cash.ch: In der Autoindustrie, aus der 80 Prozent des Komax-Umsatzes kommen, dominiert das Thema Elektroautos. An der Börse profitierten Anfang 2021 nach Tesla auch Hersteller wie VW, GM oder Ford stark von einem E-Hype. Die Komax-Aktie erlebte Anfang Jahr ebenfalls eine starke Kurssteigerung – führen Sie dies auf die allgemeine Elektroauto-Begeisterung zurück?

Matijas Meyer: Von der Elektrifizierung und der Modernisierung des Autos profitieren wir als Hersteller von Maschinen für die Kabelverarbeitung schon seit Jahrzehnten. Auch Verbrennungsautos enthalten wegen intelligenter Motoren, Assistenzsystemen, Komfortausrüstungen und dank des Einbaus vieler Sensoren immer mehr Kabel. Die Elektromobilität, insgesamt klar ein struktureller Wandel, kommt nun obendrauf. Von der Wahrnehmung her ist nun tatsächlich 'sichtbarer' geworden, dass die Autoindustrie mehr mit Strom zu tun hat.

Ist Komax Gewinner dieses Trends?

Ich hoffe, dass wir eines Tages sagen können, dass wir Gewinner sind. Es ergeben sich auf jeden Fall zahlreiche Chancen für uns. Diese müssen wir packen. Wir sind näher an den Themen als unsere Mitbewerber, weil wir schon im hochautomatisierten Bereich tätig sind.

Wie entscheidend ist für Komax, wie sich der Anteil von Elektroautos an der gesamten Produktion entwickelt?

Ohne Elektroautos wäre für Automobilhersteller die Notwendigkeit weniger gegeben, ihre Konzepte zu überdenken. Der Wandel, den wir erleben, ist jener einer neuen Architektur des Autos, neuen Plattformen und neuer Produktionskonzepte. Daher ist es ein wichtiges Thema für uns. Es findet ein Umbruch statt, der sich auf die ganze Wertschöpfungskette auswirkt. Die Entwicklung der E-Mobilität wirkt zudem wie ein Katalysator auf andere Bereiche. Das Elektroauto wird ergänzt um weitere Funktionen wie zum Beispiel das autonome Fahren. Neue Produktionskonzepte fördern die Automatisierung, von der wir leben. 

Wie viele Ihrer Kabelverarbeitungsmaschinen gehen in die Produktion von Elektroautos? Analysten schätzen den Umsatzanteil der E-Mobilität auf unter zehn Prozent.

Wie gesagt, die Entwicklung der Elektromobilität geht für uns als Zulieferer einher mit vielen anderen Bereichen. Wenn man beim Investitionsverhalten der Kunden ganz scharf abtrennt, also nur den Elektromotor betrachtet, ist unser Umsatzanteil,  der mit der E-Mobilität zusammenhängt, noch verhältnismässig gering.

Was ist Ihre persönliche Einschätzung zu den künftigen Marktanteilen von E-Autos?

Persönlich glaube ich, dass die Elektromobilität massgeblich wird. Überraschend viele neue Autos weisen bereits elektrische Antriebe unterschiedlicher Art auf. Sie sind, wenn nicht vollelektrisch motorisiert, mindestens mit einem Hybridantrieb ausgerüstet. In der Schweiz, bei unseren gefahrenen Distanzen, sind die Einschränkungen durch die Elektromobilität gering. Viele Personen überlegen sich deshalb, in ihrem nächsten Auto zumindest eine Elektro-Variante zu haben.

Automatisierung ist ein Kerngeschäft für Komax. Nun stellt man sich die Autoproduktion landläufig so vor, dass sie vor allem von Robotern ausgeführt wird. Gibt es denn noch genügend Potential für Wachstum?

Wenn Sie heute durch Produktionshallen von Automobilherstellern gehen, haben Sie den Eindruck, fast keinen Menschen mehr anzutreffen. Doch in der Kabelverarbeitung ist dies nicht der Fall: Der Kabelbaum wird nach wie vor zu einem grossen Teil von Hand gemacht. Etwa 80 Prozent der Wertschöpfung ist heute noch manuelle Arbeit, die vor allem in Niedriglohnländern gemacht wird. Da gibt es noch viel Potential, diese mehr und mehr auf Maschinen zu verlagern.

Wird Komax wegen eines doch sichtbaren Klumpenrisikos stärker auf Branchen ausserhalb der Autoindustrie setzen?

Wenn ich die Märkte betrachte, glaube ich nicht, dass sich der Umsatz-Mix künftig stark verändern wird. Wenn wir im Marktsegment Automotive mit 80 Prozent Umsatzanteil wachsen, müssten wir in den anderen Segmenten noch mehr wachsen, damit die Prozentzahl abnimmt. Oder wir müssten in der Automobilindustrie aktiv Marktanteile verlieren, damit sich das Umsatzverhältnis verändert. Doch dies wollen wir natürlich nicht.

