Als Olaf Scholz im Atomstreit schriftlich auf seine Richtlinienkompetenz als Bundeskanzler verwies und den vorläufigen Weiterbetrieb des AKW im Emsland verkündete, schreckten viele auf. Ein Kanzler, der gegenüber seinen Koalitionspartnern auf sein Recht zur Entscheidung verweisen müsse - das sahen auch viele Kommentatoren in Medien als Schwäche. Innerhalb der kurzen Legislaturperiode hat Scholz bereits drei Mal ein Machtwort gesprochen. Er gleicht sehr viel mehr einem "Basta"-Kanzler als dies seine Vorgängerin Angela Merkel je war.

Für Scholz-Vertraute ist dies nicht neu: In Hamburg habe es in seinen Zeiten als Erster Bürgermeister eine geflügelte Abkürzung gegeben "OWD" - "Olaf will das", wird der leise, aber entschiedene Machtanspruch immer wieder kolportiert. Und auch in der internen Ampel-Abstimmung haben sich Kabinettsmitglieder nach Informationen aus Regierungskreisen diesen Spruch hinter den Kulissen schon anhören müssen.

Drei Machtworte an SPD, Grüne und FDP

Drei Beispiele: Der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar hat dafür gesorgt, dass Scholz nur drei Tage später wichtige Teile des gerade erst ausgehandelten Koalitionsvertrages von SPD, Grünen und FDP abräumte. Kurzerhand verkündete er am 27. Februar ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen der Bundeswehr und eine Aufstockung des Wehretats auf mindestens zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung pro Jahr. Damit überrumpelte er sowohl die Grünen als auch wichtige Teile der SPD, die sich im Wahlkampf und im Koalitionsvertrag noch geziert hatten, sich überhaupt zu dem Nato-Ziel von zwei Prozent zu bekennen. "Es war eine längst überfällige Massnahme, mit der wir endlich die Vernachlässigung der Bundeswehr beenden", sagte FDP-Chef Christian Lindner der "Neuen Zürcher Zeitung".

Beim Atomstreit wiederum stoppte Scholz vor allem die FDP-Forderung nach einer Atomkraft-Laufzeitverlängerung bis 2024 - und überging gleichzeitig einen Parteitagsbeschluss der Grünen, indem er festlegte, dass der Meiler im Emsland bis April 2023 laufen darf. Dass Scholz dafür die Form eines Briefes wählt, in dem er auf seine Richtlinienkompetenz hinwies, zeigt nach Angaben aus Regierungskreisen nur, wie verfahren die Debatte zwischen Grünen und FDP zuvor gewesen war.

Und am Mittwoch beschloss das Bundeskabinett gegen die kollektiven Warnungen der Grünen- und FDP-Ministerien sowie aus den Ampel-Parteien, dass die chinesische Reederei Cosco mit 24,9 Prozent in die Betreibergesellschaft eines Terminals im Hamburger Hafen einsteigen darf. "Das ist die richtige Lösung", betonte Scholz am Donnerstag. Die Sorge vor einem "falschen" Einfluss Chinas auf die Infrastruktur des Hamburger Hafens sei zwar berechtigt. Aber mit der gefundenen Lösung werde gerade dies ausgeschlossen, sagte der Kanzler und drückte seinen Kurs durch.

Die Ampel - Grummel-Partner, aber kein Aufstand

Scholz profitiert von diesem Vorgehen, auch wenn es in den Medien durchaus kritisiert wurde. Im ZDF-Politbarometer ist er nun erstmals seit langem beliebtester Politiker. Scholz legt auch in einer Forsa-Frage bei der Zustimmung zu, während die Ampel-Regierung als Ganze sehr schlecht beurteilt wird. "Er wird dafür belohnt, dass er Entscheidungen trifft - denn unabhängig vom Inhalt ist genau dies ein Zeichen der Stärke", sagt der Politologe Gero Neugebauer.

Bemerkenswert ist zudem: Weder seine eigene Partei, noch Grüne oder FDP revoltierten. "Das zeigt nur, dass die wahre Schwäche bei den Koalitionspartnern liegt. Denn sie wissen, dass sie diese Regierung gar nicht verlassen können", meint Neugebauer. Das nutze Scholz aus. Die Grünen stehen zwar in Umfragen besser da, könnten aber bei vorgezogenen Neuwahlen dennoch abgestraft werden. Die FDP müsste nach den Wahlschlappen in den Landtagswahlen sogar fürchten, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Und die SPD wirkt wie gezähmt, weil sie nur mit Scholz eine Chance auf das Kanzleramt hat.

Ein Wechsel zu einem Jamaika-Bündnis mit der Union fänden zudem weder Grüne noch FDP attraktiv, heisst es bei mehreren Gesprächspartner in den Ampel-Parteien. Weder gilt CDU-Chef Friedrich Merz als Wunschpartner, noch möchten Grüne oder FDP mit der CSU koalieren. Auf die Frage, ob Merz ein guter Kanzler wäre, sagte Lindner: "Wir haben einen guten Kanzler."

Gegrummelt wird dennoch: Ungewöhnlicherweise hatten sich im Kabinett am Mittwoch mehrere Ministerien von Grünen und FDP hinter eine Protokollnotiz gestellt, die ausdrücklich und in drastischen Worten vor den Gefahren eines Cosco-Einstiegs in die Betreibergesellschaft im Hamburger Hafen warnte. Aber im Kanzleramt beeindruckte dies weniger - auch wenn man sich um den erneuten Eindruck der Zerrissenheit dieser selbst ernannten "Aufbruchs-Koalition" sorgt. Ein wirklicher Aufstand hätte jedoch anders ausgesehen: Wenn etwa Aussenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck das Thema wirklich so wichtig gewesen wäre, dann hätten sie auch einen Koalitionsausschuss einfordern können. "Im Grunde sind doch alle zufrieden, dass Scholz die Verantwortung auf sich genommen hat", heisst es deshalb in Regierungskreisen. 

(Reuters)