Die EZB reagiert auf die nachlassende Inflationsgefahr mit der vierten und letzten Leitzins-Senkung in diesem Jahr. Wie es weiter geht, liess die Zentralbank offen.
Dass die EZB Zinsen während drei Sitzungen in Folge kappt, hat es so seit mehr als einer Dekade nicht mehr gegeben. Die Währungshüter um Zentralbank-Präsidentin Christine Lagarde hatten im Juni die Zinswende eingeleitet und seither konsequent nachgelegt. Ob und wie das Zinsstakkato im nächsten Jahr weitergeht, womit viele Investoren angesichts unsicherer Konjunkturaussichten rechnen, liess die EZB wie üblich offen.
Finanzexperten sagten dazu in ersten Reaktionen:
SIMON DANGOOR, ANLAGECHEF FIXED INCOME MACRO STRATEGIES, GOLDMAN SACHS ASSET MANAGEMENT
Nach der heutigen Zinssenkung um 0,25 % erwarten wir, dass die EZB ihren Lockerungszyklus fortsetzt, bis der Leitzins einen Wert unterhalb des neutralen Niveaus erreicht. Die Inflationsentwicklung in Europa verbessert sich weiterhin, während das Wachstum aufgrund der Unsicherheit im globalen Handel ins Stocken geraten ist.
Trotz der Zinssenkungen wird die EZB voraussichtlich die Grösse ihrer Bilanz weiter verringern, vor dem Hintergrund von erhöhten fiskalischen Ausgaben. Das könnte weiterhin Druck auf die Spreads von Staatsanleihen ausüben.
THOMAS GITZEL, CHEFÖKONOM VP BANK
Die EZB hält Kurs. Dabei sahen sich die Währungshüter zuletzt sogar mit einem neuerlichen Anstieg der Inflationsraten konfrontiert. Allerdings ist dies keine Überraschung. Dass es zum Jahresende zu Basiseffekten bei den Energiepreisen kommen wird, stand schon zu Jahresbeginn fest. Die europäischen Währungshüter blicken deshalb gelassen auf den kurzfristig wieder etwas höheren Preisdruck. Entscheidend ist, dass sich am mittelfristigen Inflationsausblick nichts ändert. Im kommenden Jahr wird die Geschwindigkeit des Preisanstiegs - auch nach Ansicht der EZB - wieder geringer sein.
Die wirtschaftlichen Risiken für die Eurozone bleiben hoch, dies signalisieren wichtige Konjunkturfrühindikatoren. Darüber hinaus zeigt nun auch der Arbeitsmarkt Risse. Es kommt zu Entlassungen und Werksschliessungen grosser europäischer Automobilhersteller. Auch aus diesem Grund fühlt sich die EZB unter Zugzwang.
Die EZB wird im kommenden Jahr ihre Zinssenkungen fortsetzen. Im ersten Halbjahr wird es zu gewichtigen Basiseffekten kommen, die vor allem die Kerninflationsrate weiter nach unten führen werden. Gerade die Kerninflationsrate, also die Preisentwicklung unter Ausklammerung der Energie- und Nahrungsmittelpreise, bereiteten der Zentralbank zuletzt noch Sorge.
Die europäischen Währungshüter werden also auch von dieser Seite grünes Licht für weitere geldpolitische Lockerungen bekommen. Der Einlagensatz dürfte im kommenden Jahr von neu 3 % auf 2 % gesenkt werden. Selbst der deutsche Bundesbankpräsident Joachim Nagel nahm jüngst in einer Rede die 2 % in den Mund.
DEAN TURNER, CHEFÖKONOM EUROZONE UND UK, UBS GLOBAL WEALTH MANAGEMENT
Die Europäische Zentralbank (EZB) senkte die Zinssätze bei der heutigen Sitzung um 25 Basispunkte, was sowohl unseren als auch den Markterwartungen entsprach. Aus unserer Sicht deutet eine Kombination aus nachlassendem mittelfristigen Inflationsdruck und schwachem Wachstum darauf hin, dass die EZB bis Juni bei jeder Sitzung die Zinsen weiter senken wird, wodurch der Einlagenzins auf 2 % sinken dürfte. Nach aktuellem Stand neigen die Risiken dazu, dass die EZB mehr und nicht weniger tun muss, um die Wirtschaft im Jahr 2025 zu unterstützen. Allerdings dürfte dies eher in Form weiterer Zinssenkungen im späteren Verlauf des Jahres 2025 geschehen als durch grössere Schritte in naher Zukunft.
