"Eine Plattform für die Erwägung einer sehr starken Anhebung, wie etwa 75 Basispunkte, ist nicht mehr vorhanden", sagte der oberste Ökonom der Europäischen Zentralbank (EZB) in einem am Montag veröffentlichten Interview mit Market News. Ein Niveau von 1,5 Prozent beim Einlagensatz sei zwar immer noch von dem Niveau entfernt, was nötig sei. Je mehr aber zusammengefasst bereits unternommen worden sei, umso mehr änderten sich die Vor- und Nachteile jeder einzelnen Erhöhung.
Die EZB hatte im Juli im Kampf gegen die hohe Inflation die Zinswende eingeleitet. Innerhalb weniger Monate hat sie die Schlüsselzinsen bereits dreimal angehoben um zusammen 2,0 Prozentpunkte. Im September und Oktober hatte sie die Sätze sogar um jeweils besonders kräftige 0,75 Prozentpunkte nach oben gesetzt. Der Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank bekommen und der aktuell am Finanzmarkt als der maßgebliche Zinssatz gilt, liegt damit aktuell bei 1,5 Prozent. Die nächste EZB-Zinssitzung ist am 15. Dezember. Die EZB strebt zwei Prozent Inflation für den Währungsraum an. Doch davon ist sie weit entfernt. Im Oktober lag die Teuerung mit 10,6 Prozent mehr als fünf Mal so hoch.
Die Währungshüter würden im Dezember die Inflationsaussichten, wie sie zu dem Zeitpunkt bestünden, in ihre Entscheidung einfließen lassen, sagte Lane. Die EZB werde dann auch die bereits erfolgten Schritte berücksichtigen und die Zeitabstände, die es brauche, bis die Maßnahmen in der Wirtschaft wirken. Zum konkreten Zinsniveau, das im Dezember voraussichtlich beschlossen wird, äußerte sich der Chefvolkswirt nicht. "Aber je mehr wir bereits getan haben, desto weniger müssen wir noch tun", merkte er an.
Im Dezember wird es Lane zufolge nicht den letzten Zinsschritt der EZB geben. Es sei gegenwärtig aber noch zu früh, bezüglich Februar, März, Mai oder Juni 2023 sehr starke Ansichten zu haben. Die EZB sei noch nicht an dem Punkt einer Pause angelangt. Wichtiger als die Frage, ob eine Pause eingelegt werden solle, sei es, ob zu gegebener Zeit zu kleineren Schritten übergegangen werden solle.
Zu einem möglichen Start des Abschmelzungsprozesses der billionenschweren Anleihenbestände erläuterte der Ökonom, erst müssten vernünftige Fortschritte bei den Zinserhöhungen gemacht werden bevor mit den Planungen dafür begonnen werde. "Und bis Dezember werden wir einen vernünftigen Fortschritt erzielt haben", sagte Lane. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte bereits in Aussicht gestellt, dass im Dezember wichtige Grundsätze einer Reduzierung der Bondbestände beschlossen werden sollen. Dabei hat die EZB zunächst die Bestände aus dem älteren Kaufprogramm APP im Blick. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte sich dafür ausgesprochen, mit dem Abschmelzen der Anleihenbestände Anfang nächsten Jahres zu beginnen.
(Reuters)
2 Kommentare
"When people begin anticipating inflation, it doesn't do you any good anymore, because any benefit of inflation comes from the fact that you do better than you thought you were going to do."
Paul A. Volcker
Die Erklärung von Philip Lane stinkt zum Himmel. Bei diesen Inflationsraten müsste die EZB einen grossen Schritt vornehmen und weitere folgen lassen. Das zeigt, in welchem Dilemma die EZB steckt. Dort herrscht die grosse Angst vor eine Staatsschuldenkrise in Europa falls die Zinsen (wie nötig) erhöht würden. Die EZB und die Politik haben versagt.