Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), hat am Freitag in Jackson Hole ein klares Signal zur Politik der Europäischen Zentralbank vermieden. Sie ging dabei auch nicht auf die Aussichten für die geldpolitische Sitzung am 14. September des EZB-Rates ein. Damit gibt sie ihren Ratskollegen nun Raum, öffentlich über die Notwendigkeit einer weiteren Zinserhöhung zu debattieren, sobald in der laufenden Woche wichtige Konjunkturdaten eintreffen.

Die Zahlen zu den Verbraucherpreisen werden dabei den Rahmen für eine der spannendsten Entscheidungen seit Beginn der EZB-Zinserhöhungen vor mehr als einem Jahr bilden. Diese Daten werden massgeblich darüber entscheiden, ob eine weitere Straffung der Geldpolitik erforderlich ist oder ob die sich verschlechternden Konjunkturaussichten ausreichend düster sind, um eine Zinspause zu rechtfertigen.

«Wir sind nach wie vor der Meinung, dass eine Zinserhöhung im September auf Messers Schneide steht - aber letztendlich wird die EZB mit Blick auf die Kerninflation die Zinsen erhöhen», schrieben David Powell und Maeva Cousin von Bloomberg Economics nach der Rede von Lagarde.

Berenberg-Ökonomen um Holger Schmieding hingegen revidierten ihre Prognose schon am Freitag vor der Rede Lagardes und sehen nun eine Wahrscheinlichkeit von 60 Prozent für eine Zinspause, nach zuvor 40 Prozent. Für alle Beobachter werden die Inflationszahlen für den Euroraum am Donnerstag von entscheidender Bedeutung sein. Die Kerninflationsrate dürfte laut einer Bloomberg-Umfrage unter Ökonomen in diesem Monat nur leicht auf 5,3 Prozent gesunken sein, gegenüber 5,5 Prozent im Juli. Ein Hauptgrund dafür ist die grössere Widerstandsfähigkeit des Dienstleistungssektors im Vergleich zum angeschlagenen Industriesektor.

Die Kerninflation ist immer noch recht hoch, ohne einen klaren Abwärtstrend, sagte EZB-Ratsmitglied Martins Kazaks aus Lettland am Freitag gegenüber Bloomberg TV. «Ich würde mich immer noch auf die Seite der Zinserhöhung schlagen.» 

Bundesbankpräsident Joachim Nagel, einer der Falken im Rat, betonte, dass es bis zur Wiederherstellung der Preisstabilität «noch ein weiter Weg» sei und viel zu früh, über eine Pause nachzudenken. Der zu den Tauben zählende Mario Centeno, Chef der portugiesischen Zentralbank, schlug einen anderen Ton an: «Die Abwärtsrisiken, die wir im Juni in unserer Prognose identifiziert haben, sind eingetreten.»

Bereits in der vergangenen Woche deutete eine Reihe düsterer Einkaufsmanagerberichte darauf hin, dass sich die Schrumpfung des privaten Sektors im Euroraum verschärft hat — was die Aussichten auf einen Abwärtsdruck auf die Inflation erhöht. «Die meisten EZB-Sprecher haben betont, dass sie datenabhängig entscheiden», ergänzte Berenberg-Ökonom Schmieding in einem Kommentar am Sonntag. «Wenn die Daten zur Realwirtschaft nach unten zeigen und die Inflation im August nicht nach oben überrascht, scheint es etwas wahrscheinlicher zu sein, dass die EZB im September pausiert.»

Die schwachen PMI-Daten veranlassten die Händler, ihre Wetten auf eine EZB-Erhöhung im September zu reduzieren. Die Geldmärkte gehen nach wie vor davon aus, dass die Währungshüter im Laufe des Jahres einen letzten Schritt tun werden, haben aber die Wahrscheinlichkeit dafür auf zwei Drittel reduziert. Zu Beginn des Monats hatten die Märkte noch eine Zinserhöhung vollständig eingepreist.

Dennoch könnte sich die in Jackson Hole gezeigte allgemeine Vorsicht in Bezug auf die Inflationsentwicklung auf die Anleihemärkte der Eurozone auswirken und die jüngsten Kursgewinne untergraben.

Ob es nun tatsächlich schon zu einer Zinspause in der Eurozone kommt, wie die Berenberg-Ökonmen in Aussicht stellen, bleibt fraglich. Bloomberg Economics sieht in Christine Lagardes Ausführungen in Jackson Hole keine Hinweise darauf, dass der EZB-Rat bei seiner Straffung der Geldpolitik im September eine Pause einlegen wird.

Es gebe drei Anzeichen dafür, dass eine weitere Anhebung um 25 Basispunkte wahrscheinlich ist. Erstens der Verweis Lagardes darauf, wie zentral die Inflationseindämmung sei. Zweitens betonte sie die Risiken der prognosebasierten Geldpolitik. Und drittens: Die EZB-Chefin ging wenig auf jüngste Anzeichen ein, dass die Konjunkturprobleme im Euroraum zunehmen oder Risiken von Seiten des Abschwungs in China drohen.

(cash/Bloomberg)