Sie werde als guter Zeitpunkt angesehen, um das Ausmass des restriktiven Kurses neu zu bewerten, hiess es im Protokoll der jüngsten Zinssitzung vom 17. und 18. Juli, das die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag veröffentlichte. «Dieses Treffen sollte unvoreingenommen angegangen werden», hiess es darin. Es findet am 11. und 12. September in Frankfurt statt.

«Die Protokolle halten die Tür offen für eine Zinssenkung im September, aber ohne Vorfestlegung», meinte Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der Grossbank ING. Nach der Juli-Sitzung habe EZB-Präsidentin Christine Lagarde eine klare Orientierung zur Geldpolitik vermieden. «Die jetzt veröffentlichten Protokolle der Sitzung spiegeln genau das wider: Eine EZB, die in Bezug auf Wachstums- und Inflationsaussichten vorsichtiger geworden ist und die sich alle Optionen für die Sitzung im September offenhalten möchte,» erklärte der Experte.

Laut Protokoll bekräftigten die Währungshüter bei ihren Beratungen wie wichtig es sei, die Inflation rechtzeitig und nachhaltig auf das Zielniveau zu senken. Das sei nicht nur wichtig für die Glaubwürdigkeit der Notenbank. Eine weitere Verzögerung sei auch mit hohen Kosten verbunden. Die EZB strebt 2,0 Prozent Inflation an - im Juli lag die Rate im Euroraum bei 2,6 Prozent. «Gleichzeitig wurde betont, dass eine graduelle Lockerung der geldpolitischen Restriktion ein Balanceakt sei», hiess es im Protokoll. Denn es gelte auch, die Wirtschaft nicht übermässig dadurch zu schädigen, dass die Zinssätze zu lange auf einem konjunturbremsenden Niveau gehalten werden.

Investoren am Geldmarkt gehen von Senkung im September aus

Die EZB hatte nach der ersten Zinsenkung seit 2019 im Juni auf der darauffolgenden Juli-Sitzung die Füsse stillgehalten. Laut EZB-Vizechef Luis de Guindos möchte die EZB mehr Zuversicht erlangen, dass die Inflation gegen Ende 2025 auf die Zielmarke von 2,0 Prozent zurückgeht. Am Geldmarkt wird aktuell - gemessen an den Zinsfutures - die Wahrscheinlichkeit einer Zinssenkung im September mit 98 Prozent taxiert.

Dabei spielt auch eine Rolle, dass die jüngsten Konjunkturdaten eher für einen Schritt nach unten im September sprechen. So hat sich das Lohnwachstum im Euroraum, ein zuletzt wichtiger Treiber der Inflation, im zweiten Quartal nach EZB-Daten auf 3,55 Prozent abgeschwächt von 4,74 im Auftaktquartal. Zudem fiel das Wirtschaftswachstum in der Länder-Gemeinschaft in zweiten Quartal mit 0,3 Prozent zum Vorquartal eher mager aus. Die Industrie fuhr ihre Produktion zum Ende des zweiten Quartals überraschend herunter. Sie verringerte ihre Fertigung im Juni um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vormonat. In diesem Umfeld muss die EZB aufpassen, dass sie mit ihrer Zinspolitik die Wirtschaft nicht zu sehr abwürgt. In den Protokollen hiess es dazu, es sei auch wichtig die Realwirtschaft im Auge zu behalten.

(Reuters)