cash.ch: Was löst Kunst bei Ihnen aus?

Karola Kraus: Kunst regt meine Fantasie und meinen Puls an. Dadurch, dass ich früh mit Kunst umgeben war, kann ich mir ein Leben ohne die Beschäftigung mit Kunst nicht vorstellen. 

Wie sind Sie als erstes mit Kunst in Kontakt gekommen?

Durch die Sammeltätigkeit meiner Eltern stand ich schon als Jugendliche im Austausch mit Künstlern. Meine Eltern begannen Anfang der 1970er Jahre Werke des deutschen Informel zu sammeln. Sehr schnell wurde unser Haus im Schwarzwald zu einer Begegnungsstätte für Künstler und kunstinteressierte Freund*innen unserer Familie. Es gab hitzige Diskussionen über Kunst, die mein Leben und das meiner Geschwister prägen sollten. Eine Initialzündung war für mich jedoch die Begegnung mit Martin Kippenberger. Er weckte in mir das Interesse für die zeitgenössische Kunst und war sicher der Auslöser für meine Entscheidung, mein Hobby zu meinem Beruf zu machen.

Muss ein Kunstwerk zeitlos sein?

Zeitlos im Sinne von wertbeständig oder wertsteigernd ist sicher ein wichtiger Parameter in der Sammlungspolitik. Prinzipiell macht es aber einen grossen Unterschied, ob man privat sammelt oder für eine Institution, wo es darum geht, Lücken in der bestehenden Sammlung zu schliessen beziehungsweise die künftige Ausrichtung der Institution im Blick zu haben. 

Wie identifizieren Sie interessante Werke? 

Ein gutes Kunstwerk wirft mehr Fragen auf, als es eindeutig Antworten liefert.

Wie können Privatpersonen bei der Auswahl von Kunstwerken vorgehen? 

Mein Rat für Sammlungseleven ist, so viele Ausstellungen wie möglich anzuschauen und so viel wie möglich über die Künstler*innen in Erfahrung zu bringen. Viele Kunstinstitutionen bieten für ihre Freundeskreise spannende Programme an. Mit unseren mumok Contemporaries besuchen wir zum Beispiel Ausstellungen, Kunstmessen, Privatsammlungen oder Künstler*innenateliers und führen so interessierte Menschen an die zeitgenössische Kunst heran. Eine Möglichkeit, relativ preiswert Kunstwerke aufstrebender junger sowie etablierter Künstler*innen zu kaufen, sind Auflagenarbeiten. Das mumok gibt regelmässig Editionen von Künstlerinnen heraus, die im Haus ausstellen. 

Seit 1970 existiert Art Basel als Kunstmesse. Wie stark und in welcher Hinsicht hat sich Kunst in den vergangenen Jahrzehnten verändert?

Einhergehend mit der Globalisierung und der Veränderung unserer Gesellschaft hat sich die westliche Kunstszene immer mehr dem Osten und dem Globalen Süden geöffnet und wird zunehmend diverser. Das zeigt sich bei Galerien und Museen und bei der Biennale in Venedig genauso wie bei der Art Basel. 

Wie sehen Sie die Entwicklung auf dem Kunstmarkt?

In der zeitgenössischen Kunst wurde in den letzten Jahren so viel investiert wie noch nie. Diese Entwicklung demonstriert den mittlerweile weltweit hohen Stellenwert der zeitgenössischen Kunst, ist aber auch kritisch zu betrachten, da die Kunst Gefahr läuft, zur reinen Kapitalanlage degradiert zu werden. Eine Studie hat gezeigt, dass im letzten Jahr der weltweite Umsatz auf dem Kunstmarkt um 4 Prozent gesunken ist. Auch die derzeitigen Auktionsergebnisse sowie die Kunstmessen verzeichnen Rückgänge, was sicherlich der Inflation und den damit einhergehenden Kostensteigerungen geschuldet ist.

Inwiefern spielt hier Künstliche Intelligenz schon eine Rolle?

KI spielt in allen Bereichen des Lebens eine grosse Rolle, so auch in der Kunst. Die Bedeutung der KI wird kontinuierlich zunehmen und es wird sicher eine Kunstproduktion entstehen, die mit Hilfe von KI spannende künstlerische Positionen hervorbringt. Ich bin für jegliche Kunstformen und Zeitgenossenschaft offen. Gleichzeitig wird aber auch das Bedürfnis nach Äusserungen jenseits dessen stark zunehmen. Nach dem Originären, dem Analogen. 

Sehen Sie auch Übertreibungen?

Mir scheint, dass das Thema NFT, welches 2021 so intensiv verhandelt wurde, sich bereits überlebt hat. Die Kunst sollte sich nicht im alleinigen Experiment mit dem Neuen erschöpfen, sondern sollte stets von Selbstreflexion sowie von einer kritischen Revision der gesellschaftlichen Zusammenhänge und Produktionsbedingungen begleitet werden.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung auf dem Sekundärmarkt?

Auf dem Sekundärmarkt werden nach wie vor sehr hohe Umsätze getätigt, dies jedoch vor allem im hochpreisigen Segment.

Karola Kraus, Tochter des deutschen Kunstsammler-Ehepaars Anna und Dieter Grässlin, absolvierte ihr Studium der Kunstgeschichte, Neuere deutsche Literatur und klassischen Archäologie in Stuttgart und München. Nach ihrem Studienabschluss arbeitete sie an verschiedenen internationalen Ausstellungsprojekten mit. Von 1999 bis 2006 war sie Leiterin des Kunstvereins Braunschweig und anschliessend der Kunsthalle Baden-Baden. Im Oktober 2010 übernahm sie die Direktion des Museums moderner Kunst in Wien.

ManuelBoeck
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