Die grossen US-Techkonzerne GAFAM, das heisst Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft, haben den Boom an den US-Börsen angeführt. Wird ihre enorm hohe Bewertung anhalten - oder sehen Sie ihre Position gefährdet?

Caroline Hilb: Wenn die Zinsen in den USA ansteigen, werden die US-Techkonzerne einen Teil ihrer starken Performance abgeben. Sicher gehören GAFAM zu den Krisengewinnern und haben vom Digitalisierungsschub profitiert. Ebenfalls waren sie nicht von den Lockdowns betroffen – im Gegenteil. Das war es aber nicht alleine. Die tiefen Zinsen sind auch ein wichtiger Treiber hinter den höheren Kursen. Sie haben dazu geführt, dass die erwarteten Gewinne dieser Firmen besonders attraktiv aussahen. Solange die Zinsen tief sind, wird die Bewertung auch sehr hoch bleiben. Aber im Zuge einer restriktiveren Geldpolitik, vor allem in den USA, werden die Bewertungen auf diesem Niveau nicht zu halten sein. Trotzdem sehe ich die Position der US-Techkonzerne nicht gefährdet. Sie haben ein einzigartiges Geschäftsmodell, sie sind weltweit tätig, haben eine starke Marktmacht und sie sind finanzstark. Das grösste Risiko sehe ich bei den Regulatorien, hier denke ich beispielsweise an die Digitalsteuer. Aber bis diese Firmen an die kurze Leine genommen werden können, braucht es noch einige Jahre.

Welche attraktive Alternativen sehen Sie derzeit zu Aktien?

Zu Aktien sehe ich keine attraktive Alternative, aber es gibt sinnvolle Ergänzungen. Aktien sind liquide, sie bezahlen Dividenden und sie sind eine sehr transparente Anlageklasse. Mit den Konjunkturaussichten, der Erwartung an die Geldpolitik und mit einem vertieften Blick auf ein Unternehmen lässt sich bereits viel abschätzen. Ich rate aber davon ab, einzig auf Aktien zu setzen. Obligationen sind im Tiefzins-Umfeld zwar wenig überraschend sehr unbeliebt, aber sie haben ihren Job in den letzten Jahren ganz gut gemacht. Obligationen helfen, die Performance in einem Portfolio zu glätten. Sie sind der einzige Gegenpol zu Aktien, der an Wert zulegt, wenn die Aktienmärkte unter Druck geraten. Darum rate ich, einen Anteil im Depot zu halten. Auch Gold finde ich als Beimischung interessant. Hier gilt es einfach den Dollar und die US-Zinsen im Auge zu behalten. Wenn sie steigen, ist das fürs Gold immer eine schlechte Nachricht. Ebenfalls eine sinnvolle Ergänzung sind Immobilienanlagen.

Wie stark sollte eine durchschnittliche Anlegerin auf Immobilien setzen - und in welcher Form?

Als Beimischung sind Immobilien im Depot eine interessante Anlageklasse. Für Privatinvestorn bieten sich Immobilienfonds oder Immobilienaktien an. Mit Blick auf die hohen Agios sind Fonds eine langfristige Anlage, empfehlenswert ist eine Allokation von 5-10 Prozent. Beim Fonds achte ich auf die Handelbarkeit und auch darauf, dass verschiedene Gebäudearten im Fonds abgedeckt sind. Ich ziehe auch Schweizer Immobilienfonds internationalen vor. Als Alternative zu den Immobilienfonds bieten sich Immobilienaktien wie SPS oder Mobimo an. Diese sind häufig gute Dividendenzahler. Ich finde Immobilienaktien die attraktivere Anlage als Immobilienfonds.

Wie ist Ihre Haltung gegenüber Kryptowährungen? Sind die neuartigen Währungen für Sie tabu?

Ich finde Kryptowährungen faszinierend. Sie sind eine spannende Mischung aus Spekulation und technologischem Fortschritt. Weil ihre Wertentwicklung aber sehr volatil ist, eignen sie sich nicht für jedermann. Die jüngsten Preisbewegungen haben gezeigt, dass es keine Einbahnstrasse ist und es auch Verluste geben kann. Ob und wie jemand mit diesen Verlusten umgehen will, sollte sich jeder schon vor dem Kauf überlegen. Vor allem, weil die starken Kursbewegungen nur schwer zu prognostizieren sind und oft überraschend kommen.

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Ebenfalls sollte jeder für sich klären, ob diese spezielle Anlage ins Depot und zur eigenen Investoren-DNA passt. Ich bin davon überzeugt, dass Kryptowährungen oder besser digitale Währungen in Zukunft noch eine grössere Rolle spielen werden. Nicht umsonst sind verschiedene Notenbanken daran, den Einsatz von digitalen Währungen zu prüfen. Auf jeden Fall erwarte ich, dass die Regulatorien im Bereich der Kryptowährungen gerade deshalb weiter zunehmen werden.

Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?

Die Corona-Krise beschäftigt die Finanzmärkte nicht mehr direkt. Weil es keine Lockdowns im grossen Stil mehr gibt, ist die Verflechtung zwischen Wirtschaft und Pandemie spürbar aufgelockert. Das grösste Risiko aktuell könnte aus dem strengen Corona-Regime Chinas erwachsen. Falls die Lockdowns dort die Transportkapazitäten negativ tangieren, dadurch die Frachtkosten steigen und sich die Lieferfristen nochmals verlängern. 

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?

Die defensiven Schwergewichte Nestlé, Roche und Novartis werden den Schweizer Aktienmarkt stabilisieren. Aber der Schweizer Aktienmarkt ist stark vom internationalen Umfeld abhängig. Ich erwarte, dass es mehr negative Überraschungen im Herbst geben wird. Das wird temporär für Rückschläge sorgen. In Summe bin ich weiterhin positiv für den Schweizer Aktienmarkt gestimmt. Ich erwarte eine andauernde Erholung der Konjunktur und auch von der Unternehmensseite her positive Gewinnmeldungen.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?

13'300 – Bei dieser Prognose orientiere ich mich am erwarteten Gewinnwachstum.

Das Interview erschien zuerst bei handelszeitung.ch mit dem Titel: GAFAM: «Ich sehe die Position der US-Techkonzerne nicht gefährdet»