Die Europäische Zentralbank sollte anerkennen, dass die Inflation zurückgeht, keine Ausreden mehr suchen und bereits im März Zinssenkungen in Betracht ziehen, teilt Scicluna mit.

Juni muss nicht sein

Scicluna drängte im Bloomberg-Interview die anderen Währungshüter, die jüngsten Preistrends objektiv zu bewerten und den "Würgegriff" für die Wirtschaft zumindest ein wenig zu lockern. Die Quartalsprognosen des EZB-Stabs, die für die Sitzung im nächsten Monat aktualisiert werden, könnten dazu beitragen, den Umschwung in der Geldpolitik zu untermauern.

"Im März könnte es soweit sein, nach allem was ich weiss", sagte Scicluna, der sich nur selten öffentlich äussert. Er ist das erste EZB-Ratsmitglied, das eine so baldige Zinssenkung explizit ins Spiel bringt. "Wir werden sehen, wie viele der Meinung sind, dass es nicht nötig ist, bis Juni zu warten."

Der Inflationsrückgang in die Nähe des 2 Prozent-Ziels hat die Währungshüter darüber ins Grübeln gebracht, wann sie mit der Rücknahme der Zinserhöhungen beginnen sollen, die sie zur Eindämmung des Preisschubs vorgenommen haben.

Dabei dreht sich die Debatte hauptsächlich um eine Entscheidung zwischen den Terminen April oder Juni. Eine Mehrheit im EZB-Rat tendiert dabei zum späteren Zeitpunkt, zu dem mehr Klarheit zur Inflationsdynamik herrschen dürfte.

Vor einem Monat war man sich noch sicher

Eine Lockerung schon im März wird bislang nur von einem einzigen der Ökonomen erwartet, die Bloomberg befragt hat. Auch Händler sehen kaum Chancen für einen so baldigen Zinsschnitt, nachdem EZB-Präsidentin Christine Lagarde erst am Donnerstag vor übereiltem Handeln gewarnt hat.

Die Anleger sind inzwischen auf den Juni eingestellt. Die Wetten am Geldmarkt deuten darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit einer Lockerung der Geldpolitik im April nur noch bei 50 Prozent gesehen wird. Vor einem Monat galt ein Start der Zinssenkungen im April dem Markt noch als ausgemachte Sache. Scicluna warnte davor, das zu ignorieren.

"Wenn wir dem widersprechen, würde ich sagen, seien wir vorsichtig", sagte er. "Es könnte sein, dass wir bestimmte Dinge nicht sehen."

Wie für die Händler steht für Maltas Notenbankchef der Umstand im Fokus, dass die Inflation abnimmt. Die Ängste vor einer Rückkehr der Teuerung kann er nur schwer nachvollziehen.

"Ja, es könnte holprig werden", doch "man sollte die Zeichen der Zeit erkennen und objektiv zugeben, dass der Trend nach unten geht", führte Scicluna aus. "Wenn Sie unbedingt ein Argument gegen eine Zinssenkung haben wollen, werden Sie immer eins finden", fügte er hinzu und verwies auf die Spannungen im Nahen Osten als Beispiel. "Ich glaube nicht, dass sich dies auf die Wirtschaft auswirken wird", so Scicluna.

 «Die Preise fallen»

Die Falken im EZB-Rat befürchten, dass Nachholeffekte bei den Löhnen im Nachgang der Teuerung die Inflation wieder anfachen könnte. Detailliertere Zahlen zur Lohnentwicklung werden im Juni vorliegen, so dass dann diesbezüglich eine fundiertere Entscheidung getroffen werden kann.

Scicluna ist in dieser Hinsicht weniger besorgt.

"Sehen wir der Realität ins Auge — natürlich gibt es überall Risiken", räumte er ein. "Aber wenn man die Dinge umfassend betrachtet, sieht man: Die Preise fallen."

Scicluna sieht die Konjunkur auf dem Weg zu einer sanften Landung, nachdem sie in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 nur knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt ist. Diese Sicht entspricht auch der Einschätzung der Europäischen Kommission, die am Donnerstag ihre neuen Konjunkturprognosen vorgelegt hat.

Scicluna sieht Spielraum für eine weniger restriktive Geldpolitik. "In einer Zeit, in der die Nachfrage sinkt, kann man meiner Meinung nach ein wenig den Fuss von der Bremse nehmen", sagte Scicluna.

(Bloomberg)