Der Franken hat gegenüber allen wichtigen Währungen in den letzten zwei Wochen erneut an Wert hinzugewonnen, obwohl die geopolitischen Spannungen im Nahen Osten abgenommen haben und dies eigentlich gegen eine unmittelbare Frankenaufwertung gesprochen hatte. Am Donnerstag notierte die Gemeinschaftswährung im amerikanischen Devisenhandel auf tiefsten erreichten Schlusskurs von 0,9408 Franken pro Euro. Zwar wurden am 15. Januar 2015 mit der Aufhebung der Untergrenze vereinzelt tiefere Kurs bezahlt, aber von einem geordneten Handel konnte in den frühen Morgenstunden vor Start der europäischen Devisenmärkte am selben Tag nicht gesprochen werden. Die cash-Datenbank zeigt einen bezahlten Tiefstkurs von 0,8425 am 15. Januar 2015, die Datenbank von Bloomberg einen Preis von 0,85 Franken. 

Die Gründe für den Auftrieb bei der hiesigen Währung - vor allem gegenüber dem Euro - sind an der Zinsfront, bei der Konjunkturentwicklung, der aktuellen Geldpolitik und der Positionierung der Devisenspekulanten zu suchen.

An den Devisenmärkten sind nicht nur fundamentale Wirtschaftsdaten von Belang, sondern es tummeln sich Tausende von Spekulanten und Hedgefonds am Markt, welche vom Auf und Ab der Währungen profitieren wollen. Und zum Euro haben die Devisenstrategen der ING Bank eine dezidierte Feststellung: Der Leerverkauf des Euro - sprich auf einen sinkenden Kurs der Einheitswährung zu setzen - ist derzeit eine der beliebtesten Devisenwetten. Äusserungen restriktiver Hardliner im EZB-Direktorium wie Isabel Schnabel, welche gestern andeutete, dass eine weitere Zinserhöhung nun vom Tisch sei und sich die Diskussion im Wesentlichen auf Zinssenkungen verlagerte, haben den Druck auf den Euro weiter erhöht. «Ein Auslöser für eine eigenständige Euro-Erholung ist zumindest heute nicht in Sicht», so die ING Bank. 

Dass der Franken weiterhin derart stark bleibt, ist auch der Schweizerischen Nationalbank (SNB) geschuldet. Diese scheint mit der Frankenstärke zufrieden zu sein und hat jüngst nicht am Devisenmarkt interveniert, um eine Währungsschwäche auszulösen, schreibt Ebury, eine auf internationale Zahlungen und Forex-Riskmanagement spezialisierte Firma in London. Dies trage dazu bei, die inländischen Preissteigerungsraten tief zu halten. Das unterstützt zusammen mit dem Schweizer Wirtschaftswachstum die positive Entwicklung des Frankens. 

Ist die aktuelle Konjunkturschwäche in Deutschland bereits eingepreist?

Die Inflationsraten sind im Oktober in der Eurozone deutlich gefallen, was wider Erwarten zu deutlich stärker fallenden Renditen und Zinssätzen an den europäischen Finanzmärkten geführt hat. Entsprechend preisen die Märkte wegen der tieferen Inflation und der schwachen Wirtschaftsentwicklung ein, dass die Europäische Zentralbank (EZB) bereits im ersten Quartal 2024 die Leitzinsen senken könnte. Dem steht die Erwartung gegenüber, dass die Schweizerische Nationalbank im nächsten Jahr die Zinsen zwar auch senken dürfte - allerdings in deutlich geringerem Ausmass und zu einem späteren Zeitpunkt. Entsprechend hat sich die Renditedifferenz zwischen den Schweizer Zinssätzen im Vergleich zu den europäischen verringert. Das macht den Franken zum Euro attraktiver. 

Die Wirtschaftsaussichten sind sowohl in der Schweiz als auch in Europa trübe - aber hierzulande deutlich weniger ausgeprägt. Wie das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO letzte Woche mitteilte, ist das Sportevent-bereinigte Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz im 3. Quartal um 0,30 Prozent gewachsen. Trotz schwierigem Umfeld und einer stagnierenden Wertschöpfung in der Industrie vermochte der Dienstleistungssektor abermals zu stützen. Die Konjunktursignale aus der Eurozone sind dagegen alles andere als erfreulich. Das deutsche BIP dürfte im dritten und vierten Quartal stagnieren respektive leicht negativ ausfallen. Dieser positivere Wirtschaftsausblick könnte den Druck auf die SNB verringern, Anfang nächsten Jahres eine Kehrtwende bei den Zinsen einzuleiten und dürfte kurzfristig für eine Unterstützung bei der Schweizer Währung sorgen, schreiben die FX-Spezialisten von Ebury.

Ein Blick auf die Auftragseingänge für das Verarbeitende Gewerbe in Deutschland, welche im Oktober unerwartet stark um 3,7 Prozent gegenüber dem September sanken, lässt immerhin keine grosse Schwäche der deutschen Wirtschaft ausmachen. Werden die volatilen Grossaufträge ausgeklammert, so steht gar ein leichter Anstieg um 0,70 Prozent zu Buche. Entsprechend geht Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price, davon aus, dass sich eine Verbesserung im verarbeitenden Gewerbe zeigen werde. 

Diesem und anderen kleinen Lichtblicken wie den deutschen Einzelhandelsumsätze steht der deutschen Konjunkturentwicklung ein anderes, grosses Problem gegenüber. Gemäss Wieladek gilt das Hauptaugenmerk dem deutschen Bundeshaushalt, der die grösste Belastung für die deutsche Wirtschaft im nächsten Jahr wegen der Haushaltskürzung infolge des Verfassungsgerichtsurteils sein wird. Das Beitragsloch beträgt mindestens 20 bis 30 Milliarden Euro. «Eine finanzpolitische Kürzung zu einer Zeit, in der die Wirtschaft bereits schwach ist, wird die deutsche Wirtschaft im nächsten Jahr wahrscheinlich in die Rezession stürzen.» Dies ist der wichtigste Gegenwind, den die Anleger im Auge behalten sollten, sobald weitere Informationen über den deutschen Haushalt vorliegen. Dem steht andererseits die am Mittwoch veröffentlichte Prognose der Economiesuisse-Ökonomen gegenüber, welche im zu Ende gehenden Jahr für das reale Bruttoinlandprodukts (BIP) in der Schweiz mit einem Wachstum von 1,0 Prozent und von 1,1 Prozent im Jahr 2024 rechnen.

Sollte sich diese Differenz im Wirtschaftswachstum bestätigen, so sind die Chancen gering, dass sich der Euro zum Franken über die nächsten Monate nachhaltig erholen dürfte. Dies steht in Einklang mit der Erwartung an den Märkten, dass die EZB als auch die SNB nächste Woche an den geldpolitischen Sitzungen die Leitzinsen unverändert belassen. Das in Kombination mit den deutlich tieferen Inflationsraten in der Schweiz im Vergleich zum Euroraum spricht weiterhin für einen starken Franken. 

Thomas Daniel Marti
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