cash.ch: Carmignac wurde 1989 gegründet. Damals lag das Schwergewicht auf Aktien, heute liegt es auf Anleihen. Wie kam es zu dieser Verlagerung?

Florian Viros: Carmignac investiert seit der Unternehmensgründung 1989 an den Anleihenmärkten, doch der Wendepunkt kam in der Folge der grossen Finanzkrise von 2008. Damals hat Carmignac seine Fixed-Income-Expertise verstärkt, anfangs überwiegend im Bereich globale Zinsen, später auch für Kreditanlagen. Zugleich war die Kundennachfrage hoch, aufgrund der Verwerfungen der Finanzkrise. Von diesem Moment an wuchs das verwaltete Vermögen im Anleihenbereich stark an, auf heute rund 20 Milliarden Euro.

Sie sind Fondsmanager im Kreditteam von Carmignac. Welche Herausforderungen haben Sie zurzeit?

Die Diskussion um aktives versus passives Management ist rege. Im Kreditsegment ist es aber schwierig, eine aktive Performance durch eine passive Lösung zu ersetzen. Zum einen sind viele Segmente, in denen wir investieren, gar nicht durch passive Fonds replizierbar und zum anderen ist die dynamische Risikoanpassung, die wir durchführen, durch eine passive Strategie nicht möglich. Das müssen wir unseren Kunden täglich aufzeigen und erklären.

Was genau sagen Sie ihnen?

Es gibt Segmente im Kreditbereich, die für ETF nicht zugänglich sind. Das heisst, es ist nicht nur eine Frage der Performance, sondern auch eine Frage der Replizierbarkeit, die zum grössten Teil nicht möglich ist. Zudem gibt es Investoren, die in sehr spezielle Kreditsegemente vorstossen wollen, zum Beispiel in europäische Hochzinsanleihen. Das kann sich aber rasch ändern, wenn Anleihen aus dem Finanzwesen aussichtsreicher werden. Dann wollen wir die Allokation aktiv anpassen. Solche Zusammenhänge müssen wir unseren Kunden darstellen. Wir wollen erklären, was wir machen, wie wir das machen, warum wir das machen. Und dann zeigt sich das langfristig auch in der Performance.

Die Renditen für europäische Investment-Grade-Anleihen liegen zurzeit um 3 Prozent. 2021 waren sie weniger als ein halbes Prozent. Was entnehmen Sie dieser Entwicklung?

Das Umfeld hat sich radikal verändert. Vor 2021 und nach der grossen Finanzkrise waren die Zinsen extrem niedrig, phasenweise waren sie sogar negativ. Es waren wirklich sehr aussergewöhnliche Umstände und auch für uns eine Herausforderung als Fondsmanager: Wir sollten in verzinsliche Anlagen investieren und dennoch eine attraktive Rendite anbieten können. Durch die Inflation der letzten Jahre haben die Zinsen wieder angezogen. Zwar sind die Kreditprämien heute gleich hoch wie 2021, aber die risikofreien Renditen sind deutlich höher. Darum haben Kreditinvestoren über einen Zeitraum von ein paar Jahren gute Perspektiven.

Dennoch: Aktien laufen gut, in den USA sogar sehr gut. Gleichzeitig fallen die Zinsen. Übt das Druck auf Sie aus?

Das ist kompliziert, zunächst: Man muss sich fragen, warum Aktien steigen - sind es Aktien von Unternehmen, die auf die Inflation reagieren und gut mit ihr umgehen können? Solche Werte bieten Schutz vor Inflation. Zugleich können sinkende Renditen auf Staatsanleihen die Kreditaufnahme vergünstigen, was Aktienrückkaufprogramme eher möglich macht und Aktien somit antreibt. Eindeutig ist das aber nicht, es gibt keine Regel. Deswegen verfolgen wir eine fundamentale Strategie. Wir wollen bei jeder Unternehmensanleihe wissen, wie das Geschäftsmodell funktioniert, woher die Erträge kommen, wie solide der Emittent ist und welche Sicherheiten er bietet.

Die Regierungen in Frankreich und Deutschland, der zwei grössten europäischen Volkswirtschaften, stecken im Krisenmodus. Welche Schlüsse ziehen Sie als Anleihenmanager daraus?

