cash.ch: Können Sie erklären, weshalb der Schweizer Franken so stark ist?

Kit Juckes: Der Schweizer Franken ist 'keine' freie Währung, und das ist wahrscheinlich die beste Art, dies zu beschreiben. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Franken wirklich sehr stark ist, wenn man ihn sich selbst überlässt. Die Schweiz ist ein Land mit einem enormen hohen Leistungsbilanzüberschuss und exportiert Waren, die äusserst preisunempfindlich sind.

Gibt es noch andere Gründe, weshalb der Franken schon so lange stark ist?

Der Kapitalexport von Schweizer Fondsmanagern, Investoren, Versicherungen und Pensionskassen ist stärker reguliert und in der Folge seit 2009 schwieriger geworden. Das Ergebnis ist ein unglaublich harter Franken. Wie stark er zukünftig sein wird, hängt meiner Meinung nach tatsächlich davon ab, wie sehr die Schweizerische Nationalbank sich dem in den Weg stehen will.

Kann die Schweizerische Nationalbank den Franken überhaupt schwächen?

Das kann sie bis zu einem gewissen Grad. Die SNB kann Liquidität in das System pumpen. Oder sie kann in den Devisenmarkt eingreifen. Strukturell könnte die SNB auch mit einem Schweizer Staatsfonds die Währung schwächen und so tun, als wäre die Schweiz eine andere Version von Norwegen und dieses Geld, das ins Land fliesst, wie Erdöl betrachten. All diese Dinge können respektive könnten getan werden.

Im letzten Jahr war die SNB aber an einem starken Franken wegen der hohen Inflation interessiert.

Unserer Meinung nach war die Nationalbank nicht sehr daran interessiert, den Franken wirklich zu schwächen. Dieser Kompromiss war in Ordnung. Jetzt ist die SNB aber an dem Punkt, wo sie aktiver gegen die Frankenstärke vorgehen kann, da sich die Inflation gut entwickelt. Ob sie die Leitzinsen diese Woche tatsächlich senkt, bleibt offen. Sie kann auch mehr Liquidität im Finanzsystem schaffen oder den Franken schwach reden.

Die SNB hat also den Spielraum, um die Zinsen vor der amerikanischen Notenbank Fed und der Europäischen Zentralbank zu senken?

Aktuell besteht eine 30-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass die SNB bereits diesen Donnerstag den Leitzins senkt. Sollte sie keine Zinssenkung vornehmen, müsste es bei der Kommunikation halt zu einer Änderung kommen. Zum Beispiel, dass ein schwächerer Franken explizit erwünscht ist. Geldpolitik hat immer mit Kompromissen zu tun, weil dadurch die Sache in die richtige Richtung gelenkt werden kann.

Nicht nur die SNB, sondern auch die Fed tagt diese Woche. Was erwarten Sie da?

Die Märkte erwarten keine Zinssenkung durch die Fed, aber die Marktteilnehmer umtreibt die Frage, ob die Fed 2024 die Zinsen wie eingepreist drei Mal um je 25 Basispunkte senken wird oder nur zwei Mal. Dabei könnten zwei Leitzinssenkungen zu einem stärkeren Dollar führen und es kann durchaus zu etwas mehr Volatilität an den Devisenmärkten führen. Vor allem dann, wenn der ebenfalls anstehende Zinsentscheid der Bank of Japan zu einem Anstieg der Renditen von US-Staatsanleihen führt. 

Damit dürfte sich der Franken zum Dollar weiter abschwächen?

Ich würde im Moment Long-Positionen beim Dollar gegenüber dem Schweizer Franken den Long-Positionen beim Dollar gegenüber dem Euro bevorzugen. Die Volatilität bleibt im historischen Vergleich gering. Die Euro-Dollar-Volatilität hat letzte Woche den tiefsten Punkt seit 2021 erreicht.

Eine Dollarstärke wie in den 80er- oder 90er-Jahren ist also nicht zu erwarten?

Solange die Fed in ähnlichem Ausmass wie die SNB Zinssenkungen vornimmt, wird eine markante Dollarstärke gegenüber dem Franken ausbleiben. Senkt die Fed dagegen die Zinsen nicht, weil sich zum Beispiel der Arbeitsmarkt weiterhin robust zeigt, dann wird dies zu einem stärkeren Dollar führen. Vor allem dann, wenn die Schweizerische Nationalbank die Zinsen senkt oder den Franken verbal schwach redet.