Die Einheitswährung stand während der US-Wahlen im Fokus und hat Schwierigkeiten, sich von der unteren Grenze ihrer jüngsten Handelsspanne gegenüber dem Dollar zu erholen. Das Potenzial für weitere Volatilität am Devisenmarkt ist hoch, da die neue US-Regierung ihr Amt antritt. Unserer Ansicht nach, da die Dollar-Bewertungen bereits überzogen wirken, empfehlen wir, bei weiterer Dollar-Stärke zu verkaufen.
Darüber hinaus werden mit den voraussichtlichen Zinssenkungen bis ins Jahr 2025 die Renditen auf Bargeld und Geldmarkteinlagen weiter sinken. Unserer Meinung nach sollten Anleger ihre Portfolios auf die Aussicht niedrigerer Zinsen vorbereiten, indem sie Investitionen in diversifizierte Anleihen mit mittlerer Laufzeit im Investment-Grade-Bereich sowie in Dividendenstrategien bei Aktien verlagern, um sowohl die Renditen als auch die Diversifikation zu verbessern.
FRIEDRICH HEINEMANN, ZEW-INSTITUT
Es ist gut, dass der EZB-Rat auf einen grossen Zinsschritt verzichtet hat. Der anhaltende Lohndruck und die hohe Inflation bei den Dienstleistungen beweisen, dass sich die Lohn-Preis-Spirale immer noch dreht. Noch gravierender ist, dass jetzt zusätzlich die Gefahr einer importierten Inflation seit der US-Präsidentschaftswahl gewachsen ist. Steigen die beidseitigen Zölle im US-Europa-Handel, dann wird das die Importpreise treiben. Deutschland muss daher auch nächstes Jahr mit einer anhaltenden Stagflation rechnen, einem Miniwachstum in Kombination mit einer zu hohen Inflation. Für die EZB-Kommunikation ist es jetzt unverzichtbar, den Märkten zu signalisieren, dass weitere Zinssenkungen nicht selbstverständlich sind.
PROF. DR. FELIX SCHINDLER, LEITER RESEARCH UND STRATEGIE, HIH INVEST
Keine Überraschung zum Jahresende! Die EZB senkt den Leitzins in ihrer letzten Sitzung im Jahr 2024 um weitere 25 Basispunkte. An den Kapital- und Immobilienmärkten ist dieser Schritt erwartet worden und daher auch bereits eingepreist.
Spannender dürfte der Blick auf die Zinsentwicklung im Jahr 2025 sein. Wir erwarten weitere Leitzinssenkungen der EZB, die in den längerfristigen Kapitalmarktzinsen weitgehend reflektiert sind. Die Höhe und Anzahl der Zinsschritte – gerade im zweiten Halbjahr 2025 – dürften auch von der neuen US-Administration abhängig sein: Inwieweit werden die im Wahlkampf angekündigten Maßnahmen umgesetzt und wie wirken sie sich auf Europa aus? Die Immobilienmärkte könnten dadurch, insbesondere in Sektoren mit resilienter Flächennachfrage, auf der Investment- und Finanzierungsseite positive Unterstützung erfahren.
JÖRG ASMUSSEN, GESCHÄFTSFÜHRER DES GESAMTVERBANDS DER DEUTSCHEN VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT (GDV)
Insbesondere vor dem Hintergrund der anhaltenden Konjunkturschwäche war es richtig, die Zinssenkungserwartungen der Märkte zu erfüllen. Bis Ende 2025 sind jedoch Zinssenkungen von insgesamt 150 Basispunkten eingepreist. Das scheint mir angesichts der grossen Unsicherheiten 2025 derzeit optimistisch. Besonders in den USA könnten die Leitzinsen aufgrund der angekündigten Wirtschaftspolitik des designierten Präsidenten Donald Trump höher bleiben, was auch Druck auf den Euroraum ausüben würde. Die EZB sollte daher weiter ihre Flexibilität bewahren und auf Basis der aktuellen Datenlage entscheiden.
FRANCESCO FEDELE, CEO, BF.DIREKT
Meiner Meinung nach hätte die EZB die Leitzinsen unangetastet lassen und statt dessen die Inflation konsequenter bekämpfen sollen. Denn die Kerninflationsrate im Euroraum lag zuletzt wieder deutlich über dem Zwei-Prozent-Ziel, bei Dienstleistungen sogar bei etwa vier Prozent. Und sollte die neue US-Regierung unter Donald Trump tatsächlich Strafzölle einführen, könnte dies die Inflation zusätzlich erhöhen.
Gerade für die Immobilienwirtschaft sind hohe Inflationsraten schädlich. Denn wenn der Markt mehr Inflation erwartet, kann dies eine Erhöhung der langfristigen Zinsen nach sich ziehen. Und diese sind für den Immobilienmarkt sehr viel entscheidender als die Leitzinsen.
(Reuters/cash)