmarkt-Beteiligungsgesellschaft Spitzenreiter. Spice Private Equity (+53,5 Prozent) hat im Mai eine Beteiligung in England verkauft und eine andere Beteiligung an die Börse gebracht – dies waren mögliche Gründe für den massiven Kursanstieg.

Spice Private Equity wird kontrolliert von Investoren in Brasilien. Interessant ist, dass der Netto-Inventarwert (Net Asset Value, NAV) der Beteiligungen tiefer liegt als der Kurs der Aktie. Dies ist theoretisch ein Kurstreiber. Nur: Spice Private Equity ist deutlich weniger bekannt als die Partners Group, ausserdem schreibt das Unternehmen Verlust. Mit dem Kurs ist es seit 2018 fast nur nach unten gegangen.

Die zehn Tops und Flops im Schweizer Gesamtmarkt im Mai (Grafik: Bloomberg). 

Die Beteiligungsgesellschaft ist also Teil eines klassischen SPI-Phänomens: Kleinkapitalisierte Titel kann es in einer bestimmten Betrachtungsperiode stark nach oben oder stark nach unten treiben. Monats-Schlusslicht Santhera (-17,3 Prozent), Wisekey (-16 Prozent) oder Obseva (-10 Prozent) zeugen genau von dieser Eigenheit des Marktes. Langfristig gesehen bleiben Spice Private Equity und Co unsichere Investments. Der SMI-Wert Partners Group bietet dagegen verlässlichere Perspektiven.

4) Bei Zyklikern kommt es auf Qualität an

Im Mai gut gelaufene SMI-Titel wie Geberit (+8,6 Prozent) und Sika (+6,8 Prozent) sowie der grosse Teil der Aktien im breiten Swiss Performance Index (SPI) sind auf die eine oder andere Weise Zykliker. Seitdem der Markt über die steigenden Zinsen für amerikanische Staatsobligationen erschrocken ist, laufen diese relativ gut.

Der Textilmaschinenhersteller Rieter (+21,9 Prozent) konnte den Steigflug weiter fortsetzen und kommt inzwischen auf eine Performance von 81 Prozent seit Anfang Jahr: Das Unternehmen ist zwar in einem sehr zyklischen Markt (der derzeit gut läuft), aber in seinem Kern stabil. Auch der Solarzulieferer Meyer Burger (+18 Prozent) wird nach mehreren Transformationen inzwischen als verlässlicheres Investment gesehen als noch vor kurzem. 

Auf der Verliererseite steht dafür LafargeHolcim (-4,4 Prozent). Auch der Zementhersteller ist stark von der Bautätigkeit und damit der Weltkonjunktur ausgesetzt. Und die Milliardengelder von Regierungen für die Nach-Corona-Wirtschaft dürften auch zum Teil in Baustoffe investiert werden.

Einer Auswertung von cash.ch zufolge ist LafargeHolcim die Aktie mit dem grössten Kurspotential unter den 20 Blue Chips (siehe hier). Das schweizerisch-französische Unternehmen dürfte im zyklischen und von steigenden Bewertungen geprägten Sektor eine interessantere Einstiegsgelegenheit bieten als etwa die schon sehr gut gelaufenen Rieter. 

5) «Sell in May»? Trotz allem ist Vorsicht angebracht

Alles verkaufen muss man auch nach dem neuen Rekordhoch im SMI sicherlich nicht. Aber Vorsicht muss man dennoch weiter walten lassen. Die Mischung aus massiven Staatsausgaben, lockerer Geldpolitik, Erwartungen an einen weiteren Konjunkturaufschwung dank Impffortschritten - beim gleichzeitigen Risiko von Rückschlägen wegen Virusmutationen - lässt Anlegerinnen und Anleger auch weiterhin keine ruhige Zeit. 

Die Inflation in den USA ist im Mai auf 4,2 Prozent gestiegen, während die Regierung nicht nur massiv Konjunkturprogramme laufen lässt, sondern auch Schecks an die Bevölkerung verteilt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Notenbanken bald abrupt die Zinsen anheben müssen und damit dem Aktienmarkt zusetzen müssen, gilt immer noch aus relativ klein. Aber die Gefahr einer Überhitzung sei "deutlich" gestiegen, sagte der Wirtschaftsprofessor von der Universität Bern und ehemalige Chefökonom des Staatsekretariats für Wirtschaft Aymo Brunetti vergangene Woche im Interview mit cash.ch.

Das Gute ist: Am Status der fast kompletten "Alternativlosigkeit" von Aktien hat sich weiterhin wenig geändert. Aber mit der Inflationsangst kommt ein Faktor hinzu, der lange Zeit keine Rolle gespielt hat. Anlegerinnen und Anleger können das "Sell in May" so angehen, als dass sie sich überlegen, einen Teil der Gewinne mitzunehmen. Wem die Lage etwas zu unsicher wird, sollte Stopp-Loss-Limiten setzen (siehe hier) oder diese etwas nach oben nachziehen. So kommt man sicher durch das eine oder andere mögliche Sommergewitter. 

 

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