Europa rückt nach rechts: Die Europäische Volkspartei (EVP) behauptete bei der Europawahl am Sonntag Prognosen zufolge zwar ihre Stellung als stärkste Fraktion im Strassburger Parlament. Allerdings konnten rechtspopulistische und rechtsextremistische Parteien in vielen der 27 EU-Staaten deutlich zulegen.

In Deutschland wurden CDU/CSU mit rund 30 Prozent stärkste Kraft. Die AfD landete laut Hochrechnungen mit 16 Prozent - ihr bislang stärkstes bundesweites Ergebnis überhaupt - auf Platz zwei. In Frankreich gewann die Rechtsaussen-Partei RN die Wahl, weshalb Präsident Emmanuel Macron das Parlament auflöste und Neuwahlen ausrief.

Nach Angaben des EU-Parlaments vom Abend kommt die EVP, zu der auch CDU und CSU gehören, voraussichtlich auf 181 Parlamentssitze. Die Sozialdemokraten mit der SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz landen demnach mit 135 Sitzen auf dem zweiten Platz. Dahinter kommt die liberale Fraktion Renew Europe mit 82 Sitzen. Zugewinne verbuchen EU-kritische und rechte Parteien. Die nationalkonservative EKR-Fraktion kommt auf 71 Sitze, die rechtsextreme ID-Fraktion auf 62 - zusammen also 133. Die Grünen verlieren und kommen voraussichtlich auf 53 Stimmen, die Linken auf 34. Das Parlament hat insgesamt 720 Sitze, Deutschland stellt 96.

In Frankreich gewann die Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen Prognosen zufolge die Europawahl klar mit 32 Prozent, wie die Meinungsforschungsinstitute Ifop, Ipsos und OpinionWay mitteilten. Die Partei sammelte damit mehr als doppelt so viele Stimmen ein wie das Bündnis Renaissance von Präsident Macron, das auf rund 15 Prozent zurückfiel. «Emmanuel Macron ist heute abend ein geschwächter Präsident», sagte RN-Spitzenkandidat Jordan Bardella.

«Mehr an nationaler Selbstbestimmung»

Auch in Österreich gab es einen weiteren Rechtsruck. Die FPÖ landete mit 27 Prozent erstmals auf Platz eins, wie eine Trendprognose ergab. Im Vergleich zur EU-Wahl 2019 fuhr sie damit ein Plus von 9,8 Prozent ein. Die Partei kommt auf sechs Sitze im EU-Parlament, wo sie derselben Fraktion angehört wie die französische RN. «Es war dieses Mal wirklich ein starkes rot-weiss-rotes Zeichen, das man mehr an nationaler Selbstbestimmung haben möchte, weniger an Brüssel, weniger an Europäischem Parlament», sagte FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky im ORF.

In Polen ging dagegen die Bürgerplattform von Ministerpräsident Donald Tusk als stärkste Kraft hervor. Die Partei kann mit 38,2 Prozent der Stimmen rechnen, wie es in einer ersten Prognose hiess. Die nationalkonservative PiS-Partei kommt demnach auf 33,9 Prozent. In Italien konnte sich die Rechtsaussen-Partei von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni behaupten: Die «Brüder Italiens» gewannen einer Prognose des Senders RAI zufolge zwischen 26 und 30 Prozent der Stimmen und liegen damit vorn. Den Sozialdemokraten werden zwischen 21 und 25 Prozent vorhergesagt.

Die Wahlen gingen am Sonntag mit Abstimmungen in 21 der 27 Mitgliedstaaten zu Ende. In den EU-Staaten waren insgesamt rund 373 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen, darunter rund 65 Millionen Wahlberechtigte in Deutschland, wo erstmals Menschen ab 16 wählen durften. Die Wahlbeteiligung lag ersten Schätzungen zufolge bei 51 Prozent. Der erwartete Rechtsruck könnte bedeuten, dass Massnahmen etwa gegen den Klimawandel schwieriger durchzusetzen sein könnten. Zugleich könnte der Druck steigen, die Einwanderung in die Union stärker zu begrenzen.

«Bastion gegen Extremismus»

Spannend wird zunächst die Frage, ob Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine zweite Amtszeit erhält. Dazu muss die CDU-Politikerin zunächst vom Europäischen Rat der 27 Staats- und Regierungschefs nominiert und dann vom Parlament gewählt werden. Nicht ausgeschlossen hat von der Leyen bislang, dafür auch die Stimmen rechtspopulistischer Parteien in Anspruch zu nehmen. Vor allem SPD und Grüne haben in dem Fall angedroht, sie nicht unterstützen zu wollen. In einer ersten Reaktion auf die Wahlergebnisse sagte die 65-Jährige: «Wir werden eine Bastion gegen Extremismus von links und von rechts bilden.»

In Deutschland erreichte die SPD laut Daten von ARD und ZDF als drittstärkste Partei 14 Prozent, die Grünen kommen auf 12 Prozent - nach 20,5 Prozent vor vier Jahren. Die FDP konnte mit 5 Prozent besser abschneiden als erwartet. Das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kommt aus dem Stand auf etwa 5,5 Prozent. Die Wahlbeteiligung in Deutschland lag zwischen 64 und 66 Prozent und damit deutlich höher als in der EU insgesamt. Vor vier Jahren hatte sie bei 61,4 Prozent gelegen.

(Reuters)