Die neue Volksfront fuhr zwar Demoskopen bei der Stichwahl am Sonntag den Sieg ein, verfehlte eine absolute Mehrheit aber deutlich. Sie kann dem Institut Ifop zufolge mit 180 bis 205 Sitzen im 577 Mandate umfassenden Parlament rechnen. Das Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron eroberte demnach 164 bis 174 Mandate.

Für eine faustdicke Überraschung sorgte aber das schlechte Abschneiden des rechten und europaskeptischen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen, der noch in der ersten Wahlrunde triumphiert hatte. Nun dürfte er mit 120 bis 130 Mandaten nur auf Platz drei landen.

Die Linke und das Mitte-Lager hatten in der Stichwahl auf Wahlkreisebene Absprachen getroffen, um nach dem Rechtsruck in der ersten Runde einen Durchmarsch des RN zu verhindern. Ohne eine absolute Mehrheit einer Partei im Parlament, die bei 289 Sitzen liegt, droht eine politische Lähmung, auch wegen der starken politischen Polarisierung im Land. Neuwahlen sind binnen eines Jahres allerdings ausgeschlossen.

Präsident Macron hatte die Neuwahl nach dem Triumph des RN bei der Europawahl ausgerufen. «Alles in allem hat Emmanuel Macrons riskante Wette keine klare Parlamentsmehrheit hervorgebracht. Er befindet sich nun in der gleichen Situation wie zuvor, in der seine Partei keinen Rückhalt hat, um ehrgeizige Gesetzesvorhaben durchsetzen zu können», so die Einschätzung von Cornelia Woll, der Präsidentin der Hertie School in Berlin. Es sei somit weiterhin nicht sicher, dass er im September seinen Haushalt durchbringen könne, ohne dies durch Sonderregelungen zu erzwingen und ein Misstrauensvotum zu riskieren: «Diese instabile Situation wird nun bis zum Sommer 2025 die neue Normalität sein», sagte die Frankreich-Kennerin.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hatte sich nach der ersten Wahlrunde sehr besorgt über die Situation in Frankreich geäussert. Er drücke die Daumen, dass es keine Regierung gebe, die von einer rechtspopulistischen Partei geführt werde. Der Parteichef des RN, Jordan Bardella, hatte auf eine absolute Mehrheit des rechten Lagers gesetzt. Er sagte am Wahlabend, Frankreich gerate in die Fänge der radikalen Linken. Seine Partei werde nun ihre Arbeit in der Opposition verstärken.

Spitzenvertreter der neuen Volksfront machten bereits klar, dass sie Macron trotz des Zweckbündnisses in der zweiten Wahlrunde keine politischen Zugeständnisse machen werden. Der Chef der Sozialisten, Olivier Faure, sagte vor Anhängern: «Wir haben nur einen Kompass: das Programm der neuen Volksfront.» Dies bedeute, dass die Politik Macrons nicht fortgesetzt werden dürfe. Dies gelte vor allem für die Rentenreform. Der Chef der linkspopulistischen Partei «Das unbeugsame Frankreich», Jean-Luc Melenchon, forderte, Macron solle seine Niederlage eingestehen und die neue Volksfront mit der Regierungsbildung beauftragen.

Macron will laut Präsidialamt die Wahlergebnisse zunächst auswerten. Er wolle abwarten, bis sich im Parlament ein Gesamtbild ergebe, bevor er die notwendigen Entscheidungen treffe. «Der Präsident wird als Garant unserer Institutionen die Entscheidung des französischen Volkes respektieren», hiess es.

Ministerpräsident Gabriel Attal hatte sich für den Fall unklarer Mehrheitsverhältnisse dafür ausgesprochen, Ad-hoc-Allianzen von Parteien der Mitte, der Linken und aus dem Kreis konservativer Abgeordneter zu bilden, um über einzelne Gesetzesvorhaben abzustimmen. Aus dem linken Lager war auch der Vorschlag gekommen, eine Koalitionsregierung zu bilden.

Doch dies wäre ein Novum. Solche Allianzen hat es in Frankreich wegen der starken politischen Polarisierung in der jüngeren Geschichte des Landes bislang noch nicht gegeben. Ein Ausweg aus einer politischen Pattsituation im Parlament könnte eine sogenannte Technokraten-Regierung sein, wie es sie etwa in Italien in der Vergangenheit mit dem früheren EZB-Chef Mario Draghi gegeben hat.

(Reuters)