Der Fokus beim Halbjahresresultat des weltgrössten Nahrungsmittel-Herstellers liegt klar auf dem Realwachstum, welches im ersten Quartal um 2,0 Prozent geschrumpft war. Firmenchef Mark Schneider beteuerte jedoch mehrmals in den letzten paar Monaten, dass Nestlé ab dem zweiten Quartal und für den Rest des Jahres wieder einen positiven Wachstumsbeitrag durch Volumen und Produktmix erreichen werde.
Analysten erwarten für das Halbjahr ein Realwachstum von minus 0,5 Prozent, der Reingewinn dürfte gegenüber der Vorjahresperiode leicht schrumpfen.
Aber selbst mit einer Rückkehr in die Wachstumszone sehen Analysten den Lebensmittelriesen noch nicht aus dem Schneider: Nachdem Nestlé im ersten Quartal negativ überrascht habe, sei "die Wachstumsguidance für 2024 unverändert ambitiös", heisst es etwa bei der ZKB.
So befürchten manche Analysten, dass das Unternehmen die Guidance für das Gesamtjahr senken könnte, was die ohnehin schwachen Aktien weiter belasten würde. Es sei darum entscheidend, ob Nestlé bei der Mengenentwicklung ein nachhaltiger Umschwung gelinge. Gelingt dies nicht, ist die Enttäuschung vorprogrammiert.
Weiterhin im Fokus sind die Preiserhöhungen. Nestlé dürfte nach einem Plus von 3,4 Prozent im ersten im zweiten Quartal weniger stark am Preishebel gedrückt haben - davon gehen die Experten aus. Ausserdem rechnen sie für das zweite Quartal mit einer Verbesserung der EBIT-Marge.
Nestlé strebt für das Gesamtjahr ein organisches Umsatzwachstum von "um die 4 Prozent" an. Das Management hat angekündigt, nach dem Mengenrückgang von 2,0 Prozent im ersten Quartal im zweiten Quartal einen "starken Aufschwung beim RIG" und eine "stabile Leistung für den Rest des Jahres" zu erwarten. Auf der Gewinnseite soll die zugrunde liegende operative Marge "moderat" ansteigen. 2023 hatte diese bei 17,3 Prozent gelegen. Der bereinigte Gewinn pro Aktie soll bei konstanten Wechselkursen zwischen 6 und 10 Prozent steigen.
Reputation unter Druck: Untersuchungen und Ermittlungsverfahren
Im ersten Quartal litt Nestlé unter IT-Integrationsproblemen in seiner Gesundheitssparte Nestlé Health Science (NHSc), worauf die Verkäufe der Sparte um 3,6 Prozent schrumpften. Das Problem sollte bis Ende des ersten Halbjahres behoben worden sein, hiess es zuletzt im Frühling.
Nestlé blieb jedoch auch im zweiten Quartal nicht von Skandalen verschont. Unter anderem geriet das Unternehmen im April in die Schlagzeilen, nachdem NGOs Babynahrung von Nestlé auf ihren Zuckergehalt hin untersucht und festgestellt haben, dass die Produkte oft - und insbesondere in Schwellenländern - mit Zucker versetzt sind. Ausserdem ging der Fall von kontaminierten Pizzen der Marke Buitoni in Frankreich weiter: In Frankreich wurde ein formelles Ermittlungsverfahren gegen die Firma eingeleitet.
Probleme macht auch nach wie vor die Wassersparte. So wurden bei Nestlé unter anderem verbotene Filtermethoden mittels UV-Licht und Aktivkohlefiltern festgestellt, die die Gruppe auch einräumte. Ausserdem durchsuchten die französischen Behörden Standorte des Konzerns in Vittel und Contrexéville wegen Plastikflaschendeponien aus den Sechzigerjahren beim Vittel-Konzern.
Die Valoren von Nestlé haben 2024 bisher gut 3 Prozent eingebüsst und stehen damit deutlich schlechter da als viele andere Schweizer Aktien und auch als der Gesamtmarkt (gemessen am SMI), der in der gleichen Zeitspanne rund 10 Prozent zugelegt hat.
Kursentwicklung der Nestlé-Aktie.
Erweiterung der Geschäftsbereiche
Nestlé hat im zweiten Quartal zugekauft und sich für seine Gesundheitssparte Nestlé Health Science ein Mittel zur Behandlung von Darmerkrankungen ins Haus geholt. Nun will der weltgrösste Lebensmittelkonzern ebenfalls am Trend zu Abnehmspritzen teilhaben und lanciert darum in den USA eine Linie mit gesunden Fertigprodukten für die Nutzer von GLP-1-Medikamenten. Start für die neue Marke ist im vierten Quartal. Ausserdem hat das Unternehmen jüngst mehrere Technologien patentiert für gesündere Produkte, darunter etwa eine zur Fettreduktion von Milchprodukten und eine zur Zuckerreduktion bei Milchpulver.
Ausserdem kündigte das Unternehmen an, in Frankreich exklusiv mit dem Investmentfonds FnB über den Verkauf seiner Babynahrung (exklusive Säuglingsmilch) zu verhandeln.
Wechsel in der Geschäftsleitung
Seit 1. März leitet Anna Manz die finanziellen Geschicke von Nestlé. Sie war bereits bei der Präsentation der Erstquartalszahlen dabei. Nun hat sie allerdings das erste volle Quartal als Finanzchefin hinter sich. Sie hat bereits einige auch für Aussenstehende sichtbare Veränderungen bewirkt. Seit sie dabei ist, beschränkt sich beispielsweise der Medien- und Analysten-Call nach Zahlenmeldungen rein auf eine Q&A-Session, ohne dass das Management die Zahlen, die die Finanzwelt ohnehin bereits Stunden vorher erhält, noch einmal in einer Präsentation herunterbetet.
Per Anfang Juli hat Nestlé ausserdem Guillaume Le Cunff, dem vorherigen Nespresso-Chef, die Leitung der Zone Europa übertragen. Zudem haben die Investoren bald einen neuen Ansprechpartner: David Hancock übernimmt im Oktober von Luca Borlini, der sich neu um die Anliegen von Privataktionären und die Unterstützung des Nestlé-Aktienregisters konzentrieren wird.
(AWP)