In seinem 13. Global Insurance Report zeigt der Vermögensverwalter BlackRock die weltweiten Anlagetrends der Versicherer auf. Trotz der zahlreichen Herausforderungen wie geopolitischen Krisen, Rezessionsgefahr und Inflation bleiben die beiden BlackRock-Manager im Freitagsgespräch zuversichtlich, was die Anlagemöglichkeiten der Versicherer anbelangt - und zeigen auf, warum Investitionen in die Infrastruktur ein ganz natürlicher Bereich für Versicherungsunternehmen ist.

Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage?

Van Eyseren: Zum einen sehen wir in der Umfrage eine Fortsetzung der Trends der letzten Jahre: 91 Prozent der global Befragten gaben an, dass sie die Allokation in private Märkte erhöhen wollen - das ist eine sehr, sehr hohe Zahl. Wir sehen also eine breite Akzeptanz der Anlageklasse. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass die Versicherer immer mehr Möglichkeiten für Investitionen in den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft sehen. 

Was die Risikoseite anbelangt, bewerten Versicherer vor allem das Risiko einer Rezession vor dem Hintergrund einer anhaltenden Volatilität sehr hoch. Die Volatilität war bereits in den vergangenen Jahren durch Covid oder geopolitische Risiken wie den Ukraine-Krieg hoch, das hat sich also fortgesetzt.

Was noch auffällt: In diesem Jahr haben 68 Prozent der Befragten regulatorische Entwicklungen als wichtigstes Thema genannt. Das ist das erste Mal seit langer Zeit, dass dieses Thema für unsere Versicherungskunden ganz oben auf der Liste steht, noch vor den geopolitischen Spannungen. Das ist sehr interessant.

Warum ist das Thema so relevant?  

Van Eyseren: Wir sehen zwar keine massiven Veränderungen in den Regulierungssystemen, aber eine kontinuierliche Entwicklung. In Europa hat sich zum Beispiel Grossbritannien vom Kontinent abgespalten. Es gibt also zwei Solvabilitätsregelungen. Die Schweiz hat den Schweizer Solvenztest, der sich mit der Zeit weiterentwickelt, wenn neue Systeme und neue Anlageklassen hinzukommen. Auch die Bermudas sind dabei, ihr Regulierungssystem kontinuierlich zu verbessern.

In den USA gibt es ebenfalls Überlegungen zu möglichen Änderungen. Asien hat seine eigenen Regelungen eingeführt, die den europäischen Solvabilitätsregelungen sehr ähnlich sind. Es handelt sich also nicht um eine massive Umgestaltung, sondern vor allem um die Erkenntnis, dass man als Versicherungsunternehmen, wenn man weltweit tätig sein will, mit mehreren Regelungen konfrontiert ist. Das hat Auswirkungen auf die Kapitalanforderungen und natürlich auch auf die Rentabilität. 

Auffällig ist die hohe Anzahl von Investitionen in den privaten Markt, die weltweit ansteigen. Gilt das auch für die Schweiz?

Krättli: Ja, die Investitionen in den privaten Markt steigen auch in der Schweiz stark an. Olivier nannte ja bereits die 91 Prozent auf globaler Ebene. In der Schweiz sind es 85 Prozent der Befragten, welche die Investitionen erhöhen wollen. Noch interessanter ist, dass fast ein Drittel der Befragten (31%) angaben, dass sie beabsichtigen, den Anteil zwischen 6 und 9 Prozent zu erhöhen, was sehr hoch ist. Für die Versicherer gibt es gute Gründe, dort zu investieren. 

Van Eyseren: Die Diversifizierung und die Verringerung der Volatilität im Portfolio sind die Hauptriebfedern für die Anleger. Private Märkte sind eine grossartige Möglichkeit, in einem diversifizierten Portfolio zusätzliche Erträge zu erzielen. Und wenn man sich das bereits erwähnte Zinsrisiko ansieht, sind sowohl private Schulden als auch die Infrastruktur viel immuner gegen Zinsänderungen, weil man einen Grossteil der Zinsanpassungen weitergeben kann. Es handelt sich also auch um eine Art Absicherung gegen Zinsanpassungen. Sicherlich ist das auch einer der Gründe, warum private Märkte so beliebt sind.

Welchen Einfluss hat die geopolitische Instabilität auf das Anlageverhalten? 

Van Eyseren: Die Studie konzentriert sich auf die Investitionsseite der Bilanz und nicht auf die versicherungstechnischen Risiken, also die Passivseite. Interessant für uns ist deshalb die Frage, ob Versicherungsunternehmen die geopolitischen Risiken als potenziellen Grund für eine harte Landung der Wirtschaft ansehen. Oder ob es sich im Grunde nur um eine Art «weiche Landung» handelt, was bedeutet, dass sich die Wirtschaft allmählich verlangsamt, die Inflation nachlässt und die Zinsen schrittweise sinken. Nur 8 Prozent der Befragten glauben, dass es zu einer harten Landung kommen wird, was eine sehr niedrige Zahl ist.