Wäre der Flugzeugbau, zumindest nach der Pandemie, nicht ein Riesengeschäft?

Wir machen dort ja auch Geschäfte. Ein Flugzeug hat noch viel mehr Kabel als ein Auto und die Kabelverarbeitung wird noch stärker manuell betrieben. Aber es werden viel weniger Flugzeuge gebaut als Autos und zahlreiche Kabel sind zu lang, um mit Maschinen zu verarbeiten. Somit ist es für den Einsatz von Kabelverarbeitungsmaschinen dann doch ein eher kleiner Markt. Zukunftsmärkte sind für uns sicher auch 'smarte' Städte, Züge, Haustechnik, automatisierter Transport generell – es gibt überall Potential, wo Stromwandlung eine Rolle spielt.

2020 hat Komax 328 Millionen Franken Umsatz erzielt: Für ein börsenkotiertes Unternehmen in der Schweiz ist das im Mittelfeld. Doch ist das Unternehmen auf Dauer gross genug? Wird das Unternehmen auch über Zukäufe wachsen müssen?

Wir haben das Ziel, beim Umsatz bis 2023 auf 450 bis 550 Millionen Franken zu wachsen. 2019 waren es 418 Millionen Franken und im sehr guten Jahr 2018 erzielten wir 480 Millionen Franken Umsatz. Betreffend Zukäufe ist es so, dass wir uns in einem Nischenmarkt befinden und es für einen Marktführer wie uns nicht eine Vielzahl von Akquisitionsmöglichkeiten gibt. Wenn, dann wachsen wir durch kleine, ergänzende Zukäufe. Planen kann man diese zeitlich oft nicht genau, da es sich häufig um Nachfolgelösungen handelt. Doch wenn sich eine Chance ergibt, nutzen wir sie entsprechend. 

Die Wachstumsaussichten sind nach dem schwierigen Autojahr 2019 und dem Pandemiejahr 2020 immer noch etwas unsicher. Vom Halbleiter-Problem in der Autobranche sind Sie nach eigenen Angaben kaum betroffen. Wohl aber von den Kunden: Gedrosselte Investitionen bei Autoherstellern bremsen Komax. Müssen Sie auch mit grösseren Rückschlägen rechnen?

Das, was jetzt kommen könnte, fühlt sich ganz anders an als das, was wir erlebt haben. Die Krise 2020 war extrem. Unsere Maschinen bei den Kunden waren eine Zeit lang gar nicht in Betrieb, Neukäufe gab es in dieser Phase beinahe gar nicht. Unsere Alarmbereitschaft für Krisen ist dadurch gestiegen. Mit der Volatilität können wir umgehen.

Der Kurs der Komax-Aktie seit Anfang 2020: Der Kurshöchststand in dieser Periode war am 9. März 2021. Der Kurs hält tendiert derzeit leicht über dem Stand von vor Beginn der Coronakrise im Februar 2020. (Chart: cash.ch).

Eine gewisse Skepsis zum Wachstum zeigt sich jetzt wieder am Aktienkurs, der seit März sinkt. Die Rückkehr zur Vor-Pandemie-Leistung in der Autobranche könnte laut Marktprognosen erst 2022 kommen. Das Rekordlevel der Branche von 2018 könnte gar erst 2024 oder 2025 wieder erreicht sein. Die Erholung könnte also doch zäher sein als gedacht.

Schon die Situation von 2019 mit der damaligen Schwäche der Autoindustrie hatte ja dazu geführt, dass wir unsere Ziele nach unten korrigierten. 2020 hätte an sich ein Übergangsjahr sein sollen. Dann kam die Pandemie, somit überlagerten sich zwei Themen. Eine gewisse Unsicherheit bleibt, aber wir gehen davon aus, dass das Niveau von 2019 nächstes Jahr wieder erreicht wird.

Wie steht es derzeit um die Prognosesicherheit für Ihre Branche?

Die Visibilität ist so, wie sie fast immer ist: Schlecht, das heisst auf drei Monate hinaus. So früh im Jahr zu sagen, ob es bis Ende Jahr einen Endspurt geben wird, ob Budgets noch geöffnet werden, wie sich die Investitionspolitik der Kunden noch ändert: Dies lässt sich schwer sagen. Wenn die Zuversicht da ist, könnte es in der zweiten Jahreshälfte bereits merklich besser werden.

Komax hat vergangenes Jahr die Kosten reduziert – ist dies nur eine Reaktion auf die Krise, oder werden die Einsparungen auch strukturell wirken?

Wir versuchten, zwischen dem Einfluss der Pandemie und den Folgen der Delle der Autoindustrie 2019 zu trennen. Den Pandemiefolgen begegneten wir vor allem mit Kurzarbeit. Wir sparten auch durch weniger Reisen und andere eingeschränkte Möglichkeiten. Insgesamt waren dies über 50 Millionen Franken. Überlagernd kam die Erkenntnis, dass es für längere Zeit nicht wie bis 2018 weitergehen würde. Deswegen haben wir zu hohe Fixkosten durch strukturelle Anpassung und damit einem Stellenabbau reduziert. Wir sprechen von nachhaltigen Einsparungen von über 10 Millionen Franken im Vergleich mit 2019. Im Wesentlichen handelt es sich um Personalkosten in Marketing, Administration und Entwicklung.

