US-Präsident Joe Biden tritt nach wachsenden Zweifeln seiner Parteifreunde an seiner geistigen Leistungsfähigkeit und seinen Wahlchancen gegen Donald Trump als Präsidentschaftskandidat der Demokraten zurück. Das teilte Biden am Sonntag auf der Plattform X mit. Er werde sich darauf konzentrieren, seine Pflichten in seiner verbleibenden Amtszeit zu erfüllen, die noch bis Januar 2025 dauert, erklärte der 81-Jährige. Er wolle sich im Laufe der Woche an die Nation wenden, um seine Entscheidung zu erklären. Als neue Präsidentschaftskandidatin der Demokraten unterstütze er Vizepräsidentin Kamala Harris, sagte Biden.

Der republikanische Kandidat Trump, der vergangenes Wochenende nur knapp einem Attentat entkommen war, meldete sich kurz nach dem Bekanntwerden von Bidens Rückzug zu Wort: Harris sei seiner Ansicht nach bei der Wahl im November leichter zu schlagen als Biden, sagte er dem US-Sender CNN. Politiker in Deutschland zollten Biden Respekt für die Entscheidung. «Bis zuletzt zeigt er, dass er anders als Trump das Wohl seines Landes über persönliche Interessen stellt», sagte der aussenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid, zu Reuters. CDU-Chef Friedrich Merz schrieb auf X: «Joe Biden hat mehr als fünf Jahrzehnte lang dem amerikanischen Volk gedient. Seine heutige Entscheidung verdient grössten Respekt.» Das Bundeskanzleramt war für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen.

Nach einem schwachen Auftritt in einem TV-Duell gegen Trump Ende Juni und einigen sprachlichen Ausrutschern war Biden auch in den eigenen Reihen zunehmend unter Druck geraten, Platz für einen neuen Kandidaten zu machen. Immer mehr Parteifreunde hatten ihn offen oder im Hintergrund gebeten, auf die Kandidatur zu verzichten. Noch am Samstagabend habe er an seiner Kandidatur festgehalten, sagte eine Person mit Kenntnis der Situation. Doch am frühen Sonntagnachmittag Ortszeit habe er seinen engsten Mitarbeitern gesagt, er werde sich aus dem Rennen zurückziehen.

«Es war die grösste Ehre meines Lebens, als Ihr Präsident zu dienen», schrieb Biden. «Auch wenn ich beabsichtigt hatte, mich um eine Wiederwahl zu bewerben, glaube ich, dass es im besten Interesse meiner Partei und des Landes ist, zurückzutreten und mich allein auf die Erfüllung meiner Pflichten als Präsident in meiner verbleibenden Amtszeit zu konzentrieren.»

Mit dem Rückzug macht Biden den Weg frei für Vizepräsidentin Kamala Harris, in den Wahlkampf gegen Donald Trump zu ziehen. Sie wäre die erste schwarze Frau, die sich um das Amt bewirbt. Biden sagte, er unterstütze Harris als Kandidatin. Mitunter rief er auf X zu Spenden für ihre Kampagne auf. Als Stellvertreterin Bidens tat sich die 59-jährige Harris schwer, ihr Profil zu schärfen und hervorzustechen. Es blieb zunächst unklar, ob andere hochrangige Demokraten den Hut in den Ring werfen oder ob die Partei selbst das Rennen für offen erklärt.

Corona, Inflation, Kriege und Trump

Bidens Präsidentschaft war anfangs besonders geprägt von der Corona-Pandemie und den wirtschaftlichen Folgen. Er führte das Land durch ökonomisch schwierige Zeiten, in denen den Amerikanern - wie auch den Menschen in zahlreichen anderen Ländern - die hohe Inflation zu schaffen machte. Zu den aussenpolitischen Wegmarken zählt der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. Neben der offensichtlichen Rivalität zu China wurden für Biden vor allem aber Russlands Krieg gegen die Ukraine und der Krieg zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas zur Herausforderung.

Begleitet wurde Bidens Zeit im Weissen Haus von kontinuierlichen Störfeuern seines Erzrivalen Trump. Der Republikaner behauptet bis heute fälschlicherweise, er sei vor vier Jahren nur wegen Betrugs nicht wiedergewählt worden. Die Kontroverse gipfelte im Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, als ein wütender Mob von Trump-Anhängern die offizielle Bestätigung von Bidens Wahlsieg durch den Kongress gewaltsam verhindern wollte.

Als schwieriges Terrain erwies sich für Biden auch die seit Jahrzehnten ungeklärte Frage, wie die USA mit dem Zustrom an Einwanderern über die Grenze zu Mexiko umgehen sollen. Trump setzt voll auf Abschottung und Abschiebung. Die Demokraten müssen dagegen versuchen, einen Mittelweg zu finden, der es ihnen erlaubt, einen strikteren Kurs zu fahren, ohne jedoch grosse Teile ihrer Anhängerschaft zu verprellen, die für eine offenere, einwanderungsfreundliche Gesellschaft eintritt. Ähnlich verhält es sich beim Krieg in Nahost. Während die Regierung treu zum traditionellen US-Verbündeten Israel steht, erwarten vor allem jüngere Wähler, dass sie sich mehr für die Palästinenser einsetzt.

(Reuters)