«Gerade der Anstieg des Goldpreises zwischen Jahresanfang und Sommer war überraschend, da er gegen die Entwicklung der klassischen Treiber verlief, also trotz höherer Realzinsen, eines stärkeren Dollars und weiterer Abflüsse aus börsengehandelten Goldfonds», sagt Elias Hafner, Investment-Stratege bei der ZKB, gegenüber cash.ch. Hingegen haben Schwellenländer-Zentralbanken auch in diesem Jahr grosse Goldkäufe getätigt. Chinesische Privatinvestoren, die über eine begrenzte Auswahl an Anlagealternativen verfügen, zahlten lange einen Aufpreis auf den globalen Preis.
Zuletzt haben aber die klassischen Treiber wieder für mehr Unterstützung gesorgt. Die US-Renditen sind mit den Zinssenkungserwartungen an die Fed gefallen. So sind die Renditen auf zehnjährige inflationsgeschützte US-Staatsanleihen, welche als Referenz für die Opportunitätskosten der Goldhaltung gelten, seit Mai deutlich auf 1,605 Prozent zurückgegangen. Sinkt der Realzins, ist dies normalerweise positiv für den Goldpreis. Gleiches gilt, wenn der Dollar schwächer wird. Und der Greenback hat sich seit Ende Juni deutlich abgeschwächt.
«Jedoch haben die Bondmärkte bereits einen Grossteil des möglichen Potenzials für weitere Zinssenkungen eingepreist. Während die US-Notenbank (Fed) noch von möglichen Zinssenkungen um 50 Basispunkte bis Jahresende spricht, preist der zweijährige US-Treasury eine zusätzliche Reduktion um 100 Basispunkte ein», so Hans Peter Schmidlin, Rohstoff-Analyst und Investment Advisor der Basler Kantonalbank und der Bank Cler, gegenüber cash.ch. Obwohl der Goldpreis kurzfristig Auftrieb erhalten könnte, ist es wahrscheinlich, dass der Markt vor einem weiteren Anstieg zunächst eine leichte Korrektur oder Pause einlegen wird. Denn die Erwartungen an die Zinspolitik sind bereits stark in den Preisen reflektiert.
Hingegen haben die Gold-ETF-Bestände ihren Tiefpunkt durchschritten, was auf ein steigendes Anlegerinteresse hinweist. Gold wird auch weiterhin als Absicherung vor geopolitischen Risiken gesucht, beispielsweise vor dem Hintergrund der jüngsten Eskalationen im Nahen Osten, auch wenn dies gemeinhin schwierig zu quantifizieren ist.
Rückenwind aus Indien und Dollar-Risiken
Rückenwind erhält Gold derzeit aus Indien. Ende Juli hat das Land überraschend die Importzölle für Gold deutlich von 15 auf 6 Prozent gesenkt, was sich seither erheblich auf die Importmengen ausgewirkt hat. Ob dies nur temporär ist, wird sich nach der Fest- und Hochzeitssaison, die von August bis Dezember dauert, zeigen.
Indien verzeichnete im August 2024 laut dem World Gold Council mit Goldimporten im Gegenwert von 10,1 Milliarden Dollar einen neuen Rekord. Dies entspricht rund 140 Tonnen, was einer Verdreifachung gegenüber dem Vormonat und einer Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr entspricht.
Was dazukommt: Der Goldpreis hat sich von den realen Marktrenditen entkoppelt, seit die Entscheidung getroffen wurde, Russland vom Swift-Netzwerk auszuschliessen. Diese Massnahme signalisierte Regierungen und Zentralbanken weltweit, dass die Verwahrung von Auslandsvermögen in Dollar Risiken birgt. Vor allem die asiatischen Zentralbanken erhöhten ihre physischen Goldvorräte deutlich. Diese Entwicklung zeigt das wachsende Vertrauen in Gold als sicheren Hafen und unabhängige Wertanlage, insbesondere in einem Umfeld, das von geopolitischen Spannungen und währungspolitischen Risiken geprägt ist.
Mit der zunehmenden Bedeutung der Brics-Staaten werden vor deren Treffen vom 22. bis 24. Oktober 2024 in Kasan auch Spekulationen über eine neue Brics-Währung – möglicherweise mit Golddeckung – wieder aufgeheizt. Es gibt bereits Spekulationen darüber, dass eine Alternative zu Swift oder gar eine eigene Währung oder ein Währungskorb mit möglicher Golddeckung angekündigt werden könnte. Eine solche Alternative zum SWIFT-Zahlungssystem trägt bereits Namen wie «Brics Bridge» oder «Brics Pay» und soll auf Blockchain-Technologie basieren. Manche Stimmen im sogenannten «Goldbug»-Lager sehen darin das mögliche Ende des US-Dollar als Leitwährung.
Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die Zentralbank Saudi-Arabiens laut Goldanalyst Jan Nieuwenhuijs ihre Goldbestände seit 2022 heimlich um 160 Tonnen aufgestockt hat. Auch die Goldkäufe in Afrika haben in letzter Zeit aus verschiedenen Gründen zugenommen, wobei mehrere afrikanische Länder das geförderte Gold zunehmend im eigenen Land behalten wollen, anstatt es gegen Dollar zu verkaufen oder zu exportieren.
