Die Währungshüter seien angesichts eines sich abschwächenden Lohnwachstums immer zuversichtlicher, dass die Inflation bis Mitte 2025 zur EZB-Zielmarke von zwei Prozent zurückkehren werde, sagte Cipollone am Mittwoch auf einer Veranstaltung in Brüssel laut Redetext. «Es scheint, dass das Lohnwachstum auf dem Weg ist, sich mittelfristig allmählich auf Niveaus zu mässigen, die mit unserem Inflationsziel und dem Produktivitätswachstum übereinstimmen», erklärte er. Dies entspreche auch den jüngsten Prognosen der EZB-Volkswirte.

«Da unser Vertrauen in die rechtzeitige Annäherung der Inflation an unser Ziel wächst, stärkt dies auch die Argumente für eine Anpassung unserer Leitzinsen», sagte das italienische Mitglied des sechsköpfigen Führungsgremiums der Euro-Notenbank. Sollten sie zu lange konstant gehalten werden, sei die konjunkturelle Erholung in Gefahr und die damit verbundenen Produktivitätszuwächse. «Dies würde wirtschaftlich kostspielig sein und Risiken für die nachhaltige Annäherung der Inflation an unser Ziel aufkommen lassen,» warnte er.

Die konjunkturelle Unsicherheit nimmt Cipollone zufolge inzwischen ab. Die EZB habe immer mehr Vertrauen in ihre eigenen Projektionen, merkte er an. Sollten die Daten dies bestätigen, könne die EZB die Zinsen anpassen. «Es scheint mir der Fall zu sein, dass wir so weit entfernt sind von einer neutralen Ausrichtung der Geldpolitik, dass wir selbst dann, wenn wir sie anpassen, immer noch sehr restriktiv sind.» Eine Geldpolitik gilt dann als neutral, wenn sie die Wirtschaft weder bremst, also restriktiv ist, noch sie ankurbelt.

Die EZB hält inzwischen seit September den am Finanzmarkt richtungsweisenden Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, stabil bei 4,00 Prozent. Das ist das höchste Niveau seit dem Start der Währungsunion 1999. Allerdings fasst die EZB zunehmend eine Zinssenkung ins Auge. Denn die Inflation ist inzwischen deutlich abgeebbt und lag zuletzt im Februar noch bei 2,6 Prozent, nach 2,8 Prozent im Januar. Das ist nicht mehr weit entfernt von der Zielmarke von zwei Prozent, die die EZB mittelfristig als optimales Niveau für die 20-Länder-Gemeinschaft anpeilt.

Am Finanzmarkt wird aktuell davon ausgegangen, dass die EZB im Juni erstmals wieder die Zinsen senken wird. Als entscheidender Faktor gilt die Entwicklung des Lohnwachstums in den Euro-Ländern. Wichtige Daten dazu werden bis zu der Sitzung erwartet. Cipollone zufolge sollte dabei der Fokus nicht nur auf die kurzfristige Entwicklung der Löhne gerichtet werden. Eine übermässige Konzentration darauf berücksichtige möglicherweise die notwendige Erholung der Löhne nicht angemessen, sagte er. Diese sei erforderlich, damit die derzeit noch fragile Konjunktur im Euro-Raum einen festeren Stand bekomme.

(Reuters)