Die von Präsident Joachim Nagel zu Wochenbeginn vorgetragene Warnung vor den Gefahren eines geplanten Instruments zur Bekämpfung von Turbulenzen an den Euro-Anleihemärkten erhöht den Druck im EZB-Rat, während dieser über einen zentralen Pfeiler von Lagardes Plänen zur Zinsanhebung diskutiert.
Eine ähnliche Zerreissprobe, wie die, der sich ihr Vorgänger Mario Draghi während der Staatsschuldenkrise vor zehn Jahren ausgesetzt sah, könnte nun auf Lagarde zukommen und ein heikles politisches Manöver erfordern, das die Gefahr von Marktturbulenzen birgt - und das alles mit kritischen Bundesbankern im Nacken.
Diplomatischer Ton
Nagels Kommentare spiegelten "die Schwierigkeit wider, ein solches Instrument zu entwerfen, insbesondere im Hinblick auf den Auslöser für Interventionen", so Frederik Ducrozet, Leiter des makroökonomischen Research bei Pictet Wealth Management. "Vielleicht ist es auch Politik in dem Sinne, dass man das Instrument zu Hause verkaufen muss. Schliesslich ist es die Aufgabe des Bundesbankpräsidenten, seine Einwände vorzubringen."
Der abrupte Abgang von Nagels Vorgänger Jens Weidmann im vergangenen Jahr deutete bereits auf Schwierigkeiten hin, aber der neue Bundesbankpräsident hatte bisher einen diplomatischeren Ton angeschlagen, wenn er die EZB-Politik in der Öffentlichkeit diskutierte.
Das änderte sich mit dem Ausbruch der Turbulenzen an den Anleihemärkten im Juni, die sich auf Italien konzentrierten und den EZB-Rat dazu veranlassten, ein Kriseninstrument zu entwickeln, das die auch von der Bundesbank angestrebten Zinserhöhungen ungehindert ermöglichen sollte.
Strenge Bedingungen
Nagels Rede deutet darauf hin, dass die wahrscheinliche Ausgestaltung der Massnahme und die Geschwindigkeit, mit der Lagarde ihre Position änderte, zu viel des Guten waren.
"Geldpolitik darf sich nicht von oft sehr kurzlebigen Entwicklungen an den Finanzmärkten treiben lassen", sagte er. "Allenfalls in Ausnahmesituationen und unter eng gesteckten Voraussetzungen lassen sich ungewöhnliche geldpolitische Massnahmen gegen Fragmentierung rechtfertigen."
Nagel nannte strenge Voraussetzungen, unter denen ein solches Instrument gerechtfertigt sein könnte, harte Kriterien, unter denen sein Einsatz vertretbar sein könnte, und die Warnung, dass man andernfalls "schnell in gefährliches Fahrwasser" geraten könne.
«Wir werden reagieren, um eine Fragmentierung zu verhindern»
Diese Formulierung deckt sich mit den rechtlichen Bedenken, die das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Anleihekäufe geäussert hat, und wo die Zulässigkeit eines solchen Instruments letztlich überprüft werden könnte.
Eine Stunde später versuchte der Vizepräsident der EZB, Luis de Guindos, in seinem eigenen geplanten Auftritt auf derselben Konferenz zu versichern, dass ein etwaiger Einsatz eines Instruments nicht wahllos erfolgen würde - und stellte in Aussicht, dass jede Massnahme angemessen sein werde.
"Wir werden reagieren, um eine Fragmentierung zu verhindern, und zwar mit geeigneten Schutzmassnahmen, um Moral Hazard zu vermeiden", sagte er. "Unsere Verpflichtung, die Fragmentierung zu bekämpfen, sollte daher eine stärkere Konzentration auf den geldpolitischen Kurs nicht behindern, sondern vielmehr ermöglichen."
Ein EZB-Instrument, das die von Nagel festgelegten Bedingungen erfüllt, ist nicht unvorstellbar. Doch seine Äusserungen könnten auch den Boden für grössere Meinungsverschiedenheiten bereiten.
Die Rede des Bundesbankchefs verdeutlicht die "roten Linien" der Falken, aber solche Bedingungen könnten dazu beitragen, die Glaubwürdigkeit der EZB zu stärken und Marktturbulenzen zu vermeiden, so Katharina Utermöhl, Ökonomin der Allianz. "Es würde schliesslich wenig nützen, ein unbegrenztes Instrument zur Bekämpfung von Spreads vorzuschlagen, das nur eine kurze Haltbarkeitsdauer hat."
Bundesbank-Tradition
Nagels Intervention steht in der langen Tradition der Bundesbank als Hüterin der Preisstabilität - eine Rolle, die der EZB damals als Vorbild diente. Dazu gehört auch das Verbot der monetären Staatsfinanzierung, das in den EU-Verträgen verankert ist.
Vor diesem Hintergrund haben Bundesbanker häufig gegen die Politik der EZB protestiert. Ein Präsident, Axel Weber, trat 2011 zurück, als die Zentralbank der Eurozone Anleihen von Krisenländern wie Griechenland aufkaufte. Jürgen Stark, der Chefökonomen der EZB und ehemaliger Bundesbanker, trat später im selben Jahr zurück.
Eine gemeinsame Linie
Lagarde verfolgt als Präsidentin einen stärker konsensorientierten Ansatz als Draghi, und sowohl Weidmann als auch Nagel haben weitgehend mitgespielt.
In einem Interview kurz vor ihrem Amtsantritt 2019 erklärte sie, ihre Priorität sei es, "sicherzustellen, dass wir ein Team sind, dass wir nur unter uns uneins sind und dass wir, wenn die Unstimmigkeiten beigelegt sind, wenn es eine gemeinsame Linie gibt, alle gemeinsam voranschreiten."
Nagels öffentliche Intervention ist mit diesem Ansatz nur schwer in Einklang zu bringen. Der Vorfall stellt noch keinen vollständigen Zusammenbruch der Beziehungen dar, aber mit der Wahrscheinlichkeit, dass die öffentliche Meinung in Deutschland davon Notiz nehmen könnte, rückt diese Gefahr nun ins Blickfeld.
(Bloomberg)