«Auffallend ist hingegen, dass sich die chinesische Zentralbank, die Gold auch für die chinesischen Konsumenten importiert, zuletzt zurückhielt. Erstmals seit Januar 2021 hat China im August kein Gold aus der Schweiz importiert», so Schmidlin. Tatsächlich zeigen die neuesten Daten des chinesischen Zolls, dass die importierte Goldmenge im August im Vergleich zum Vorjahr um nicht weniger als 83 Prozent auf nur noch 20,9 Tonnen zurückgegangen ist. Dies ist der dritte Monat in Folge, in dem die Importmenge im Vergleich zum Vorjahr gesunken ist, und die niedrigste Monatsmenge seit Februar 2021. Während noch vor wenigen Monaten an der Edelmetallbörse in Shanghai für Gold ein Aufschlag von 3 Prozent bis 5 Prozent gezahlt wurde, hat sich das Blatt nun gewendet.
Leider informieren die Zentralbanken der meisten Staaten nicht umfassend über ihre Aktivitäten, was die fehlende Transparenz auch zu einer politischen Komponente in ihren Entscheidungen macht. Laut einer Umfrage des World Gold Council vom Juni 2024 planen 29 Prozent der Zentralbanken, ihre Goldreserven in den nächsten zwölf Monaten weiter aufzustocken. 2024 scheint bisher ein weiteres Rekordjahr zu werden. Die Nettokäufe im ersten Halbjahr beliefen sich auf 483 Tonnen und lagen damit 5 Prozent über dem bisherigen Rekord von 460 Tonnen im ersten Halbjahr 2023. Auch wenn die Transaktionen der Zentralbanken von einigen hundert Tonnen über einen Monat oder länger auf den täglichen Handel mit mehreren tausend Tonnen Umsatz kaum Einfluss auf die Preisbildung haben, so haben sie dennoch eine starke Signalwirkung.
Harris-Preiskontrollen und ETF-Zuflüsse als Plus
«Der Goldmarkt ist derzeit davon überzeugt, dass die geopolitischen Konfrontationen mit einem US-Präsidenten Donald Trump eher abnehmen könnten. Die Äusserungen der Kandidatin Kamala Harris, dass Preiskontrollen für verschiedene Produkte eingeführt werden könnten, finden bei den Goldbugs Anklang», sagt Schmidlin. Preiskontrollen bergen die Gefahr, dass das Angebot an den entsprechenden Produkten sinkt und die Preise bzw. die Inflation steigen. Sollte es bei den kommenden Wahlen zu einem Gesamtsieg der Republikaner (einschliesslich Senat und Repräsentantenhaus) kommen, spekulieren Marktteilnehmer darauf, dass sich die Handelsbilanz durch Handelspolitik und Zölle verbessern und der Dollar dadurch gestärkt werden könnte. Dies hätte wiederum einen leicht negativen Effekt auf die Edelmetallpreise.
Die Prognose des BKB-Investment-Komitees für den Goldpreis in Schweizer Franken pro Kilogramm wurde im laufenden Jahr zweimal auf 75’000 Franken erhöht und der Goldpreis nähert sich bereits wieder dieser aktuellen Prognose. Langfristig dürfte der Goldpreis weiterhin über ein erhebliches Aufwärtspotenzial verfügen. «Auch wenn Gold im Laufe dieses Jahres zunehmend in den Fokus der Anleger gerückt ist, dürfte der Gegenwert aller Goldallokationen, insbesondere in den Portfolios westlicher Investoren, noch viel zu gering sein, als dass grössere Gewinnmitnahmen zu befürchten wären.» Kurz- und mittelfristig geht Schmidlin jedoch von einer Konsolidierung mit leichtem Rückschlagpotenzial aus.
Seit Jahresbeginn ist der Goldpreis in Dollar um nicht weniger als 28 Prozent gestiegen. Die meisten Anleger in den USA und Europa wurden von diesem Anstieg überrascht und sind unterinvestiert. Im professionellen Handel und in den Medien ist jedoch ein deutlich gestiegener Optimismus beziehungsweise eine stark gestiegene spekulative Positionierung zu beobachten. Vor allem Hedgefonds haben im Futures-Markt mittlerweile die höchsten Long-Positionen seit März 2020 aufgebaut. Mit Blick auf die langfristige Historie des Goldhandels bedeutet dies in der Regel, dass der Goldpreis in eine Konsolidierungsphase eintreten wird. Auch die verstärkte Zurückhaltung des chinesischen Marktes, der mittlerweile zum Hauptakteur im weltweiten physischen Handel geworden ist, sollte als Warnsignal gewertet werden.
Eine Spur optimistischer ist Giovanni Staunovo, Rohstoffanalyst bei der UBS: «Wir sehen weiterhin Auftrieb für Gold und haben letzte Woche unsere 12-Monatsprognose um 150 Dollar auf 2900 Dollar pro Feinunze erhöht.» Weiterhin solide Käufe von Zentralbanken stützen den Goldpreis, und jetzt kommen mit den Zinssenkungen der Zentralbanken zusätzlich Käufe von westlichen Investoren hinzu, vor allem über ETFs. «ETF-Zuflüsse dürften den Goldpreis zu neuen Rekordwerten antreiben», sagt der Experte gegenüber cash.ch.
Das Aufwärtsmomentum bei Gold ist zurzeit sehr stark. Hohe spekulative Investorenpositionen, umfassende Zinssenkungserwartungen an die US-Notenbank Fed und der Umstand, dass an den chinesischen Börsen mittlerweile ein Abschlag zum globalen Goldpreis verlangt wird, sind jedoch Faktoren, die laut Elias Hafner von der ZKB zu einer gewissen Vorsicht mahnen. «Da strukturelle Faktoren wie Zentralbankenkäufe, die hohe globale Staatsverschuldung und ein nach wie vor hoch bewerteter Dollar den langfristigen fundamentalen Ausblick für Gold stützen, könnten Rücksetzer von wenigen hundert Dollar pro Unze bereits als interessante Zukaufgelegenheit dienen», fügt der Experte jedoch gleichzeitig an.