Leider ist das politische Umfeld sehr volatil. Der Regierungswechsel in den USA zu Donald Trump, die Neuwahlen in Deutschland, die neue Regierung und der strapazierte Staatshaushalt in Frankreich - ich wünschte, es gäbe eine klare Lösung. Doch das ist nicht der Fall. Deshalb sind wir als Kreditanleger vorsichtig und diversifizieren die Risiken, die wir aufnehmen, auch nach Regionen. Wir müssen wirklich darauf achten, dass man die richtigen Emittenten und Sektoren wählt und die Risiken akkurat einschätzt.

Woran denken Sie beispielsweise?

Wenn der Staat Ausgaben reduziert und bestimmte Ausgaben nicht mehr macht, können Geschäftsmodelle ins Wanken geraten. Die Frage ist also, wie die politische Situation einzelne Unternehmen auf der Mikroebene betrifft. Dazu ist es ein Vorteil, dass Anleihenfonds nach Sektoren und Regionen diversifiziert sind.

Wo sehen Sie, dass Ausgabenkürzungen einzelnen Unternehmen zu schaffen machen?

Das geschieht immer und immer wieder. Testcenter in der Coronakrise sind ein Beispiel, das die zugrunde liegende Mechanik aufzeigt. Nach der Krise hat der Staat kein Geld mehr für Tests gesprochen. Unternehmen, die bereits hoch verschuldet waren, standen vor einem Kapitalstrukturproblem und vor einem Problem des Geschäftsmodells. Daran wird deutlich, dass sich politische Massnahmen sehr konkret auf die Unternehmen auswirken können.

Carmignac hat 2020 eine Laufzeitstrategie gestartet. Was steckt im Kern dahinter?

Unsere Laufzeitfonds verfolgen eine Carry-Strategie mit einer Zielperformance über einen festen Fälligkeitstermin. Diese Strategie bietet Transparenz und Diversifikation und ist besonders gut geeignet für Anleger, die über einen vorbestimmten Zeitraum investieren wollen. Unsere Laufzeitfonds werden von demselben Investmentteam verwaltet und mit derselben sorgfältigen Auswahl von Einzeltiteln.

Sie legen eine Laufzeit von 5 Jahren an. Warum nicht kürzer oder länger?

Die Festlegung der Laufzeit hängt von unterschiedliche Faktoren ab. Erstens sollte die Laufzeit lang genug sein, damit das resultierende Anlageuniversum breit genug ist, um eine attraktive Auswahl von Einzeltiteln zu ermöglichen. Zweitens sollte die Laufzeit auch nicht zu lang sein, da ein zu hoher Anstieg des Reinvestitionsrisikos die Festlegung einer Zielperformance erschwert. Drittens sollte die festgelegte Laufzeit auch mit den Erwartungen unserer Investoren übereinstimmen, um eine attraktive Lösung für die Finanzplanung anbieten zu können.

Im Portfolio des Laufzeitenfonds 2029 sind fast 80 Prozent Unternehmensanleihen aus Industriestaaten. Worin investieren Sie genau?

Unser Porfolio ist mit über 250 Einzeltiteln hoch diversifiziert. Wir investieren in eine Vielzahl von Emittenten, Sektoren und Geografien. Wir sind derzeit stark in Anleihen aus dem Finanzwesen investiert, aber auch aus dem Energiesektor, Konsumgütern und strukturierten Unternehmensanleihen.

Wie wählen Sie die Einzeltitel aus?

Wir führen eine rigorose Bonitätsprüfung durch. Im Endeffekt besteht unsere Arbeit darin, die Wahrscheinlichkeit eines binären Ereignisses einzuschätzen: Entweder fällt ein Unternehmen aus, oder es fällt nicht aus. Falls es zu keinem Ausfall kommt und wir mit unserer Einschätzung richtig liegen, sind die Renditen im Voraus bekannt. Das ist ein grosser Vorteil: Kreditanlagen machen Renditen sichtbar. Das hat man auf den Aktienmärkten nicht. Dort investiert man aufgrund von Sentiments. Ausserdem: Es können für uns besonders interessante Situationen geben - zum Beispiel Stresssituationen, in denen die Aktienkurse stark fallen und die Kapitalrückzahlung von Anleihen höher sein wird als der Handelspreis.

Was sind die Kosten, die Anleger für Ihr Fondsmanagement bezahlen müssen?

Für den Carmignac Credit 2029 beispielsweise beträgt der Verwaltungsanteil der Gebühr 0,5 Prozent. Hinzu kommen einige geringfügige Verwaltungsgebühren. Es gibt auch eine Performancegebühr, die nur erhoben wird, wenn der Fonds sein jährliches Performanceziel übertrifft.