Wann wird der EBIT wieder zweistellig?

Wir sind abhängig vom Produktemix: Wenn bei uns die richtigen Produkte wieder gut laufen, dann kann der EBIT schnell wieder zweistellig ausfallen. Ich denke aber, dass es noch nicht dieses Jahr der Fall sein wird. Es gibt weltweit noch zu viele Unsicherheiten. In der Wertschöpfungskette gibt es als Folge der Krise immer noch einen 'Handorgeleffekt'. Der Auftragseingang wird nicht nochmals zum Erliegen kommen, aber die Folgen des extremen Herunterfahrens vor einem Jahr führen zu Schwankungen.

Wird dieser «Handorgeleffekt» in einem Jahr vorüber sein?

Ich denke, dass das Problem schon in drei bis sechs Monaten kein Thema mehr sein wird.

Wann werden Sie als Zeichen operativer Stärke die Dividendenzahlungen wieder aufnehmen?

Bis auf das Geschäftsjahr 2019 konnten wir unsere Dividendenzahlungen immer halten. Ich betrachte es aber als die richtige Entscheidung gegenüber den Mitarbeitenden und auch dem Staat, der uns unterstützte, im Mai 2020 keine Dividende zu bezahlen, obwohl wir 2019 operativ ja noch einen Gewinn geschrieben hatten. Unsere generelle Regel ist, dass 50 bis 60 Prozent des Gruppenergebnisses nach Steuern (EAT) ausgeschüttet wird. Sobald wir wieder etwas verdienen, zahlen wir auch die Hälfte aus. Ich hoffe, dass dies für 2021 der Fall sein wird.

Mit Europa als grösster Umsatzregion hat der Euro-Franken-Wechselkurs für Komax eine gewisse Bedeutung. Sie dürften derzeit von einem etwas geschwächten Franken profitieren. Aber was ist Ihre Prognose zu diesem Währungspaar?

Beim Euro haben wir es über die vergangenen Jahre geschafft, mehr von 'natürlichem Hedging' profitieren zu können. Wir haben akquisitionsbedingt mehr Wertschöpfung in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Dies balanciert und reduziert den Einfluss des Eurokurses. Grundsätzlich gehen wir aber davon aus, dass der Franken mit der Zeit immer stärker wird. Damit können wir umgehen. Herausfordernd sind kurze, heftige Schwankungen. 

Wird Komax nach der Pandemie den Mitarbeiterstamm in der Schweiz behalten können?

Die Währungssituation ist ein Faktor für einen Produktionsstandort, aber nicht der wichtigste. Komax hat gut 2000 Mitarbeitende, davon sind rund 650 in der Schweiz. Viele Faktoren sprechen für die Schweiz: Gute Ingenieure, ein Netzwerk von Lieferanten mit hoher Qualität, die Infrastruktur. Und die Schweiz als Marke ist sehr wichtig.

Wir sind nun wieder in einem wirtschaftlichen Aufschwung, erwartet werden demnächst weitere Öffnungsschritte in der Pandemie. Wie lautet für Sie als CEO eines Technologieunternehmens die generelle Prognose zur Schweizer Konjunktur?

Es ist nicht die erste Krise, die ich in meiner Zeit bei Komax erlebe. Ich habe die Krise von 2008 schon als Führungskraft und die Krisen der 90er Jahre als einfacherer Mitarbeiter in einem Unternehmen miterlebt. Betreffend Konjunktur bin ich grundsätzlich optimistisch, dass wir hier eine gute Ausgangslage haben. Persönlich bin ich begeistert von der Schweiz: Die Schweiz ist unkompliziert, Dinge gehen schnell, die Möglichkeiten sind gross. Andere Länder sind bei der Krisenbewältigung viel träger, viel administrativer. Die Haltung der Mitarbeitenden in der Schweiz ist eine des Mitdenkens, man bewältigt eine Krise gut, die von aussen kommt. Da haben wir eine hervorragende Situation. Dies gibt uns die Chance, aus der Krise sogar gestärkt hervorzugehen.

Matijas Meyer ist seit 2015 CEO des Herstellers von Kabelverarbeitungsmaschinen Komax mit Sitz in Dierikon LU. Der diplomierte Ingenieur der ETH Zürich arbeitet seit 2007 für Komax und leitete vor seiner Berufung zum CEO einen Produktions- und Entwicklungsstandort in Frankreich sowie die Konzerneinheit Wire. Davor war er für die Technologieunternehmen Tornos und Oerlikon tätig gewesen. Das Unternehmen Komax wurde 1975 gegründet und ist heute über Tochtergesellschaften und Vertretungen in 60 Ländern lokal präsent.