Viele Volkswirte erwarten, dass die Fed um ihren Vorsitzenden Jerome Powell auf ihrer zweitägigen Sitzung den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte anheben wird - und danach womöglich erstmal eine Zinspause einlegt. 

An den Aktienmärkten dürfte die Kursvolatilität zunehmen, egal ob der Zinsentscheid der amerikanischen Notenbank den Erwartungen entspricht oder eine Überraschung eintritt. Die Strategen und Ökonomen werden dabei dem Zinsentscheid weniger Bedeutung zumessen und vielmehr den Bemerkungen von Fed-Chefs Powell die volle Aufmerksamkeit schenken, weil sie sich Informationen darüber erhoffen, wie es nach diesem Zinsentscheid mit der amerikanischen Geldpolitik auf eine Sicht von sechs bis neun Monaten weitergeht. 

Die US-Aktienmärkte haben sich in den letzten Wochen in engen Bandbreiten bewegt, da sich Anlegerinnen und Anleger kaum engagieren mochten vor der Zinsentscheidung. Entsprechend sind die Volatilitätsindizes auf Tauchstation gegangen. Der VIX - der US-Index, der die Kursschwankungen des S&P 500 Index abbildet - fiel seit seinem Höchst während der Bankenkrise vom 23. März von 30,75 auf 15,51 Punkte bis gestern morgen und hat sich faktisch halbiert.

Im Laufe des gestrigen Tages kam es dann zur Trendwende. Mit der deutlichen Kurskorrektur an den US-Börsen erfolgte ein kräftiger Wiederanstieg des VIX mit einem Plus von 30 Prozent auf 19,98 Punkte, ehe es heute morgen wieder um 15 Prozent auf 17,31 Punkte zurückging. Das zeigt, dass die Unsicherheiten um die Veröffentlichung der Fed-Entscheidung zunehmen.  

Wie volatil es an den US-Märkten zugeht seit gestern, zeigt ein Blick auf den VIX1D. Dieser von der Chicago Board of Options Exchange (CBOE) eingeführte Index bildet die Volatilität der 1-tägigen, kurzlaufenden Optionen auf den S&P 500 Index ab. Dieser Index stieg gestern um 97 Prozent von 10 auf 19,82 Punkte gemäss nachfolgender Grafik.

Der Volatilitätsindex für 1-Tages-Optionen auf den S&P 500 Index an der CBOE (2023).

Der Volatilitätsindex für 1-Tages-Optionen auf den S&P 500 Index an der CBOE (2023).

Quelle: Bloomberg

Die US-Investmentbank JP Morgan erwartet für heute Abend, dass der S&P 500 Index nach dem Entscheid der US-Notenbank im negativen Falle - sprich kräftigere Zinserhöhung als die erwarteten 0,25 Prozent und/oder mittelfristig weiter steigende Leitzinsen - um bis zu 1,25 Prozent fallen könnte. Im positiven Falle - Zinserhöhung um 0,25 Prozent und hernach Pause bis auf Weiteres - könnte der S&P 500 um bis zu 2,5 Prozent ansteigen. 

Die Volatilitätsmodelle von Gammalab.io zeigen, dass der S&P 500 Index in einer Bandbreite von 4050 und 4200 Punkten bleiben dürfte. Der Gamma-Flip steht bei 4110 Punkten - am früheren Morgen steht der S&P 500 Index ausserbörslich bei 4126 Punkten. Der Gamma-Flip zeigt an, ab welchem Niveau die Options-Händler Futures-Kontrakte hinzukaufen oder liquidieren. Über dem Niveau von 4110 Punkten wird hinzugekauft, unter dem Niveau von 4110 Punkten wird verkauft. Entsprechend zeigt die Analyse, dass der Index relativ schnell an Boden verlieren könnte heute Abend, wenn der Index unter das Niveau von 4110 Punkten fällt. Auf der anderen Seite würde ein Fed-Entscheid wie erwartet ohne negativen Ausblick eine Kursrally in Bewegung setzen, die bis auf 4200 Punkte laufen könnte. 

Konsensus der Marktteilnehmer

Die Märkte rechnen derzeit mit einer Zinserhöhung um 25 Basispunkte durch die US-Notenbank am Mittwoch, und der Markt für Zinstermingeschäfte preist dieses Ergebnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein. Eine Anhebung um 25 Basispunkte würde die Mitte des Fed-Funds-Zielsatzes auf 5,125 Prozent bringen, was weitgehend mit dem von der Fed in ihrer Zusammenfassung der Wirtschaftsprognosen genannten Endsatz übereinstimmt, schreibt Jack Janasiewicz, Portfolio Manager & Lead Portfolio Strategist bei Natixis Investment Managers Solutions, im Vorfeld der heutigen Fed-Sitzung.

