Nach dem Bekanntwerden eines umstrittenen Wirtschaftspapiers von Finanzminister Christian Lindner wird in der FDP und weiteren Teilen der Ampelkoalition über politische Reformen wie auch über ein mögliches Ende der Regierung diskutiert. «Ich will auch eine Legislaturperiode zu Ende machen», sagte Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP). «Aber wir müssen auch die richtigen Entscheidungen treffen.»
Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) warnte in einem Gastbeitrag für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» vor einem Bruch der Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Er sei überzeugt, dass die Regierung «auch in den kommenden Monaten» gute Kompromisse finden werde. «Unser Land braucht nach jeder Wahl für vier Jahre eine stabile Bundesregierung.» Mehrere FDP-Politiker wie Fraktionschef Christian Dürr pochten aber gleichzeitig auf eine Wende in der Wirtschaftspolitik. Der Bundestag wird regulär am 28. September 2025 neu gewählt.
FDP-Chef Lindner hatte als Minister ein 18-seitiges Papier mit Vorschlägen wie der Abschaffung des Solidaritätszuschlags und der Verschiebung der Klima-Ziele auf 2050 vorgelegt. Er beklagte am Freitag, dass das Papier für die interne Ampel-Diskussion mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) gedacht und nur durch eine Indiskretion bekannt geworden sei. SPD und Grüne hatten betont gelassen auf das Papier reagiert, das sich gegen Positionen dieser Parteien stellt. Die FDP organisiert am Montag ein weiteres Treffen mit Wirtschaftsverbänden, um über Reformen zu sprechen. Am 6. November tagt der Koalitionsausschuss, am 15. November empfängt Scholz erneut Industrievertreter und Gewerkschaften, um angesichts der stagnierenden Wirtschaft einen «Pakt für Industrie» zu schmieden. Auch Habeck hatte vor wenigen Tagen ein eigenes Papier mit weitreichenden Vorschlägen zur Ankurbelung der Wirtschaft vorgelegt.
FDP-Fraktionschef Dürr führte die Wachstumsschwäche der Wirtschaft gegenüber dem TV-Sender RTL vor allem auf die Politik der grossen Koalition aus Union und SPD bis 2021 zurück. Nun komme es darauf an, ob «wir diese Wirtschaftspolitik, die uns in diese schwere Lage manövriert hat, mit neuem Mut überwindet», betonte Dürr zudem gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Mit dem Vorschlag von Lindner liege ein klares Konzept vor, das sich durch eine solide Finanzpolitik und die Stärkung marktwirtschaftlicher Prinzipien auszeichne. «Dieser Kurs wird auch von der Wirtschaft gestützt. Wir werden nun in der Koalition darüber sprechen», betonte der FDP-Politiker.
«Christian Lindners Wirtschaftspapier ist ein substanzieller, sofort umsetzbarer und gegenfinanzierter Plan, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu stärken», sagte auch der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler zu Reuters. «Als Koalition sollten wir dieses Angebot jetzt ernst nehmen», appellierte er an SPD und Grüne. Der Finanzminister setze mit Vorschlägen zu strukturellen Reformen und gezielten Entlastungen genau dort an, «wo der Schuh drückt» und nehme eine notwendige Priorisierung der Staatsausgaben vor.
Kritik am Finanzminister kam dagegen von den Grünen. «Die FDP verabschiedet ja jeden Monat ein Positionspapier. Kann sie machen, aber die Koalition kann sich damit nicht immer beschäftigen», sagte Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). «Was wir stattdessen brauchen, ist ein Finanzminister, der seinen Job macht und die Milliarden-Lücke im Haushalt schliesst», fügte sie mit Blick auf die laufenden Verhandlungen im Bundestag über den Bundesetat 2025 hinzu.
Aus der oppositionellen Union kamen erneut Forderungen nach vorgezogenen Neuwahlen. «Das Totenglöckchen der Ampel läutet. Eine Regierung, die gegeneinander Papiere verschickt, ist handlungsunfähig und eine Blamage für unser Land. Es ist Zeit, den Stecker zu ziehen und das unwürdige Schauspiel zu beenden», sagte CSU-Chef Markus Söder der «Bild am Sonntag» laut Vorabbericht.
(Reuters)