Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag die Manufaktur Nomos im sächsischen Ort Glashütte besucht, hat das nicht nur mit der Qualität der dort gefertigten Uhren zu tun. Ein gutes halbes Jahr vor den Landtagswahlen will er auch ein politisches Zeichen in dem östlichen Bundesland setzen. Denn Nomos gehört zu den Firmen in Sachsen, die frühzeitig eine klare politische Haltung gegen Populismus und Rechtsradikalismus bezogen haben. Die Firma gehört zu dem wachsenden Netzwerk «Business Council for Democracy» (BC4D), in dem sich mittlerweile 125 Firmen zusammengeschlossen haben, die auch ihre Mitarbeiter für Demokratie und Weltoffenheit schulen.
Hintergrund ist angesichts der Umfragen die Sorge, dass eine sehr starke AfD der regionalen Wirtschaft schaden könnte. Immerhin liegt die AfD nach der jüngsten Umfrage mit 35 Prozent klar vor der CDU des amtierenden Ministerpräsidenten Michael Kretschmer mit 30 Prozent. Deshalb schrillen die Alarmglocken gerade bei den Unternehmen, die auf ausländische Fachkräfte angewiesen sind. «In vielen Firmen reift die Erkenntnis, dass sie sich engagieren müssen, übrigens auch mit den Mitarbeitern sprechen müssen», sagte die Präsidentin des Verbands der Familienunternehmer, Marie-Christine Ostermann, der Nachrichtenagentur Reuters. Der Chef des Flugzeugzulieferers MTU Aero Engines, Lars Wagner, kündigte vergangene Woche an, die Gefahr durch erstarkende politische Extreme in Betriebsversammlungen anzusprechen. «Wir haben da einfach einen Vorbildcharakter.»
Veränderung durch alltägliche Erfahrungen
Deshalb erlebt nicht nur BC4D einen Aufschwung, sondern etwa auch das 2016 gegründete Netzwerk «Wirtschaft für ein Weltoffenes Sachsen» mit mittlerweile 110 Mitgliedsfirmen. «Die Nachfrage steigt stark, vor allem mit Blick auf die Wahlen», sagt Sylvia Pfefferkorn, stellvertretende Vorstandssprecherin, zu Reuters. Bei der bundesweiten Initiative BC4D - einem Gemeinschaftsprojekt von Hertie-Stiftung, Bosch-Stiftung und dem Institut für Strategic Dialogue (ISD) - sind es nach Angaben von Elisabeth Niejahr, Geschäftsführerin des Bereichs «Demokratie stärken», mittlerweile 125 Mitgliedsfirmen. Dazu gehören neben Nomos globale Konzerne wie VW, Deutsche Bahn, Lufthansa, aber auch Evonik oder die Deutsche Bank.
Was gerade BC4D und das sächsische Netzwerk eint: «Uns geht es nicht darum, eine Schulung gegen die AfD zu betreiben», betont Niejahr. «Wir schulen FÜR etwas – für Demokratie, für Weltoffenheit.» BC4D setzt deshalb auf ein besonderes Prinzip, das vielleicht nicht spektakulär klingt, aber Breitenwirkung erzielen soll: «Wir bieten kostenlose Schulungen am Arbeitsplatz an, aber setzen dabei auf ein Schneeballsystem», meint Niejahr. Sind Mitarbeiter geschult, sollen und können sie intern weitere Schulungen für Kollegen übernehmen. «Unsere Erfahrung ist, dass es viel besser ist, wenn Menschen selbst Muster in den politischen Debatten erkennen», sagt Niejahr zur Begründung.
Pfefferkorn ist davon überzeugt, dass man bei den Mitarbeitern selbst und deren Lebenswelt ansetzen muss. «Auch Beschäftigte mit eindeutig rechten Tattoos können sich um einen Praktikanten aus Syrien kümmern – und dann feststellen, dass dieser gut für das Unternehmen ist», sagte sie. «Veränderung finden nicht durch Ansagen von oben statt, sondern durch alltägliche Erfahrungen.»
«Anders geht es nicht»
Hintergrund der Bemühungen ist in allen Fällen, dass Unternehmenschefs der Meinung sind, dass sie politisch Position etwa gegenüber Rechtsextremismus beziehen müssen - weshalb sich bundesweit etliche CEO nach den Berichten über eine Konferenz in Potsdam öffentlich äusserten, bei der es über massenhafte Abschiebungen von Menschen mit Migrationshintergrund gegangen sein soll. Angesichts des wachsenden Arbeitskräftebedarfs sehen Wirtschaft und Politik die Notwendigkeit, mehr Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen. Dies geht nur mit einem Klima der Weltoffenheit.
In den östlichen Bundesländern gelten diese Gespräche auch mit Belegschaften als noch dringender. «Denn es ist klar, dass sich mehr als 30 Prozent Zustimmung für die AfD in Umfragen in entsprechenden Grössenordnungen in vielen Betrieben abbilden», meint Pfefferkorn. Allerdings gibt es Unterschiede: Firmen wie die Elbe Flugzeugwerke (EFW) in Dresden, die der Kanzler ebenfalls besucht, beschäftigen schon heute Mitarbeiter aus mehr als 30 Nationalitäten.
Wie Politiker von SPD, Grünen, Union und FDP lobt auch Pfefferkorn die Bedeutung der Demonstrationen seit der Berichterstattung über die Konferenz in Potsdam. Seither sei das Interesse an ihrer Arbeit enorm gestiegen. «Es ist sehr wichtig, dass in kleinen Städten im Osten demonstriert wird. Da stehen dann vielleicht nur 300 Menschen auf dem Marktplatz - aber sie sehen, dass es andere gibt, die die Willkommenskultur und demokratische Grundwerte teilen».
Denn der Rückzug vieler Menschen, die Angst vor einer heftigen politischen Auseinandersetzung gilt als ein entscheidender Grund für das Erstarken von Rechts- und Linkspopulisten. «Ich kenne auch Bürgermeister, die sich nicht mehr politisch äussern wollen», sagt ein Spitzenpolitiker in Sachsen. «Genau deshalb wollen wir auch die Beschäftigten motivieren, wieder Flagge zu zeigen. Anders geht es nicht», meint Pfefferkorn.
(Reuters)