Mathias Düsterdick hatte keine Glaskugel. Zinswende, Ukraine-Krieg, Inflation - der Vorstandschef des Düsseldorfer Immobilien-Entwicklers Gerch mit Milliarden-Projekten in Planung und Bau sah die Krise auf dem über Jahre erfolgsverwöhnten deutschen Immobilienmarkt nicht kommen. Wie zahlreiche andere Marktteilnehmer auch. Jetzt steht Düsterdick in der stylischen, in gedeckten Farben gehaltenen Zentrale des in Schieflage geratenen Unternehmens in bester Düsseldorfer Innenstadtlage und muss erklären, wie er verhindern will, dass seine Projekte Bauruinen in deutschen Metropolen hinterlassen. Auch Stefan Höglmaier geht es nicht besser - der von ihm gegründete Projektentwickler Euroboden ist in die Insolvenz geschlittert. Höglmaier versucht zusammen mit seinem Partner nach Jahren des Aufschwungs nun, ein Nobel-Penthaus in einem ehemaligen Luftschutzbunker im Münchener Schickeria-Viertel Schwabing zu veräussern. Doch selbst für die sich über drei Stockwerke erstreckende Bleibe scheint sich bislang kein Käufer finden.
Mit rasender Geschwindigkeit gegen die Wand
Die Probleme der beiden Entwickler sind Teil einer Krise, die sich über die gesamte Branche erstreckt. «Der Investmentmarkt stand plötzlich nicht mehr zur Verfügung», beklagt Düsterdick: «Die Preise waren nicht mehr abrufbar.» Schlecht für Entwickler, die auf ihren Projekten sitzen bleiben - es findet sich schlicht kein Käufer mehr. Fliesst kein Geld aus den Projekten, geraten die Holding-Gesellschaften ins Straucheln. Grund für die Krise ist gleich ein ganzer Mix aus Problemen. In Folge des Ukraine-Kriegs explodierten die Materialpreise, Lieferengpässe entstanden - und die Europäische Zentralbank (EZB) hob zur Bekämpfung der ausufernden Inflation in rasantem Tempo die Zinsen an.
Für Immobiliengesellschaften, die sich in Zeiten niedriger Zinsen häufig hoch verschuldet hatten, und die Entwickler waren damit die Zeiten billigen Geldes und immer neuer Transaktionen vorbei. Der Markt trocknete förmlich aus, grosse Immobiliendeals wurden Mangelware. Das schürte Unsicherheit - die Akteure am Markt können nicht mehr mit Sicherheit beurteilen, was Immobilienpakete wirklich wert sind. Immobilienriesen wie Branchenprimus Vonovia oder LEG mussten ihre Bestände um Milliarden von Euro abwerten und legten Neubauprojekte auf Eis.
Den Entwicklern, die Grundstücke aussuchen, Bebauung planen und umsetzen und die idealerweise vermietete Gebäude mit Profit verkaufen wollen, ergeht es nicht besser. «Wir rasen mit hoher Geschwindigkeit gegen die Wand», sagt etwa Tillmann Peeters, Fachanwalt für Insolvenzrecht der Kanzlei FalkenSteg. Die ersten Entwickler seien bereits gefallen - und weitere könnten folgen. Das könnte Folgen für die Wirtschaft haben: Nach Daten des Analysehauses Bulwiengesa erstreckte sich das gesamte Projektvolumen per Ende Juni in der Bundesrepublik etwa über Wohnungsbau, Logistik und Handel auf 183 Millionen Quadratmeter, die sich in Planung, Bau oder Fertigstellung befanden. Die Daten zeigen auch, dass es bei rund 31 Prozent des Projektentwicklungsvolumens zu Verzögerungen kommt. Ein Alarmzeichen auch für den Wohnungsbau.
Dabei kannte die Branche über Jahre nur Wachstum. Höglmaiers Gesellschaft etwa kaufte 2010 einen Hochbunker im Münchner Stadtteil Schwabing. «Ein Schreckgespenst der NS-Zeit, ein sperriges Denkmal mit dem Potenzial hoher Wohnqualität», beschreibt Euroboden das Projekt: «Heute finden sich dort Ausstellungs- und Büroräume, sonnige Etagenwohnungen und ein Penthouse mit drei Geschossen.» In das Penthouse zog Höglmaier mit seinem Partner Oscar Loya, bekannt als Sänger aus dem Eurovision Song Contest. Eine beheizbare Zirbenstube und Bäder, gestaltet unter anderem mit wandintegriertem Aquarium oder blattvergoldeter Wand, durften nicht fehlen. Zahlreiche weitere Projekte folgten. Euroboden fuhr Millionen-Gewinne ein, sammelte Geld von Investoren und expandierte bis nach Berlin. 2022 begann dann die EZB an der Zinsschraube zu drehen. Im vergangenen Jahr bot Höglmaier das Penthouse zum Kauf an, aktuell ist es für knapp elf Millionen Euro zu haben - früher wurde es für 13 Millionen Euro angeboten. Höglmaier wollte sich nicht äussern, Loya war nicht zu erreichen. Der Verkauf der Wohnung habe nichts mit Euroboden zu tun, betonte das Unternehmen.
Euroboden musste zudem sein Frankfurter Büro schliessen. Im Juli dann informierte Euroboden Investoren, dass «aufgrund der aktuellen Immobilienkrise» Anleihen mit einem Volumen von rund 92 Millionen Euro restrukturiert werden müssten. Im August folgte die Entscheidung, für die Euroboden GmbH beim zuständigen Amtsgericht München einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen.
Dass die Krise weitere Opfer fordern könnte, erwartet auch Christoph Niering, Insolvenzverwalter und Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID). Die gestiegenen Baukosten, der Trend zur Heimarbeit und die hohen Zinsen könnten dazu führen, dass mehr Entwickler an Schwung verlieren.
Für Mieter bedeutet die Entwicklung insgesamt nichts Gutes, befürchtet Daniel Zimmermann, Experte für grosse Immobilien-Konzerne beim Deutschen Mieterbund. Immobilien-Unternehmen stünden unter erheblichem Finanzdruck, ihre Refinanzierungskosten stiegen angesichts der hohen Zinsen, neue Projekte würden nicht mehr entwickelt. «Bleiben die Zinsen auf diesem Niveau, wird sich das Problem für die Konzerne verschärfen», sagt er. Diese würden nun versuchen, Mieten zu erhöhen: «Sie werden ihre Möglichkeiten ausreizen.»
(Reuters)
2 Kommentare
Jeder Zyklus ändert mal die Richtung. Ewiges Wachstum ist eh unmöglich. Die Frage ist immer mehr, wer kann und will das noch bezahlen.
Deutschlands Politik zieht sehr viele Einwanderer an die dann auf Kosten der Steuerzahler untergebracht werden. Diese Wohnungen fehlen. In den Ballungsgebieten herrscht Wohnungsnot.
Insofern wäre ein anhaltender Wohnungsbauboom naheliegend. Der Grund dass dieser Boom abgebrochen ist liegt sehr stark an neuen ökologischen Gesetzesvorhaben wie dem Heizungsgesetz und der absichtlichen Verteuerung der Energie.