Die Unsicherheit über die künftige Wirtschafts- und Preisentwicklung sei nach wie vor gross, sagte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel am Montag in Leipzig. «Bildlich gesprochen: Ich sehe uns nicht auf einem Berggipfel, von dem es zwangsläufig nach unten geht», fügte er hinzu. Man befinde sich eher auf einem Bergrücken. Aus Sicht seines EZB-Ratskollegen Peter Kazimir, Notenbankchef der Slowakei, besteht die Gefahr, dass der Inflationsdruck aufgrund globaler Ereignisse oder übereilter Zinssenkungen wieder aufflammt, wie er am Montag in einem Blog-Beitrag erläuterte.

Die EZB hatte am Donnerstag die Kurswende vollzogen und erstmals seit fast fünf Jahren die Zinsschraube gelockert. Der Leitzins wurde um einen Viertelprozentpunkt auf 4,25 Prozent gesenkt. Zum weiteren Vorgehen hielt sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde aber bedeckt. Die EZB kann laut ihrem deutschen Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel wegen der unsicheren Entwicklung der Preise im Euroraum nach ihrem ersten Zinsschritt nach unten nicht sofort weitere signalisieren. Insidern zufolge halten Währungshüter es für wenig wahrscheinlich, dass die EZB auf der nächsten Zinssitzung am 18. Juli gleich erneut die Schlüsselsätze herabsetzen wird.

Laut Bundesbank-Präsident Nagel gilt es nun, den richtigen Punkt für den weiteren Abstieg noch zu finden: «Folglich hat der EZB-Rat in der letzten Woche erneut betont, datenabhängig und von Sitzung zu Sitzung zu entscheiden», sagte er. Aus geldpolitischer Sicht sei es wichtig, dass die noch immer zu hohe Inflation auf den EZB-Zielwert von zwei Prozent zurückgehe. Im Mai lag die Inflationsrate im Euroraum mit 2,6 Prozent noch darüber. Nagel verwies darauf, dass das Niveau damit etwas höher als im April ausgefallen sei, aber deutlich niedriger als im Herbst 2022: «Damals betrug die Inflation im Euroraum noch etwa elf Prozent. Allerdings ist die Rückkehr zum Zielwert von zwei Prozent kein Selbstläufer.»

Kazimir richtet Blick auf den September

Aus Sicht von Nagels Ratskollege Kazimir muss die Euro-Notenbank weiter wachsam bleiben. An eine Zinssenkung im Sommer glaubt er nicht. «Wir können es uns leisten, den Sommer zu geniessen, ohne die Entscheidung zu überstürzen. Wir müssen uns nicht beeilen, und es gibt keinen Grund zur Eile.» Im Herbst werde die EZB viele neue Daten zur Entwicklung der Wirtschaft, zur Lage am Arbeitsmarkt und zu den konjunkturellen Aussichten haben. «Der September wird ein entscheidender Monat sein.»

Kazimir wies darauf hin, dass den Währungshütern zu ihrer Zinssitzung am 12. September auch neue Inflationsprognosen der Notenbank-Volkswirte vorliegen werden. «Das wird der richtige Zeitpunkt sein, um unsere Linie neu zu bewerten und zu entscheiden, ob wir unsere geldpolitische Ausrichtung anpassen», merkte er an. «Kurzum, ob wir die Zinsen senken oder nicht.» 

(Reuters)