Abnehmspritzen wie Wegovy von Novo Nordisk und Zepbound von Eli Lilly werden bislang vor allem von Frauen genutzt. «In unserer Klinik sind typischerweise zwei Drittel der Patienten in Gewichtsmanagementprogrammen Frauen, und das ist landesweit üblich», sagt Robert Kushner, Forscher für Adipositasmedizin an der Feinberg School of Medicine der Northwestern Universität in Chicago.

Doch neue Erkenntnisse über zusätzliche Gesundheitsvorteile dieser Medikamente könnten nun zunehmend auch Männer überzeugen: So sollen die Spritzen nicht nur zu deutlichen Gewichtsverlusten führen, sondern auch das Risiko von Herzkrankheiten senken und bei Schlafapnoe helfen. Immer mehr männliche Patienten zeigten daher Interesse an den Abnehmspritzen, nachdem Studiendaten neben dem Gewichtsverlust einen weiteren medizinischen Nutzen zeigten, sagt Kushner.

Männer versuchen eher, überschüssige Pfunde durch Diät und Sport zu verlieren, bevor sie zu Medikamenten greifen, wie Ärzte und Gesundheitsmarkt-Analysten im Gespräch mit Reuters erläutern. Frauen seien hingegen weniger zögerlich, ärztliche Hilfe beim Abnehmen zu suchen. Laut Daten des Marktforschungsinstituts IQVIA machten weibliche Patientinnen im ersten Quartal mindestens 78 Prozent der Verschreibungen für Wegovy und 76 Prozent oder mehr für Zepbound aus. Der Anteil der Männer mit Adipositas in den USA unterscheidet sich jedoch mit 43 Prozent kaum gegenüber dem der Frauen mit 42 Prozent.

«Diese chronische Krankheit macht keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern», unterstreicht ein Sprecher von Lilly. «Einige Patienten sind der Meinung, dass es mehr Wert hat, wenn man mehrere Vorteile hat», sagt die Ärztin für Schlaf- und Adipositasmedizin Audrey Wells. «Es ist legitimer, wenn es sich um eine Gesundheitsbehandlung und nicht nur um eine kosmetische Behandlung handelt.»

Im März war Wegovy in den USA auch als Behandlung zur Verringerung des Risikos schwerer Herzprobleme bei Erwachsenen mit Fettleibigkeit oder Übergewicht zugelassen worden. Die Abnehmspritze Zepbound zeigte in Studien eine Verbesserung der Symptome von Schlafapnoe, und Analysten erwarten eine Zulassung für diese Indikation bis Anfang nächsten Jahres.

Die Medikamente gehören zur Klasse der so genannten GLP-1-Agonisten, die ursprünglich zur Behandlung von Diabetes entwickelt wurden. Sie werden inzwischen auch zur Verringerung des Risikos oder des Fortschreitens von Nierenerkrankungen und zur Behandlung von Alkoholmissbrauch sowie für andere Gesundheitsfragen in Betracht gezogen. Solche neuen Anwendungen könnten nach Einschätzung von Ärzten das Geschlechtergleichgewicht verschieben.

Soziale und kulturelle Erwartungen

Manche Männer seien aber auch auf Empfehlung ihrer Frauen offener für die Abnehmspritzen, sagt die Adipositas-Expertin Fatima Cody Stanford vom Massachusetts General Hospital. «Die Frau mag die Idee oder den Gedankenprozess zur Einnahme von GLP-1 anstossen, aber der Mann folgt ihr dicht auf den Fersen.» Doch Analystin Emily Field von Barclays sieht den Markt für solche Medikamente, den sie auf 150 Milliarden Dollar im kommenden Jahrzehnt schätzt, immer noch hauptsächlich bei Frauen, da diese eher nach einer Lösung für ihre Gewichtsprobleme suchten.

Ärzte und Analysten führen die geschlechtsspezifischen Unterschiede auch auf soziale und kulturelle Erwartungen zurück, die Männern eher ein höheres Gewicht zugestehen. «Im Allgemeinen gehen Männer, insbesondere vor dem mittleren Alter, nicht so häufig zum Arzt. Ich denke, das stimmt mit einigen männlichen Stereotypen überein», sagt Wells. In den klinischen Studien, die Wegovy und Zepbound zur Gewichtsabnahme testeten, waren hauptsächlich Frauen eingeschrieben.

In Lillys Studie zu Schlafapnoe und Novos Herzkrankheitsstudie waren nach Angaben der Unternehmen dagegen mehr als siebzig Prozent der Patienten Männer. Nach Einschätzung von Analysten könnte dies aber eher die Krankheitshäufigkeit widerspiegeln. Denn nach Daten der US-Gesundheitsbehörde CDC sind Männer insgesamt häufiger von Herzkrankheiten und auch überproportional von obstruktiver Schlafapnoe betroffen. Frauen sind erst ab den Wechseljahren gleichermassen gefährdet.

«Viele Männer sind besonders besorgt, medikamentöse Lösungen auszuprobieren», sagt der 28-jährige Alex aus North Carolina, der seit vier Monaten Wegovy nimmt. «Denen antworte ich, dass das hier kein Pillenschlucken ist. Wenn man mit einer Spritze pro Woche zehn Jahre mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen kann, dann würden die meisten Leute sie wohl nehmen.»

(Reuters)