Experten gehen davon aus, dass die EZB auf ihrem Straffungskurs im Kampf gegen die Inflation bei den Zinsen längst das Gipfelplateau erreicht hat. Wie schon im Oktober und Dezember dürfte an den Schlüsselsätzen am Donnerstag nicht gerüttelt werden.

An der Börse sind aber die Zinssenkungsfantasien kräftig ins Kraut geschossen. Daher erwarten viele Volkswirte, dass die Europäische Zentralbank (EZB) vor allem darauf aus sein wird, überzogene Spekulationen wieder einzufangen.

«Für die anstehende Zinsentscheidung gehen wir davon aus, dass der EZB-Rat die Gipfelpause verlängern wird», schreiben die NordLB-Analysten Frederik Kunze und Norman Rudschuck in ihrem Ausblick. «Zinsanhebungen gehören der Vergangenheit an.»

Nach zehn Zinserhöhungen seit Sommer 2022 liegt der am Finanzmarkt massgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser erhalten, wenn sie überschüssige Gelder bei der Notenbank parken, aktuell bei 4,00 Prozent. Seit September ist er auf diesem Niveau - das höchste seit Beginn der Währungsunion 1999. Der Leitzins steht bei 4,50 Prozent.

«Die EZB dürfte auf der Sitzung in der nächsten Woche darauf bedacht sein, die euphorischen Markterwartungen im Hinblick auf schnelle Zinssenkungen deutlich zu dämpfen», erwartet Commerzbank-Volkswirt Marco Wagner. Im Vordergrund dürften die Entwicklung der Löhne und Gewinnmargen der Unternehmen im Währungsraum stehen sowie geopolitische Risiken.

An der Börse wurde zuletzt darauf gesetzt, dass die EZB bereits im März oder April erstmals die Zinsen nach unten schrauben wird. Für April ist eine Zinssenkung sogar fest in den Kursen enthalten. Das steht im Kontrast zu den jüngsten Wirtschaftsprognosen der EZB. Denn in diesen wird unter anderem angenommen, dass die Inflation erst ab der Jahresmitte 2025 wieder die Zielmarke von 2,00 Prozent erreichen wird.

Lagarde wird noch nicht den Sieg über die Inflation erklären

«Dies spricht unserer Einschätzung nach eher dafür, dass die Notenbank-Oberen noch für längere Zeit an ihrer gegenwärtigen restriktiven Haltung festhalten werden», meint DZ-Bank-Analyst Christian Reicherter. Die Währungshüter würden nicht übereilt den Zinssenkungszyklus anstossen. ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski verweist darauf, dass derzeit jeder Zinsausblick der EZB im Zuge eintretender Konjunkturereignisse rasch Makulatur werden könnte.

«Daher wird das wahrscheinlichste Ergebnis der EZB-Sitzung in der nächsten Woche darin bestehen, die Datenabhängigkeit zu betonen und einige Einblicke in die möglichen Bedingungen für eine Zinssenkung zu geben, ohne sich im Voraus auf etwas festzulegen.»

Mehrere Währungshüter, darunter Lagarde und Bundesbank-Präsident Joachim Nagel, nutzten in den vergangenen Tagen Auftritte beim Weltwirtschaftsforum in Davos, um sich gegen aus ihrer Sicht zu aggressive Zinssenkungserwartungen zu stemmen. So wies Lagarde darauf hin, dass die EZB erst im späten Frühling Daten aus den diesjährigen Tarifabschlüssen der Länder erhalten werde. Diese liefern wichtige Hinweise auf die Inflationsentwicklung.

Sie werde noch nicht den Sieg über die Inflation erklären, sagte sie. Es helfe der EZB nicht im Kampf gegen die Teuerung, wenn die Börsenerwartungen im Vergleich zu dem, was wahrscheinlich passieren werde, viel zu hoch seien. Für Bundesbank-Präsident Nagel ist es noch viel zu früh, um über mögliche Zinssenkungen zu diskutieren.

Die Aussagen zeigten Wirkung: Die Zinssenkungsfantasien schwächten sich leicht ab. Waren vor einer Woche für 2024 Zinsschritte nach unten beim Einlagensatz im Gesamtumfang von 1,50 Prozentpunkten in den Börsenkursen enthalten, sind es jetzt noch etwa 1,35 Prozentpunkte.

Viele Grossbanken wie die britische Bank Barclays oder UBS Global Research und auch die Deutsche Bank rechnen dennoch bereits im April mit dem ersten Schritt nach unten. Die Deutsche Bank erwartet für das Gesamtjahr 2024 zudem weiter Zinssenkungen im Gesamtumfang von 1,50 Prozentpunkten.

(Reuters)