Boeings Jahr 2024 startete bereits mit Pannen, als ein Rumpf-Fragment im Steigflug herausbrach und als Reaktion darauf ein Produktionsstopp der 737 durch die amerikanische Luftfahrtbehörde (FAA) verordnet wurde. Seither reihen sich die Hiobsbotschaften zum Flugzeughersteller aus Virginia aneinander: 30’000 Arbeiter streiken, weil sich Führungskräfte angeblich nur auf Renditen konzentrieren, Stellen werden abgebaut. Firmenanteile sollen verkauft werden, Testflüge müssen aufgrund von Problemen abgebrochen werden, Lieferungen des Modells 777X sind um Jahre verzögert, so auch die Wiederaufnahme des 737-MAX-Programms. Zudem wirkt die Corona-Pandemie nach.
Doch mit solchem Problemen ist der US-Flugzeugbauer nicht allein: Auch für den europäischen Konkurrenten Airbus ist die Lage alles andere als rosig. Der französische Flugzeughersteller kämpft ebenso mit technischen Problemen und muss Stellen streichen. Hinzu kommen Gewinneinbrüche von beinahe 80 Prozent.
Grösste Herausforderung bei Airbus ist derzeit allerdings die schneller und billiger arbeitende Konkurrenz in der Raumfahrt-/Satelliten-Sparte wie das «Starlink»-Projekt von Milliardär und Unternehmer Elon Musk. In den vergangenen Monaten hat der europäische Flugzeughersteller über 1,5 Milliarden Euro abgeschrieben, weil das Geschäft mit den Satelliten stockt und die Kosten bei vielen Militäraufträgen aus dem Ruder laufen. Und obwohl Airbus von der Dauerkrise von Boeing indirekt profitiert, kommt der US-Hauptrivale wegen Problemen in der Lieferkette kaum mit dem Abarbeiten von Bestellungen hinterher.
Dennoch verzeichnet die Aktie von Airbus einen Zuwachs von beinahe 1 Prozent seit Jahresanfang und kämpft sich derzeit vom Tief Anfangs Oktober zurück nach oben. Derzeit empfehlen 20 von 26 bei Bloomberg erfasste Analysten die Aktie zum Kauf und nur einer spricht eine Verkaufsempfehlung aus. Den Optimismus scheint die zuständige Analystin von Jefferies zu teilen, die letzte Woche das Kursziel von 160 auf 170 Euro anhob. Die Deutsche Bank vermerkt die Einstufung «Hold» mit einem Kursziel von 155 Euro, während die UBS Airbus auf «Neutral» mit einem Kursziel von 140 Euro belässt. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liegt derzeit bei 35, was darauf hindeutet, dass die Aktie im Vergleich zu ihrem aktuellen Gewinn hoch bewertet ist. Es sind also grosse Erwartungen an das zukünftige Wachstum gebunden und ein Vertrauen in die langfristige Performance liegt vor. Zum Vergleich: Das KGV von Boeing liegt aufgrund der Verluste im Minusbereich bei -12.
Licht am Ende des Tunnels
Diese positiv angehauchten Analystenmeinungen und der aufwärtstendierende Aktienkurs von Airbus stehen im Kontrast zum Aktienkurs von Boeing, der einen jährlichen Rückgang von etwa 10,8 Prozent aufweist. Wer das Papier erst seit drei Monaten hält, muss sich mit knapp 14 Prozent weniger im Depot arrangieren - auf Jahressicht sind es um die 40 Prozent. Seit ein knapp zwei Wochen legen jedoch auch die Titel von Boeing wieder ein wenig zu.
Anleger nahmen die Nachrichten über eine mögliche Beilegung des wochenlangen Arbeiterstreiks - welche sich nicht bewahrheiteten - positiv auf. Die Kosten des Streiks werden von der Unternehmensberatung Anderson Economic Group auf 7,6 Milliarden Dollar, davon allein 4,35 Milliarden Dollar für Boeing, geschätzt. Dabei sieht die finanzielle Lage für den Flugzeughersteller auch ohne diese Kosten nicht wirklich vielversprechend aus. Im dritten Quartal verzeichnete Boeing mit über 6 Milliarden Dollar den zweithöchsten Quartalsverlust seit 2018.
Finanzielle Abhilfe dürfte laut einem Medienbericht der Verkauf von Unternehmensteilen schaffen. Mit der Trennung von Randbereichen und Geschäften, die sich unterdurchschnittlich entwickelten, könnte Boeing dringend benötigtes Geld einnehmen, schrieb das «Wall Street Journal» am Sonntag. Erst in der vergangenen Woche hatte Boeing erste Konturen für ein 25-Milliarden-Dollar-Refinanzierungspakets geschnürt, mit dem das Unternehmen in den nächsten drei Jahren stabilisiert werden soll. In einer Pflichtmitteilung an die US-Börsenaufsicht SEC hatte der Konzern mitgeteilt, eventuell schrittweise neue Aktien zu emittieren oder Schulden aufzunehmen. Dies im Volumen von bis zu 25 Milliarden US-Dollar. Zudem sicherte sich das Unternehmen eine Kreditlinie von 10 Milliarden Dollar.
Weiter könnte eine erfolgreiche Stabilisierung und Erholung des Luftfahrtmarktes Auftrieb verleihen. 19 von Bloomberg erfasste Analysten empfehlen die Aktien nach wie vor zum Kauf, 11 würden die Titel halten und 5 sprechen sich für einen Verkauf aus. Die kanadische Bank RBC hat am Donnerstag die Einstufung für Boeing auf «Outperform» mit einem Kursziel von 200 US-Dollar belassen. Und auch die Bank of America (BofA) sieht der Zukunft nicht nur negativ entgegen. In einem entsprechenden Bericht geht hervor, dass Boeing zwar noch einige Hürden zu überwinden habe, jedoch mit der richtigen Ausrichtung und entsprechender Optimierung die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft gestellt werden können.
Gemäss BofA ist Boeing-CEO Kelly Ortberg somit ein zentrales Element für die Stabilisierung des Unternehmens. Nach den enttäuschenden Quartalszahlen besteht laut eigener Aussage Handlungsbedarf: «Meine Mission ist klar: Dieses grosse Schiff wieder in die richtige Richtung zu lenken und Boeing wieder in die Führungsposition zu bringen, die wir kennen und die wir wollen.» Dafür sei eine tiefgreifende Veränderung der Unternehmenskultur notwendig, um Geschäftsprozesse zu optimieren und deren Ausführung zu verbessern. Der zuvor erwähnte RBC-Analyst meint, Investoren sollten dem neuen Chef ausreichend Zeit einräumen, um bei Boeing die Wende hinzubekommen.