"Die jüngsten Äusserungen der Fed-Mitglieder zum möglichen Pfad künftiger Zinserhöhungen waren unterschiedlich, doch scheint es eine breite Unterstützung für eine Erhöhung um 25 Basispunkte auf dieser Sitzung zu geben." In Anbetracht der Tatsache, dass der Futures-Markt eine 96-prozentige Chance für eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte ankündigt, gibt es hier nicht viel zu diskutieren, so der Natixis-Portfolio-Manager. Im Mittelpunkt des Interesses der Märkte werden jedoch die Leitlinien für die künftige Zinsentwicklung stehen, und alle Augen werden auf die Pressekonferenz nach der offiziellen Ankündigung gerichtet sein. Der Schlüssel: die Möglichkeit einer Pause im Zinserhöhungszyklus.

Tiffany Wilding, PIMCO-Ökonomin für Nordamerika, erwartet ebenfalls, dass die Leitzinsen um 25 Basispunkte angehoben werden. Gleichzeitig dürfte die Notenbank eine Pause bei weiteren Zinserhöhungen signalisieren, sofern die Daten dies zulassen. Pimco meint, dass die Fed dies am ehesten erreichen kann, indem sie die Kommunikation ihrer eigenen Vorhersagen von „einige zusätzliche geldpolitische Straffungen“ in eine ähnliche Formulierung wie „zusätzliche geldpolitische Straffungen“ ändert. "Das würde ihr erlauben, eine Pause zu signalisieren, aber weiterhin eine Tendenz zur Straffung beizubehalten. Wir glauben, dass Fed-Chef Jerome Powell während der Pressekonferenz einen schwierigen Balanceakt vollführen wird." Dennoch geht Wilding davon aus, dass die Fed letztendlich eine „hawkische Pause“ andeuten wird.

Auch die ING Bank geht in einem Kommentar zum Devisenmarkt davon aus, dass die Fed um 25 Basispunkte erhöhen wird. Dabei werde die Notenbank die Tür für eine Straffung offen lassen - falls dies erforderlich ist. "In der Praxis deutet der jüngste Bankenstress darauf hin, dass dies wahrscheinlich der Höhepunkt ist, und Powell könnte Schwierigkeiten haben, während der Pressekonferenz eine aggressive Rhetorik in der Erklärung am Leben zu erhalten." Es gebe einige Aufwärtsrisiken für den Dollar, aber ihr Basisszenario sei eine USD-Stabilisierung.

Die volle Auswirkung der Belastungen im Bankensektor ist laut ING ungewiss, während die Inflation und die Löhne seit der Sitzung des Offenmarktausschusses (FOMC) im März hartnäckig hoch geblieben sind. Dies hat dazu geführt, dass der Ausschuss so uneins über den nächsten Schritt der Fed ist wie seit mehreren Quartalen nicht mehr. "Wir sind der Meinung, dass eine Pause, die von den kommenden Daten abhängt und eine Tendenz zu einer weiteren Zinserhöhung beibehält, der wahrscheinlichste Kompromiss ist." Damit würden sich die Währungshüter Zeit verschaffen, um die Auswirkungen zu bewerten.

Weiterer Schritt trotz schwächelnder US-Wirtschaft?

Von Reuters befragte Volkswirte gehen mehrheitlich davon aus, dass die Fed nach der Mai-Sitzung die Zinsen bis mindestens zum Jahreswechsel stabil halten wird. Rund ein Viertel der Befragten rechnet sogar bis dahin bereits mit einer ersten Zinssenkung. Allerdings ist eine weitere Erhöhung bei den Ökonomen hernach nicht ganz vom Tisch.

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer erwartet nach einer heutigen Erhöhung um 0,25 Prozent einen weiteren Schritt nach oben auf ein Leitzinsniveau von dann 5,50 Prozent. "Schliesslich hat die Fed im Kampf gegen die Inflation noch keinen durchschlagenden Erfolg erzielt", sagte er. "Wegen des weiterhin hohen unterliegenden Inflationsdrucks dürfte die Fed auch nicht wie vom Finanzmarkt erwartet bereits im zweiten Halbjahr mit raschen Zinssenkungen auf die prognostizierte Rezession reagieren."

Im ersten Quartal hat sich das Wachstum der US-Wirtschaft mehr als halbiert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte von Januar bis März aufs Jahr hochgerechnet nur noch um 1,1 Prozent zu. Häusermarkt und Investitionen schwächelten auch angesichts der Serie von Zinserhöhungen. Im Schlussquartal 2022 hatte es noch zu einem Wachstum von 2,6 Prozent gereicht. Die Wirtschaft habe sich erheblich abgeschwächt und es sei möglich, dass sie sich bereits in einer leichten Rezession befinde, sagte Peter Cardillo, Chef-Marktökonom bei Spartan Capital Securities, gegenüber Reuters. Seine Prognose: "Die Fed wird also wahrscheinlich signalisieren, dass wir uns dem Ende des Straffungszyklus nähern".

Thomas Daniel Marti
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