Bei der EZB geht es Schlag auf Schlag: Die Europäische Zentralbank reagiert auf die nachlassende Inflationsgefahr mit der zweiten Zinssenkung innerhalb von nur fünf Wochen. Sie beschloss am Donnerstag auf einer auswärtigen Ratssitzung in Slowenien, den am Finanzmarkt massgeblichen Einlagensatz um einen Viertelpunkt auf 3,25 Prozent nach unten zu setzen. Dass die EZB Zinsen zwei Monate in Folge kappt, hat es so seit 13 Jahren nicht mehr gegeben. Die Währungshüter um Zentralbank-Präsidentin Christine Lagarde hatten im Juni die Zinswende eingeleitet und im September nachgelegt. Ob das Zinsstakkato im Dezember weiter geht, womit viele Investoren angesichts unsicherer Konjunkturaussichten rechnen, liess die EZB offen.
Sie lege sich nicht vorab auf einen Zinspfad fest, hiess es dazu im Begleittext zur geldpolitischen Entscheidung des EZB-Rats. Die aktuellen Daten zur Inflation zeigten, dass der Prozess rückläufiger Teuerungsraten gut voranschreite.
Die Inflationsrate im Euroraum ist im September auf 1,7 Prozent gesunken. Diese Nachricht flatterte den Währungshütern nur wenige Stunden vor dem Zinsentscheid auf den Tisch: Das EU-Statistikamt Eurostat revidierte damit die frühere Schätzzahl von 1,8 Prozent sogar noch etwas nach unten. Damit liegt die Teuerungsrate deutlich unter dem Zielwert der EZB von zwei Prozent, nachdem sie im August noch bei 2,2 Prozent gelegen hatte. Inflationsraten von mehr als zehn Prozent wie im Herbst 2022 gehören damit der Vergangenheit an.
«Die heutige Entscheidung der EZB, den Leitzins um 25 Basispunkte zu senken, ist folgerichtig angesichts einer Inflationsrate unter zwei Prozent und schwacher Konjunkturaussichten», meint Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Dennoch sei der Schritt nicht ganz ohne Risiko, so die Einschätzung des früheren EZB-Direktors. Denn zuletzt wurde der Rückgang der Inflation durch starke Rückgänge der Energiepreise getrieben: «Angesichts der Eskalation im Nahen Osten könnte es damit nun vorbei sein.» Gleichzeitig sei die Inflation im Dienstleistungsbereich weiter zu hoch. Die EZB müsse nun genau beobachten, ob sich insbesondere der Anstieg der Löhne wie erwartet abschwäche oder nicht.
Anzeichen für Konjunktureintrübung
Die EZB erklärte, die Inflationsaussichten würden auch durch aktuelle Konjunkturindikatoren beeinflusst, die schwächer ausgefallen seien als erwartet. Zuletzt signalisierte mit dem Einkaufsmanagerindex von S&P Global ein wichtiger Frühindikator eine einsetzende Talfahrt im Euroraum. Als Alarmzeichen gilt dabei, dass es mit der Wirtschaftskraft in allen drei grossen Volkswirtschaften - Deutschland, Frankreich und Italien - gleichzeitig bergab ging. Deutschland steckt bereits in einer Wirtschaftskrise und macht 2024 wohl das zweite Rezessionsjahr in Folge durch, wenn die Bundesregierung mit ihrer Projektion richtig liegt.
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverband deutscher Banken, Heiner Herkenhoff, warnte die Wirtschaftspolitik in den Euro-Staaten, insbesondere in Deutschland, vor Illusionen: «Leitzinssenkungen werden die hartnäckige, weil strukturelle Wachstumsschwäche nicht beseitigen. Stattdessen braucht gerade Deutschland entschlossene wirtschaftspolitische Weichenstellungen.»
(Reuters)
1 Kommentar
Verwundert nicht, in der deutschen Industrie brennt's. Nicht wegen den hohen Zinsen, die waren nur Brandbeschleuniger, die Ursachen sind Innovationsaversion und Konservatismus der Unternehmen sowie falsche Anreize und Rahmenbedingungen aus der Politik.
Im Prinzip kann man bis zu Schröder mit seiner Agenda 2010 zurückgehen. Damals hat man die Lohnnebenkosten gesenkt und den Arbeitsmarkt "flexibilisiert", so dass Dumpinglöhne möglich wurden. Mit den tieferen Produktionskosten blieben veraltete Produktionsstrassen und Technologien lukrativ. Darum hat man sich lieber zurückgelehnt und die Prozesskosten reduziert als dass man in Innovation inverstiert hätte. Das Resultat ist das Böse erwachen, wenn andere attraktivere Produkte zu tieferen Preisen anbieten können, weil sie nicht nur in der Produktgestaltung sondern auch in der Fertigung innovativ waren.
Während wir die industriellen Schmerzen Deutschlands schon gut sehen, ist das, was uns noch mehr Angst machen sollte, die Schmerzen Frankreichs und Englands. Von Frankreich nimmt man sehr wenig war, da geht vieles derzeit unter der Oberfläche kaputt. England ist schon tief in der Schmerzzone "dank" des Brexit, hat aber bis heute kein Rezept gegen den Niedergang ihrer Industrie gefunden.
An dieser grundsätzlichen Problematik wird keine Leitzinssenkung etwas ändern.