«Israel handelt auf der Grundlage seines Rechts, sein Territorium und seine Bürger zu verteidigen, im Einklang mit seinen moralischen Werten und in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht», teilte das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Freitagabend mit. Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hatte Israel zur Beendigung der Militäroffensive im Süden des Gazastreifens gegen die radikal-islamische Hamas aufgefordert.

Die Hamas begrüsste zwar das Urteil, forderte aber weitere Entscheidungen des sogenannten Weltgerichts wegen der «brutalen und gefährlichen» Besetzung des Gazastreifens durch die israelische Armee. Israel hatte damit auf einen Überfall der Hamas im Oktober reagiert, bei dem diese zahlreiche Menschen getötet und weitere entführt hatte.

Der IGH, das höchste Rechtsorgan der UN, erklärte, die humanitäre Lage in Rafah im Süden des Gazastreifens sei katastrophal. «Israel muss seine Militäroffensive sofort einstellen», sagte der Vorsitzende Richter Nawaf Salam. Israel habe keine ausreichenden Informationen über die Sicherheit der Bevölkerung zur Verfügung gestellt.

Dies gelte auch für «die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, Wasser, sanitären Einrichtungen und Medikamenten für die 800.000 Palästinenser, die bereits aus Rafah geflohen sind», erklärte Salam. Israel habe die Bedenken über die Folgen der Angriffe nicht ausreichend berücksichtigt.

Netanjahu weist Vorwürfe als falsch und empörend zurück

Netanjahu wies in seiner Stellungnahme erneut die Völkermord-Vorwürfe Südafrikas zurück, die Anlass des Prozesses vor dem Weltgericht sind. Diese Anschuldigungen seien «falsch, empörend und moralisch verwerflich». Die Einsätze in Rafah würden nicht derart durchgeführt, dass der Zivilbevölkerung physische Zerstörung im Ganzen oder in Teilen drohen könnte.

Nach Rafah hatten sich über eine Million Palästinenser vor israelischen Angriffen geflüchtet. Hunderttausende haben die Stadt wieder verlassen, nachdem das Militär Anfang des Monats die Bevölkerung anwies, bestimmte Stadtteile wegen bevorstehender Angriffe zu verlassen und in Lagern im zentralen Gazastreifen Schutz zu suchen.

Das Weltgericht wies Israel an, den Grenzübergang von Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen für humanitäre Hilfe zu öffnen. Zudem müsse Ermittlern Zugang zu dem Küstenstreifen ermöglicht werden. Die Regierung in Jerusalem müsse darüber hinaus innerhalb eines Monats Bericht erstatten über die getroffenen Massnahmen. Israel hatte die Offensive gegen die Stadt trotz starker Bedenken von Verbündeten begonnen. Der Vorstoss ist nach israelischer Darstellung notwendig, um die Hamas-Einheiten in Rafah auszuschalten.

Südafrika will UN-Sicherheitsrat anrufen

Der Gerichtsbeschluss zur Einstellung der Kämpfe in Rafah erfolgte auf Antrag Südafrikas und ist Teil einer umfassenderen Klage gegen Israel. Das afrikanische Land wertete den Richterentscheid als faktischen Aufruf zu einer Feuerpause. Die «Hauptpartei in diesem Konflikt» sei aufgefordert worden, «ihre kriegerischen Handlungen gegen das palästinensische Volk zu beenden», sagte Zane Dangor, Generaldirektor des südafrikanischen Amts für Internationale Beziehungen.

Die südafrikanische Regierung kündigte an, sich nun an den UN-Sicherheitsrat zu wenden. Die Anweisung des IGH sei bindend und müsse von Israel befolgt werden. Der IGH hat keine Möglichkeit, seine Urteile selbst durchzusetzen.

Arabische Länder begrüssen Richterspruch

In europäischen Staaten wurden zunächst wenige Stellungnahmen abgegeben. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell erklärte lediglich, man werde zwischen der Unterstützung internationaler Institutionen und der für Israel zu entscheiden haben. Der belgische Aussenminister Hadja Lahbib erneuerte die Forderung nach einer Feuerpause und der Befreiung der israelischen Geiseln.

In arabischen Staaten und der Türkei wurde die Entscheidung des IGH positiv aufgenommen. Der jordanische Aussenminister Ayman Safgadi forderte den UN-Sicherheitsrat auf, die «Straflosigkeit» Israels zu beenden. Die Türkei erklärte, kein Land stehe über dem Gesetz. Es werde erwartet, dass die Anordnungen des IGH rasch umgesetzt werden.

(Reuters)