Bei der Stichwahl am Sonntag steht Frankreich vor einem Richtungsentscheid. Die erste Runde hatte die Möglichkeit eines Durchmarsches von Marine Le Pens rechtsextremem Rassemblement National (RN) aufgezeigt und die Börsen in Unruhe versetzt. Das Thema war der sprichwörtliche Elefant im Raum beim diesjährigen grossen Notenbank-Forum der EZB im portugiesischen Sintra.

Ein Sprecher der EZB wollte sich zu den Informationen nicht äussern. Es folgt eine Übersicht über Erkenntnisse aus Gesprächen mit mehr als einem Dutzend EZB-Ratsmitgliedern:

WANN WÜRDE DIE EZB FRANZÖSISCHE ANLEIHEN ERWERBEN?

Dafür wäre ein deutlich stärkerer Anstieg der Renditen französischer Staatsanleihen als bislang erforderlich. Das sogenannte «Transmission Protection Instrument» (TPI) der EZB erlaubt es den Währungshütern, unbegrenzt Staatsanleihen eines Euro-Landes zu kaufen. Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass das Land unter einer ungeordneten und ungerechtfertigten Verschärfung der Finanzierungsbedingungen leidet. Die Ausweitung der Renditeaufschläge (Spreads) für französische Staatsanleihen auf etwa 0,80 Prozentpunkte vor einigen Wochen erfüllte jedoch noch keine der Bedingungen. EZB-Chefökonom Philip Lane beschrieb dies unlängst in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters lediglich als Neubewertung am Finanzmarkt.

Ein Währungshüter sagte in Sintra, selbst eine Risikoprämie von 1,00 Prozentpunkten würde noch kein Handeln rechtfertigen. Ein weiterer merkte an, die aktuellen Spreads erschienen sogar eher eng angesichts der Entwicklung der Verschuldung Frankreichs. Generell wird als notwendige Bedingung genannt, dass ein Renditeanstieg so stark sein müsste, dass die Zinspolitik der EZB nicht mehr richtig in der gesamten Währungsgemeinschaft wirkt. Die EZB spricht in ihrem Fachjargon in diesem Zusammenhang von einer «ernsthaften Bedrohung für die einheitliche Transmission der Geldpolitik» im Euroraum. «Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass die Transmission funktioniert, ist das Thema für uns erledigt», sagte Irlands Notenbankchef Gabriel Makhlouf zu Reuters am Rande des Forums.

WANN IST EIN RENDITEANSTIEG «UNGERECHTFERTIGT»?

Das ist auslegungsfähig und auch umstritten. Eine Aktivierung von TPI ist an eine ganze Reihe von Bedingungen geknüpft, darunter die Einhaltung der EU-Haushaltsregeln. Genau das könnte im Fall Frankreichs aber zum Problem werden. Denn die EU-Kommission bescheinigte dem Land vor kurzem eine exzessive Neuverschuldung, was ein Defizitverfahren nötig mache. Die meisten Währungshüter sind deshalb der Ansicht, die EZB solle sich von Brüssel leiten lassen. Die EZB könne Frankreich nicht zu Hilfe kommen, bis das Land eine Vereinbarung mit der Kommission zur Verringerung seines Defizits getroffen habe.

Manche Währungshüter gaben allerdings zu bedenken, dass die EZB im Ernstfall womöglich doch handeln müsse - und dies lange bevor ein solcher Prozess, der wahrscheinlich Monate dauern würde, abgeschlossen sei. Dieser Fall könnte dann eintreten, wenn massive Verkäufe französischer Staatsanleihen auf Titel anderer stark verschuldete Euro-Länder wie Griechenland, Italien oder Portugal übergreifen würden.

WAS WÜRDE DIE EZB DANN MACHEN?

Die Währungshüter haben noch nicht begonnen, für ein solches Horror-Szenario Pläne auszuarbeiten. Sie hoffen nach wie vor, dass TPI niemals zum Einsatz kommen muss. Einige Währungshüter könnten sich eine vorübergehende Intervention vorstellen nach dem Vorbild der Bank von England auf dem Markt für britische Staatsanleihen während der kurzen Haushaltskrise-Krise im Jahr 2022. Die Steuersenkungspläne der damaligen Premierministerin Liz Truss hatten heftige Turbulenzen auf dem Anleihemarkt ausgelöst.

Grundsätzlich wollen Währungshüter jegliche Bindung an eine feste Regel vermeiden. «Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir dem Markt kein Signal geben, dass wir irgendeine Art von Automatismus, Grenzen oder harte Einschränkungen in dem haben, was wir tun», sagte Belgiens Notenbankchef Pierre Wunsch.

(Reuters)