Krättli: Das kann ich aus Schweizer Sicht nur bestätigen. Es stellt sich ja damit auch die Frage, ob die institutionellen Anleger das Gesamtrisiko in ihrem Portfolio verändern wollen. In der Schweiz will die grosse Mehrheit mit 92 Prozent das Risikoniveau in den nächsten zwei Jahren unverändert lassen, die restlichen wollen es sogar erhöhen. Insgesamt fühlen sich die Kunden mit der Höhe des Risikos, das sie eingehen, also wohl.

Aktuell haben wir die Situation, dass in einigen Ländern die Zinssätze sinken und die Inflation in vielen Ländern zurückgeht. Welche Auswirkungen hat das auf die Anlagestrategie?

Van Eyseren: Das ist eine sehr interessante Frage, die ich in zwei Teilen beantworte. Der erste ist, dass eine erhöhte Volatilität auch die Chancen innerhalb einer bestimmten Bandbreite erhöht. Wir sehen also wahrscheinlich mehr Möglichkeiten, die sich aus den verschiedenen Formen der Zinsentwicklung ergeben. 

Gleichzeitig sieht ein Grossteil der Versicherer das Zinsrisiko als grösstes Marktrisiko in den kommenden zwei Jahren an. Ich denke, das spiegelt in gewisser Weise die aktuelle Situation wider, dass jede Zentralbank heute einen anderen Weg einschlägt. Einige haben früher mit den Zinssenkungen begonnen, andere später. Einige senken aggressiver, andere lassen sich mehr Zeit mit der Analyse der Daten. Das erhöht im Grunde die Zinsrisiken für die Versicherungsunternehmen.
Krättli: Die Studie hat gezeigt, dass die Versicherer planen, die Zuweisung zu traditionellen festverzinslichen Wertpapieren weiter zu erhöhen. Festverzinsliche Wertpapiere werden auch in einem Umfeld niedrigerer Zinsen nicht verschwinden. Und ich denke, die Versicherungsgesellschaften haben sich über einen langen Zeitraum mit sehr niedrigen Zinssätzen auch in gewissem Masse darauf eingestellt, wieder in einem Umfeld mit niedrigeren Zinssätzen zu arbeiten.

Welche Rolle spielt die Versicherungswirtschaft bei der Finanzierung von Energie- und Infrastrukturprojekten?

Van Eyseren: Eine überaus wichtige! Denn Banken werden künftig nicht mehr in der Lage sein, so viel zu finanzieren, wie sie es in der Vergangenheit getan haben. Die Gründe dafür würden ein weiteres Interview locker füllen. Aber das ist die Realität. Hinzu kommt, dass in den meisten westlichen Ländern ein grosser Druck auf die Staatsausgaben ausgeübt wird. Nimmt man also diese beiden Elemente zusammen, so bedeutet dies, dass ein Raum für Versicherungsunternehmen geschaffen wurde, die sich ebenfalls an der Finanzierung von Infrastrukturprojekten beteiligen können.

Das ist für sie als langfristige Investoren mit einem Anlagehorizont 10, 20, 30 oder 40 Jahren sehr attraktiv. Infrastruktur ist auch aus Sicht der Solvabilität eine sehr versichererfreundliche, stabile Anlageklasse, die Cashflows und Dividenden bringt. Es ist also ein ganz natürlicher Bereich für Versicherungsunternehmen, in dem sie sich engagieren können.

Krättli: … und der Bereich wächst weiter, gerade auch aufgrund der Energiewende. Allein in der Schweiz gaben 77 Prozent der Teilnehmenden an, dass sie jetzt viel überzeugter sind, in Projekte für eine kohlenstoffarme Wirtschaft zu investieren als noch vor 12 Monaten.

Unterscheidet sich die Anlagestrategie Schweizer Versicherer von der in anderen Ländern?

Krättli: Nein, die ist - mit wenigen Nuancen - ziemlich identisch mit dem globalen Bild, das wir in der Umfrage aufgezeigt haben. Auch hier stellen die Zinssätze das Hauptrisiko dar und die Schweizer Versicherer wollen auf dem privaten Markt ebenfalls weiter expandieren.

Was die Schweiz von anderen Ländern vielleicht etwas unterscheidet, ist der starke Fokus auf Immobilien. Das wird sich voraussichtlich auch nicht so schnell ändern. Jeder dritte Versicherer will die Allokation in Immobilen sogar weiter ausbauen. Man kann also davon ausgehen, dass Immobilien weiterhin eine wichtige Anlageklasse in den Portfolios der Schweizer Versicherer bleiben werden. 

Wie unterstützt BlackRock ihre Versicherungskunden?

Van Eyseren: Ein wichtiger Teil unserer Arbeit mit Versicherungsgesellschaften besteht darin, sie bei der Bewältigung der heutigen Komplexität zu unterstützen und gemeinsam mit ihnen die bestmöglichen langfristigen Ergebnisse für ihr Portfolio zu erzielen. Wir bieten ihnen gezielte und massgeschneiderte Anlagestrategien, die auf die Investitionsbedürfnisse und -anforderungen des jeweiligen Kunden zugeschnitten sind.

Olivier Van Eyseren ist seit 2023  Leiter der Financial Institutions Group bei BlackRock in EMEA.

Sandro Krättli ist seit 2011 Stellvertretender Leiter des Institutional Client Business bei BlackRock in der Schweiz.

Dieses Interview ist zuerst in der Handelszeitung erschienen.