Der Flug von Schweden nach Nord-Makedonien, für den Nikoleta Dodova ihrer Mutter und ihrer Nichte im vergangenen Jahr Tickets gekauft hatte, wurde annulliert. Die beiden landeten letztendlich an einem Flughafen in zweistündiger Entfernung von ihrem geplanten Ziel. Die Fluglinie Wizzair schulde Dodova eine Entschädigung in Höhe von 800 Euro, entschied Schwedens nationale Verbraucherschlichtungsstelle. Bis heute wartet Dodova auf das ihr zustehende Geld. "Wenn sie nicht zahlen, halten sie sich nicht an das Gesetz", sagte Dodova.

Auch in Deutschland wächst die Zahl der unzufriedenen Flugpassagiere, die nach Verspätungen oder Flug-Annulierungen Geld verlangen. Die Auszahlungen allein der Lufthansa stiegen 2022 nach eigenen Angaben auf 331 Millionen Euro im Vergleich zu 25 Millionen Euro im Jahr 2021, das allerdings von Corona geprägt war. Die Erstattungen würden in der Regel innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen sieben Tage gezahlt, die für Fluggesellschaften in Europa gelten, hiess es von der Airline.

In diesem Jahr müssen die Fluglinien wohl erneut mit hohen Auszahlungen kalkulieren. Der Deutsche Richterbund warnt vor einer Klagewelle, die auf die Zivilgerichte zurolle. Im vergangenen Jahr hätten die Flughafengerichte bereits einen starken Zuwachs um rund 40 Prozent auf mehr als 70'000 Fälle gemeldet. "Die Entwicklung im Jahresverlauf sowie aktuelle Aussagen aus den Gerichten lassen darauf schliessen, dass sich der Aufwärtstrend 2023 fortsetzen dürfte." Den Grossteil solcher Streitigkeiten verlieren europäische Fluggesellschaften einem Brancheninsider zufolge.

Tech-Lösungen sollen langwierig Verfahren erleichtern

Die wachsende Zahl der Klagen und Verfahren stellt die Airlines vor eine weitere Herausforderung - neben fehlenden Arbeitskräften, möglichen Streiks und der grünen Transformation. Die ausführlichen Verbraucherschutzvorschriften der Europäischen Union (EU), die bei Verspätungen ab drei Stunden oder bei Annullierungen Entschädigungen von bis zu 600 Euro in Aussicht stellen, verärgern Fluggesellschaften seit Langem. Sie weigern sich zunehmend, die Kosten für Ausfälle oder Verspätungen zu übernehmen, wenn sie auf diese selber keinen Einfluss hatten. Der Verband der europäischen Luftfahrtgesellschaften Airlines for Europe (A4E) fordert eine Reform der bestehenden Regeln. Sie seien teilweise zu unkonkret formuliert und hätten sich zu einer grossen Belastung für die Airlines ausgewachsen.

In solchen Fällen vermittelt die beim Bundesjustizministerium angesiedelte Schlichtungsstelle Luftverkehr zwischen Airlines und Verbrauchern. Ihren Angaben zufolge gab es im vergangenen Jahr 46 Prozent mehr Streitfälle als 2019, dem Jahr vor Ausbruch der Corona-Krise. Insgesamt gingen 3800 Anträge gegen 122 Luftfahrtunternehmen ein, in 30 Prozent der Verfahren habe es keine Einigung gegeben. Die Bearbeitung dauerte wegen der hohen Anzahl mit 294 Tage länger als vor der Pandemie.

Fluggastrechte-Portale wie AirHelp, die Verbrauchern bei der Erstattung oder Entschädigung helfen, freuen sich mit Blick auf die oft langwierigen und komplizierten Verfahren über eine wachsende Kundschaft. Die Zahl der Anträge sei 2022 dreimal so hoch wie 2019 gewesen, sagte Airhelp-Chef Tomasz Pawliszyn. Wegen weiterer möglicher Streiks im Sommer rechne er auch in diesem Jahr mit steigenden Anträgen.

Inzwischen holt sich auch die Justiz bei der Bearbeitung der zahlreichen Klagen technische Hilfe. So hat das Amtsgericht Frankfurt am Main dem Deutschen Richterbund zufolge von IBM einen Urteils-Konfigurator entwickeln lassen, der Textbausteine vorschlägt und die Richterschaft nach einer Testphase im Massengeschäft der Fluggastverfahren unterstützen soll.

(Reuters)