Volkswirte gehen davon aus, dass die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde nach der Zinswende vom Juni einen weiteren Schritt nach unten beschliessen werden. Der an den Finanzmärkten massgebliche Einlagesatz, zu dem Finanzinstitute über Nacht überschüssige Gelder bei der Notenbank parken können, dürfte demnach um einen Viertelprozentpunkt auf 3,50 Prozent sinken. Der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Geschäftsbanken Geld für eine Woche von der EZB ausleihen können, wird voraussichtlich sogar um 0,60 Prozentpunkte auf 3,65 Prozent verringert.

Dass der Schritt nach unten voraussichtlich grösser ausfällt als beim Einlagesatz, ergibt sich aus bereits im Frühjahr festgezurrten Änderungen am operativen Rahmen der Europäischen Zentralbank (EZB). Diese hatte beschlossen, den Abstand zwischen dem Einlage- und dem Hauptrefinanzierungssatz Mitte September zu verringern. Die EZB will damit Anreize zur Teilnahme an ihren wöchentlichen Kreditgeschäften schaffen. «Dadurch soll die Volatilität auf den Geldmärkten gering bleiben, auch wenn allmählich die Überschussliquidität abnehmen und die Banken wieder das Hauptrefinanzierungsinstrument nutzen werden», erläutert Commerzbank-Ökonom Marco Wagner. Die Banken im Euroraum verfügen noch über rund drei Billionen Euro an Überschussliquidität, die sie bei der EZB parken können, womit der Einlagesatz de facto der eigentliche Leitzins ist.

Wie geht es weiter?

Die EZB will ihren Zinsbeschluss am Nachmittag um 14.15 Uhr (MESZ) veröffentlichen. Im Anschluss daran steht Lagarde ab 14.45 Uhr den Journalisten Rede und Antwort. Dabei dürfte die zentrale Frage sein, wie es geldpolitisch im Herbst weitergeht. Schliesslich steht der nächste Zinsentscheid bereits am 17. Oktober an. Ob es nun kontinuierlich auf der Zinstreppe nach unten geht, ist allerdings offen. Die Commerzbank rechnet mit drei weiteren Zinssenkungen - und zwar im Dezember, März und Juni. Laut Bundesbankchef Joachim Nagel ist die EZB «nicht mit dem Autopiloten unterwegs». Doch ist die grosse Welle bei der Teuerung seiner Meinung nach überstanden.

Sinkende Energiepreise haben die Inflationsrate in der Euro-Zone im August auf den niedrigsten Stand seit gut drei Jahren gedrückt. Waren und Dienstleistungen verteuerten sich nur noch um durchschnittlich 2,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit lag die Teuerungsrate nur noch knapp über dem Ziel der EZB von zwei Prozent.

(Reuters)