Warum können die Kosten Ihrer Fonds nicht tiefer sein?

Es gibt eine Reihe von «Buy-and-Hold»-Fonds, die einen eher passiven Ansatz verfolgen, während unsere Ziellaufzeitfonds aktiv verwaltet sind und in ein breiteres Spektrum von Instrumenten investieren. Die Gebühren sind bei aktiveren Fonds natürlich höher, da sie aufwendiger zu verwalten sind, aber wir sind der Meinung, dass ein aktiver Ansatz äusserst wichtig ist, um eine attraktive Performance anbieten zu können und gleichzeitig die fundamentalen Risiken zu mindern. Wir sind der Meinung, dass dieser Prozess zur starken Performance unserer Fonds im Vergleich zu anderen Fonds beigetragen hat.

Die Renditen und die Performance Ihrer Laufzeitfonds sind stattlich. Die Fonds sind aber explizit konservativ ausgerichtet. Wie geht das (=die stattlichen Renditen mit der tiefen Risikoneigung) zusammen?

Es ist eine sehr gute Frage, es kann tatsächlich kontraintuitiv erscheinen. Die Antwort liegt in unserem flexiblen Anlageprozess. Wir haben Zugang zu einem ausserordentlich grossen Anlageuniversum und eine breite Palette von Kreditsegmente. Zu unserem Vorteil sind die Kreditmärkte nicht immer effizient, das heisst viele Segmente oder bestimmte Situationen werden von Investoren vernachlässigt, aus unterschiedlichen Gründe, die oft selten mit den Fundamentalrisiken zu tun haben. Zum Bespiel haben viele Fonds nicht die Fähigkeit in bestimmte Segmente wie strukturierte Anleihen zu investieren, obwohl die Ausfällen in den letzten 25 Jahren äusserst gering gewesen sind. So können Opportunitäten identifizieren, die attraktive potenzielle Renditen anbieten aber auch gleichzeitig geringes Kreditrisiko aufweisen.

Der Fonds Credit 2025 hatte im schlechten Börsenjahr 2022 fast 14 Prozent an Wert verloren. Sind konservative Anlagen wie dieser Fonds also weniger sicher, als man gemeinhin denkt?

Ganz und gar nicht! Unser Fonds Carmignac Credit 2025 hat in der Tat einen Kursrückgang 2022 erlitten, aber in einem der schwierigsten Jahren für Rentenmärkte der letzten Dekaden. Carmignac Credit 2025 hat 2022 sogar etwas besser abgeschnitten als einige Indizien für Europäisches Investment Grade Credit. Aber viel interessanter zu sehen ist, wie schnell unser Carmignac Credit 2025 sich erholt hat - und heute deutlich über seiner ursprünglichen Zielrendite liegt, mit über 10 Prozent kumulierte Performance seit Auflage. Es gibt Credit Investment Grade Indizien, die in demselben Zeitraum immer noch im negativen Territorium liegen. Ich würde sagen, dies ist eine tolle Case-Study, um den Mehrwert einer aktiven Strategie zu illustrieren.

Welche Nachteile haben Schweizer Anlegerinnen und Anleger bei einem Investment in ihre Laufzeitenfonds aufgrund des starken Franken?

Das Währungsrisiko ist immer zu bedenken, wenn man ausserhalb der Landeswährung investiert, insbesondere bei volatilen Wechselkursen. In diesem Fall ist es wichtig, eine Währungsabsicherung in Betracht zu ziehen. Für viele unserer Fonds bieten wir je nach Kundennachfrage abgesicherte Anteilsklassen an, beispielsweise für das Flaggschiff Carmignac Portfolio Credit. Sollten wir eine erhebliche Nachfrage nach währungsabgesicherten Versionen anderer Fonds feststellen, würden wir eine Erweiterung unseres Angebots an Anteilsklassen in Betracht ziehen.

Florian Viros ist Fondsmanager im Kredditteam des französischen Vermögensverwalters Carmignac, zu dem er 2015 stiess. Seine berufliche Laufbahn begann Viros 2006 als Analyst für Leveraged Finance bei Egret Kapital LLP in London. Anschliessend sammelte er Erfahrung in der Kreditstrukturierung, zunächst von 2007 bis 2014 als Vice President bei Citigroup Global Markets, dann von 2014 bis 2015 als Executive Director bei Goldman Sachs. Florian Viros hat ein Diplom der ESSEC Business School im Hauptfach Finanzen.

Reto Zanettin
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