Kurz vor der Zinssitzung der EZB zieht die Inflation im Euroraum wieder an. Obwohl der Anstieg einen Tick stärker ausfiel als erwartet worden war, gilt eine Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) auf ihrem Zinstreffen am Donnerstag dennoch weiter als wahrscheinlich. Die Verbraucherpreise erhöhten sich im Mai um 2,6 Prozent binnen Jahresfrist, wie das EU-Statistikamt Eurostat am Freitag in einer ersten Schätzung mitteilte. Volkswirte hatten 2,5 Prozent erwartet. Noch im April lag die Rate bei 2,4 Prozent. Die Kerninflation, in der die schwankungsanfälligen Preise für Energie- und Lebensmittel sowie für Alkohol und Tabak ausgeklammert werden, nahm auf 2,9 Prozent zu nach 2,7 Prozent im April.

Volkswirten zufolge werfen die neuen Daten die EZB nicht aus der Bahn. «Die EZB wird darüber hinwegsehen und nächste Woche die Zinsschrauben etwas lockern», kommentierte Ökonom Bastian Hepperle von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank die Daten. «Noch liegt die Inflationsrate zwar leicht über dem Zwei-Prozent-Zielwert, entscheidender ist aber der günstige Inflationsausblick», meint der Experte. Auch Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, ist sich sicher: «Die EZB wird am kommenden Donnerstag den Leitzins um 25 Basispunkte ungeachtet der Inflationsentwicklung im Mai senken», sagte er. «Das ist gewissermassen in Stein gemeisselt.» Ob es aber zu den ursprünglich erwarteten deutlichen Zinssenkungen komme, bleibe in Anbetracht des Anstiegs der Kerninflationsrate jetzt fraglich.

Daten weder schlecht noch gut

Aus Sicht von Italiens Notenbankchef Fabio Panetta stellen die Mai-Daten keine Überraschung dar. Der Anstieg der Teuerungsrate auf 2,6 Prozent im Mai sei erwartet worden, sagte das EZB-Ratsmitglied am Freitag in Rom zu Journalisten. Die Daten seien «weder gut noch schlecht», merkte an. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane hatte erst vor wenigen Tagen gesagt, die EZB könne auf dem Treffen am Donnerstag voraussichtlich das oberste Niveau der Restriktion wegnehmen. Unter einem restriktiven Zins verstehen Währungshüter eine Zinshöhe, bei der eine Volkswirtschaft gebremst wird.

Der Zinspfad nach dem Juni gilt allerdings für viele Währungshüter als offen. Zuletzt waren für mögliche Schritte nach unten vor allem die Sitzungen im September und Dezember in den Blick gerückt, wenn den Währungshütern zu ihren Beratungen jeweils neue Konjunktur- und Inflationsprognosen der Notenbank-Volkswirte vorliegen. Vor wenigen Tagen hatte der Notenbankchef der Niederlande, Klaas Knot, in einer Rede gesagt, dass solche Projektionsrunden-Sitzungen des EZB-Rats die Schlüsselsitzungen sein werden für die Zinsentscheidungen.

Die Energiepreise nahmen im Mai in der 20-Länder-Gemeinschaft binnen Jahresfrist um 0,3 Prozent zu. Noch im April waren sie um 0,6 Prozent zurückgegangen. Die Preise für Lebensmittel, Alkohol und Tabak zogen um 2,6 Prozent an nach plus 2,8 Prozent im April. Die Preise für Industriegüter ausserhalb des Energiesektors stiegen um 0,8 Prozent nach 0,9 Prozent im Vormonat. Dienstleistungen, die die EZB momentan besonders im Auge hat, verteuerten sich um 4,1 Prozent nach plus 3,7 Prozent im April.

In Deutschland, der grössten Volkswirtschaft im Euroraum zogen die Preise um 2,8 Prozent an nach 2,4 Prozent im Mai. Das hat auch einen statistischen Grund. Denn die Einführung des Deutschland-Tickets lag im Mai ein Jahr zurück, womit der preisdämpfende Effekt aus dem Jahresvergleich herausfiel. In Lettland sank dagegen die Inflation auf 0,2 Prozent nach 1,1 Prozent im April. In Frankreich erhöhte sich die Rate auf 2,7 Prozent nach 2,4 Prozent im April.

(Reuters)