Eine Bloomberg-Umfrage unter Ökonomen ergab die fast einhellige Erwartung, dass der Einlagensatz beim Rekordniveau von 4 Prozent belassen wird. Nur ein einziger der 62 befragten Volkswirte rechnet mit einer Senkung um einen Viertelprozentpunkt.

Die Inflation im Euroraum ist inzwischen zwar wieder in Sichtweite des 2 Prozent-Ziels. Noch haben die EZB-Ratsmitglieder jedoch nicht die nötige Zuversicht, die Zinsen herabzusetzen. Besonders mit Blick auf das Thema Lohnanstiege haben EZB-Chefin Christine Lagarde und viele ihrer Kollegen durchblicken lassen, dass bis Mitte des Jahres mehr Zutrauen da sein könnte. 

“Die EZB hat signalisiert, dass die Zinsen sehr wahrscheinlich im Juni gesenkt werden, und die jüngsten Inflationsdaten dürften dies bestätigt haben”, sagt DekaBank- Chefvolkswirt Ulrich Kater. “Nach Juni sprechen die Unsicherheit und die Risiken für die Inflationsaussichten für Vorsicht und Lagarde könnte sich mit Signalen zurückhalten.”

Während in der Schweiz die geldpolitische Lockerung bereits im Gange ist, dreht sich die Debatte in der Eurozone darum, wie schnell die Zinsen nach dem Juni gesenkt werden sollen. Griechenlands Notenbankchef Yannis Stournaras befürwortet eine weitere Zinssenkung im Juli. Andere wollen zumindest bis zur nächsten Sitzung im September eine Pause einlegen.

Ein weiterer Faktor ist die Geldpolitik der Federal Reserve, die mit hartnäckiger Inflation bei robustem Wachstum ringt. Dies lässt die US-Währungshüter vor einer ersten Zinssenkung zurückschrecken, womit es vermutlich die EZB sein wird, die zuerst lockert. Eine länger bestehende Divergenz in der Geldpolitik birgt Risiken auf den Devisenmärkten, die sich auf die Verbraucherpreise auswirken könnten. 

Die Sicht von Bloomberg Economics: “Angesichts der Abkühlung des Lohnauftriebs, der geringen Gewinnmargen der Unternehmen und der sich abzeichnenden Unterschreitung der Zielwerts bei der Gesamtinflation wird die EZB die Zinsen bald senken. Da die Kosten eines erneuten Inflationsanstiegs jedoch hoch wären (eine Kehrtwende würde die Glaubwürdigkeit ernsthaft untergraben), ist verständlich, dass der EZB-Rat vorsichtig agiert.”

Die Pressekonferenz mit Präsidentin Christine Lagarde beginnt wie üblich um 14:45 Uhr, 30 Minuten nach der Veröffentlichung der geldpolitischen Beschlüsse des EZB-Rats. 

Zinsen

Die Erwartung eines Zinsschritts im Sommer wurde letzte Woche geschürt, als das Protokoll der EZB-Sitzung im März die Einschätzung der Währungshüter zeigte, dass “die Argumente für eine Zinssenkung immer stärker werden”. Dank “ermutigender” Fortschritte bei der Inflation kamen sie ausserdem zu dem Schluss, dass der Zeitpunkt für einen ersten Schritt “immer deutlicher in Sichtweite” rückt.

Einige im EZB-Rat wollten eine Zinssenkung auf der heutigen Sitzung nicht ausschliessen, die Mehrheit spricht sich aber für einen Beginn der Lockerung im Juni aus, wenn weitere Zahlen zu Inflation, Löhnen, Gewinnen und Produktivität vorliegen werden. Dieser Zeitplan deckt sich mit den Ansichten von Ökonomen und Anlegern, nachdem die Märkte ihre Zinssenkungswetten zurückgefahren haben.

Das weitere Tempo der Lockerung ist weniger klar. Lagarde sagte im März, es sei möglich, dass die Währungshüter sich nicht festlegen und betonte ihren “datenabhängigen” Ansatz.

Konjunkturentwicklung

Die Inflation im Euroraum hat sich im vergangenen Monat auf 2,4 Prozent verlangsamt, nachdem sie im Februar bei 2,6 Prozent lag. Die Kerninflation, die Energie und Nahrungsmittel ausschliesst, sank von 3,1 Prozent auf 2,9 Prozent und erreichte damit den niedrigsten Stand seit Anfang 2022.

Einige Ökonomen und EZB-Räte gehen davon aus, dass die Teuerungsrate in diesem Sommer auf den Zielwert von 2 Prozent oder sogar darunter sinken wird. Die jüngsten Stabsprognosen der EZB sagen dies indessen erst für die zweite Hälfte des Jahres 2025 voraus.

Die steigenden Dienstleistungspreise sind in den Worten der Allianz-Volkswirte “das Haar in der Suppe”. Die Teuerung liegt hier bei 4 Prozent. Auch die Löhne steigen stärker als im historischen Durchschnitt, obgleich sich das Tempo der ausgehandelten Lohnerhöhungen Ende 2023 verlangsamt hat.

Die Wirtschaft des Euroraums steht seit mehr als einem Jahr am Rande der Rezession. Während die EZB eine allmähliche, konsumgetriebene Erholung vorhersagt und sich sogar in Deutschland erste Anzeichen für einen Aufschwung abzeichnen, belegt die jüngste EZB-Umfrage zur Kreditvergabe der Banken einen Einbruch der Unternehmensnachfrage nach Darlehen. 

EZB vs. Fed

Während die Märkte die Wahrscheinlichkeit einer EZB- Zinssenkung im Juni mit rund 80 Prozent beziffert, sehen sie nur eine knappe 20 Prozent-Chance, dass die Fed in jenem Monat lockert.  Abweichungen in der geldpolitischen Gangart gab es bereits in der Vergangenheit und die Währungshüter in Frankfurt haben wiederholt ihre Unabhängigkeit betont. Der Finne Olli Rehn beispielsweise sagte, die EZB sei nicht der 13. Distrikt der Fed.

Eine längere Phase der Lockerung in Europa ohne entsprechende Massnahmen in den USA hätte jedoch Folgen, wie der frühere Pimco-Chef Mohamed El-Erian anmerkt. Dies zeige sich nicht nur am Anleihemarkt sondern auch bei den Wechselkursen. Eine Parität zwischen Euro und Dollar sei “eine Möglichkeit”.

(Bloomberg)