Inmitten zunehmender Rezessionssorgen ebbt die Inflationswelle im Euroraum deutlich ab. Auch weil die EZB mit Zinserhöhungen massiv dagegenhielt, lässt die Teuerung nun nach: Die Verbraucherpreise stiegen im Oktober um 2,9 Prozent zum Vorjahresmonat, wie das Statistikamt Eurostat am Dienstag in einer Schnellschätzung mitteilte. Das ist das niedrigste Niveau seit Juli 2021. Volkswirte hatten 3,1 Prozent erwartet. «Die Inflation in der Euro-Zone ist in einen Sinkflug übergegangen und weist damit auch den Weg für die EZB», sagte Robert Greil, Chefstratege von Merck Finck. Griechenlands Notenbankchef Yannis Stournaras hält erste Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Mitte des kommenden Jahres für möglich.

«Persönlich würde ich über eine Zinssenkung nachdenken, wenn die Inflation Mitte 2024 dauerhaft und nachhaltig die Schwelle von drei Prozent unterschreitet», sagte das EZB-Ratsmitglied dem «Handelsblatt.» Stournaras hofft, dass viele Kollegen dem zustimmen. «Aber wir haben das noch nicht diskutiert.»

Der abflauende Inflationsdruck im Euroraum geht mit einer wirtschaftlichen Talfahrt einher: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank von Juli bis September überraschend um 0,1 Prozent. Experten hatten eine Stagnation erwartet, nachdem die Wirtschaft im Euroraum im Frühjahr noch um 0,2 Prozent gewachsen war.

«Zahlreiche Belastungsfaktoren sprechen für ein schwaches Winterhalbjahr», prognostiziert Chefökonom Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Neben der mauen Weltwirtschaft zählten hohe Energiepreise und Zinsen dazu. Die EZB hat auf ihrer jüngsten Sitzung angesichts der Konjunkturflaute und nachlassender Inflation beschlossen, ihre Zinserhöhungsserie zu stoppen. Sie hatte im Kampf gegen die starke Teuerung seit Sommer 2022 die geldpolitischen Schlüsselsätze zehn Mal in Folge angehoben. EZB-Präsidentin Christine Lagarde wies nach dem Zinsbeschluss allerdings die Idee schneller Zinssenkungen zurück.

Das EZB-Ratsmitglied Ignazio Visco betonte, er halte die Ausrichtung der EZB, die Zinsen über einen ausreichend langen Zeitraum auf dem aktuellen Niveau zu belassen, für eine kluge Entscheidung. «Nach einem derart deutlichen und schnellen Anstieg der Leitzinsen ist in den kommenden Monaten sicherlich Vorsicht geboten», fügte der scheidende Chef der italienischen Notenbank an seinem letzten Tag im Amt hinzu. Die Wirtschaft könnte in den kommenden Monaten aufgrund der geldpolitischen Straffung einen weiteren Rückgang der Nachfrage zu spüren bekommen.

«Auftakt für eine beginnende Rezession»

Die EZB strebt eine Inflationsrate von zwei Prozent an, die sie als ideal für die Entwicklung der Wirtschaft ansieht. In Deutschland schrumpfte das BIP im Sommer leicht, in Italien stagnierte die Wirtschaft. Frankreich schaffte ein Mini-Wachstum von 0,1 Prozent und in Spanien sprang ein Plus von 0,3 Prozent heraus. Laut EZB-Chefin Lagarde bleibt die Konjunktur im Euroraum wahrscheinlich für den Rest des Jahres schwach.

VP-Bank-Chefvolkswirt Thomas Gitzel sieht die BIP-Daten für das dritte Quartal als schlechtes Omen: «Dies dürfte der Auftakt für eine beginnende Rezession sein.» Chefvolkswirt Daniel Hartmann von der Bantleon AG geht davon aus, dass die Schrumpfung beim BIP der Euro-Zone im laufenden vierten Quartal noch grösser ausfallen wird als im Sommer: «Gleichzeitig wäre damit auch die klassische Definition einer Rezession erfüllt.»