21 Prozent der befragten Ostdeutschen halten ihren Landkreis oder ihre Stadt sogar für abgehängt, geht aus einer Umfrage des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) hervor. Diese fusst auf einer Befragung von fast 5500 Personen und lag der Nachrichtenagentur Reuters am Freitag vorab vor.

Zum Vergleich: Im Westen liegt der Anteil mit zehn Prozent weniger als halb so hoch. Umgekehrt halten nur neun Prozent der Ostdeutschen ihre Stadt oder ihren Landkreis für eine Boomregion, während es im Westen 20 Prozent sind. In beiden Landesteilen bezeichnet jeweils etwa die Hälfte ihre Heimatgegend als stagnierend, etwa ein Fünftel als aufsteigend.

Trotz des deutlichen Abbaus der Arbeitslosigkeit ist weniger als jeder dritte Ostdeutsche zufrieden mit der Entwicklung auf dem heimischen Arbeitsmarkt während der vergangenen zehn Jahre. Ein Drittel ist sogar explizit unzufrieden. Das IW sieht in der demografischen Entwicklung einen Erklärungsansatz dafür. «Zum einen schlagen hier die zunehmende Alterung, zum zweiten die Abwanderung zu Buche und könnten entsprechende Erfolge überstrahlen», sagte IW-Studienautor Matthias Diermeier zu Reuters.

Mit Ausnahmen einiger Städte wie Leipzig, Dresden oder dem Berliner Umland leide der Osten unter Bevölkerungsschwund. Die Einwohnerzahl der ostdeutschen Kreise ist demnach allein von 2012 bis 2022 im Mittel um 2,2 Prozent geschrumpft, während die westdeutschen um 4,5 Prozent gewachsen sind.

Grösserer Pessimismus in schrumpfenden Regionen

Der ökonomische Pessimismus ist in schrumpfenden Regionen zugleich besonders ausgeprägt: 80 Prozent der Befragten unterschätzen dort der Studie zufolge die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Wohnregion, im Westen sind es 51 Prozent – das sind jeweils über 20 Prozentpunkte mehr als in den wachsenden Regionen.

«Populistische Parteien machen sich diesen Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit natürlich zunutze», sagte IW-Forscher Diermeier. «Wirtschaftlicher Pessimismus spiegelt sich in einer stärkeren Neigung zu politischen Rändern wider – sprich AfD und BSW.»

Das sei kein rein ostdeutsches Phänomen. Nur würden dort die meisten schrumpfenden Regionen liegen. «Die schwachen Regionen laufen Gefahr, in eine Abwärtsspirale hineinzugeraten», warnte der Experte. «Wenn sich dort Abwanderung und wirtschaftlicher Pessimismus verfestigen und populistische Parteien an den Rändern noch stärker werden, dann wird es sehr schwer, Fachkräfte aus anderen Regionen oder aus dem Ausland anzulocken.»

«Erfolge klar benennen»

Zu einem ähnlichen Befund wie das IW kommt auch das Ifo-Institut. «Populistische Parteien finden vor allem in Regionen Zuspruch, in denen eine hohe Zahl älterer Wahlberechtigter lebt und in denen die Menschen mit wenig Zuversicht in die Zukunft schauen», sagte der stellvertretende Leiter der Ifo-Niederlassung Dresden, Joachim Ragnitz, nach Auswertung der Europawahl-Ergebnisse. «Auch eine hohe Unzufriedenheit mit der eigenen wirtschaftlichen Situation begünstigt ein solches Wahlverhalten.» Ein Zusammenhang zu Faktoren regionaler Wirtschaftskraft oder einer ungünstigen Arbeitsmarktsituation sei hingegen nicht festzustellen.

Die AfD hat laut Umfragen die Chance, bei den Landtagswahlen in beiden Freistaaten am 1. September zur stärksten Partei aufzusteigen. «Insbesondere die AfD lebt davon, apokalyptische Untergangsszenarien zu zeichnen - egal ob beim Arbeitsmarkt, der Energiewende oder der Migration», sagte der Forscher. «Sie zerredet wirtschaftliche Erfolge. Das schwächt das Vertrauen in die handelnden politischen Akteure und letztlich in die Region.»

Wirtschaftliche Erfolge gibt es dem IW zufolge für den Osten durchaus zu vermelden. «Ostdeutschland hat in seiner wirtschaftlichen Entwicklung während der vergangenen zehn Jahre klar zum Westen aufgeschlossen», heisst es in der Analyse.

«Sowohl beim Abbau der Arbeitslosigkeit als auch bei der Lohnentwicklung sind Ost und West näher zusammengerückt.» So liegt etwa die Arbeitslosenquote in Sachsen und Thüringen deutlich unter der in Nordrhein-Westfalen oder dem Saarland.

Den Unternehmen vor Ort komme eine wichtige Rolle zu, Erfolge zu vermitteln. Sie würden eine relativ hohe Glaubwürdigkeit geniessen, anders als etwa Politik und Medien. «Wirtschaftliche Erfolge sollten daher ebenso klar benannt werden wie die vorherrschenden Schwierigkeiten», sagte IW-Forscher Diermeier. Die Politik sollte darauf abzielen, gleichwertige Lebensverhältnisse zu ermöglichen. «Das kann in Stadtnähe zum Beispiel durch die Ansiedlung von Behörden oder Unternehmen geschehen», so der Experte. «Im ländlichen Raum muss hingegen eine infrastrukturelle Grundversorgung gewährleistet sein.»

(Reuters)