Der freundliche Start in die neue Börsenwoche (der Nasdaq 100 zum Beispiel steht aktuell über 1 Prozent höher) wird unter Strategen unterschiedlich aufgenommen. Während die Bullen die 5-prozentige Korrektur der letzten drei Wochen als gesunde Korrektur bezeichnen und die tieferen Kurse zum Einstieg in den laufenden Bullenmarkt nutzen, wittern die Bären auf der anderen Seite wieder Morgenluft und setzen weiter auf fallende Kurse. 

Nach wie vor haben beide Lager gute Argumente. Dies zeigt sich auch an den Meinungen von zwei Top-Strategen an der Wall Street, welche sich völlig uneins über die Aussichten für US-Aktien sind.

Während der überzeugte Aktienbär Michael Wilson von Morgan Stanley weiter pessimistisch ist und meint, dass sich die Stimmung wahrscheinlich weiter abschwächen wird, wenn die Anleger beginnen, "die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit in Frage zu stellen“, meint sein Kollege David Kostin bei Goldman Sachs, dass es Spielraum für Investoren gibt, um das Engagement weiter zu erhöhen. Kostin argumentiert damit, dass die US-Wirtschaft auf Kurs zu einer sanften Landung sei.

Der Aktienstimmungsindikator von Goldman Sachs – er misst neun Positionierungskennzahlen, darunter das Engagement von Hedgefonds, die Nachfrage ausländischer Investoren und Kapitalflüsse – fiel letzte Woche erstmals, nachdem dieser seit Dezember 2023 nur gestiegen war. In einer Notiz schreibt David Kostin, dass er einen Rückgang "von kurzer Dauer“ erwarte und dass Hedgefonds, Investmentfonds und Einzelhändler allesamt ihre "bullischen" Wetten verstärken würden, wenn sich "das Marktumfeld weiter verbessert“.

Wilson hingegen erklärte in einer Notiz gemäss der Nachrichtenagentur Bloomberg, die Aktieninvestoren seien mittlerweile zu optimistisch hinsichtlich einer sanften Landung geworden. Er ergänzte, die Abkühlung der Inflation habe die Fähigkeit der amerikanischen Unternehmen, die Preise zu erhöhen, eingeschränkt, und das werde sich im Laufe des Jahres noch verschlimmern, wenn die Verbrauchernachfrage nachlasse.

Darüber hinaus "kann man mit Fug und Recht behaupten, dass wir die Antwort auf diese Frage im Hinblick auf eine weiche Landung und eine damit verbundene Erholung der Preissetzungsmacht einfach noch nicht kennen“, schrieb Wilson weiter. "Wir sind davon überzeugt, dass die Märkte möglicherweise bis weit in den Herbst respektive Winter hinein risikoscheu bleiben werden, sollten sich die Fundamentaldaten wie erwartet verschlechtern und die Aktienkurse auf diesem hohen Niveau verharren.“

Wilson hat den Einbruch der US-Aktienbörsen im vergangenen Jahr richtig vorhergesagt und bleibt auch in diesem Jahr seiner pessimistischen Einschätzung treu, obwohl sich die US-Märkte trotz massiver Zinserhöhungen sehr gut erholt zeigen.

Mehr Volatilität wirft ihren Schatten voraus

Wie schwierig das Einschätzen der Aussichten ist, zeigt sich auch an der Volatilität der Aktienkurse sowie an der Positionierung der Optionshändler. Der Volatilitätsindex VIX auf den S&P 500 Index steht derzeit in einem Bereich von 15 bis 17 Punkten und somit deutlich höher als vor Monatsfrist, als dieser noch in einem Bereich von 12 bis 14 Punkten handelte. Das heisst, dass die Tagesschwankungen grösser sind als vor einem Monat - je höher der Index, desto höher die Tagesschwankungen und umgekehrt.

Allerdings signalisiert dieses Volatilitätsniveau noch kein Kaufsignal - der Volatilitätsindex VIX müsste dazu deutlich in den Bereich von 26 bis 32 Punkten vorrücken. Gleitet der VIX indessen wieder auf das Niveau von 12 bis 14 Punkten ab, so würde das die Bullen bestärken, denn ein tiefes Niveau signalisiert normalerweise ebenfalls ein Kaufsignal - sofern die Positionierung der Optionshändler den gleichen Schluss zulässt. 

Analysiert wird die Positionierung der Händler unter anderem am sogenannten Gamma-Level, welches die Händler derzeit mit Argusaugen verfolgen. Gamma ist eine Optionsrisiko-Indikator, der die Änderungsrate des Deltas einer Option pro Ein-Punkt-Bewegung des Preises des Basiswerts beschreibt.

Delta gibt an, um wie viel sich die Prämie - sprich der Preis - einer Option ändert, wenn sich der Preis des Basiswerts um einen Punkt ändert. Daher ist Gamma ein Mass dafür, wie sich die Änderungsrate des Optionspreises bei Schwankungen des zugrunde liegenden Preises ändert. Dabei gilt: Je höher das Gamma, desto volatiler ist der Preis der Option respektive der zugrunde liegende Index oder der Einzelwert.

So konnte zum Beispiel während dem Monat Juli beobachtet werden, dass das Gamma positiv war. Dies liess eine geringe Volatilität erwarten. Allerdings kann von Gamma nicht abgelesen werden, in welche Richtung sich der Markt bewegt, sondern nur wie stark. Die offenen Optionskontrakte über die Verfallsmonate zeigt daneben an, wie die Optionshändler positioniert sind. Die Positionierung war im Juli positiv, die Käufer von Call-Optionen und Verkäufer von Put-Optionen in Mehrzahl. Entsprechend ist der S&P 500 in kleinen Schritten von einem Jahreshoch zum nächsten gelaufen. 

Derzeit befindet sich der Markt in einem Umfeld mit einem erhöhten negativen Gamma. Das heisst, dass die Preisschwankungen volatiler als normal ausfallen. Die Gesamtpositionierung ist aktuell aber immer noch positiv, insofern kann nicht von einer generell negativen Marktstimmung gesprochen werden. 

Damit der S&P 500 Index wieder in ruhigere Fahrwasser zurückkehrt, müsste das Gamma wieder in den positiven Bereich drehen. Dieser Punkt wird als sogenannter "Gamma-Flip" bezeichnet. Dieser liegt gemäss Gammalab derzeit bei 4480 Punkten - aktuell steht der S&P 500 am Montag eine Stunde nach Börseneröffnung bei 4390 Punkten. Das bedeutet, dass sich der S&P 500 Index erst nach einem Kursanstieg von etwas mehr als 2 Prozent wieder in einem positiven, nachhaltigen Bullenmarkt-Terriotorium befinden würde. 

 

Thomas Daniel Marti
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