Die Zinsdifferenz zwischen der Schweiz und den USA spricht auch für den Dollar.

Die Stabilitätsorientierung wird eine Schweizer Tugend bleiben. Was die SNB auf jeden Fall verhindern will, ist eine volatile Währung. Insofern erwarte ich nicht, dass der Dollar zum Franken stark steigt, auch wenn die SNB die Zinsen vor der Fed senken würde.

Sollte sich die US-Wirtschaft auf der anderen Seite abkühlen: Würde das den Dollar drücken?

Viele Kunden fragen mich, warum der Dollar nicht viel stärker ist, obwohl die US-Wirtschaft so gut läuft. Die Antwort liegt zum Teil darin, dass der Dollar real bereits aussergewöhnlich stark ist. Eine wirklich starke Wirtschaft könnte den Dollar noch etwas höher treiben, aber schwächere US-Wirtschaftsdaten und sinkende Zinsen würden sich stärker auswirken und den Dollar schwächen. Niedrigere US-Zinsen waren in den meisten Konjunkturzyklen ein Katalysator für einen schwachen Dollar, selbst wenn das Wachstum nicht sehr schwach war. Dies wäre auch jetzt wieder der Fall, da der Dollar historisch gesehen sehr stark gegenüber den meisten Währungen ist.

Bleiben die Geldflüsse in den Franken auf mittlere Sicht?

Es ist mehr die Schweiz als die Nationalbank, die das ändern könnte. Ich meine damit, wenn das Schweizer Recht weniger freundlich gegenüber zufliessendem Kapital wäre. Es zeigt sich eindrücklich, wie diese Zuflüsse aufgrund der Attraktivität der Schweiz nicht aufgehört haben. Derzeit sind keine regulatorischen Änderungen absehbar, damit sich das ändert. Gesetzesänderungen würden die Schweiz letztendlich für Kapitalzuflüsse weniger attraktiv machen. Das bleibt schwierig. Derzeit kann die Schweiz nicht schnell genug Häuser bauen, damit die Leute dort wohnen können. Nichts dergleichen ändert sich, es ist also ziemlich schwer zu erkennen, wie sich die Schweiz weniger attraktiv machen möchte, nur um die Währung zu schwächen.

Es scheint, alles Kapital strömt in die Schweiz?

Wer will schon einen dermassen attraktiven Ort ändern, wie er sich präsentiert? Klar wurde der Franken jüngst etwas schwächer. Aber aus Schweizer Sicht ist er immer noch sehr stark. Es fällt mir schwer, ein Szenario zu erkennen, das in irgendeiner Weise dazu führen kann, dass sich die Kapitalströme ändern. Zudem hat sich die Schweiz ausserordentlich gut geschlagen, um sensible Industrien aufzubauen. Die Wertschöpfung ist sehr hoch, und die Abhängigkeit von Rohwaren gering. Erst wenn die Schweiz das Matterhorn verkaufen muss, sollte sie sich wirklich Gedanken machen.

Sie haben einen Schweizer Staatsfonds angesprochen. Wie sollte der aussehen?

Ein Staatsfonds kann das Problem der Frankenstärke lösen. In diesen sollte jeden Monat ausreichend Geld hinein investiert werden - möglichst viel Geld (lacht). Die Schweiz erhielte damit eine Währung, die etwas schwächer ist. Ich denke auch, falls die Schweizerische Nationalbank das Sagen dabei hat, dass dies auch klappen würde.

Ein Staatsfonds ist auch eine politische Angelegenheit...

Ich weiss nicht, wie hoch ich die Wahrscheinlichkeit dafür ansetzen soll. Eines der Argumente besteht aber in den riesigen Dividenden, welche die Schweizerische Nationalbank an die Kantone ausbezahlt hatte in der jüngsten Vergangenheit. Es wäre eine Art der Akzeptanz der Unvermeidlichkeit, weil es Kapitalzuflüsse in den Leistungsbilanzüberschuss gäbe.

Was braucht es primär, damit ein Staatsfonds zustande käme?

Der norwegische Staatsfonds ist sehr gut dokumentiert und sehr leicht verständlich. Jemand müsste in der Schweiz eine grosse Studie darüber schreiben, worum es beim starken Schweizer Franken geht  - und wie ein Staatsfonds dem entgegen wirken kann.

Kit Juckes ist britischer Staatsbürger und globaler Leiter Währungsstrategie bei Société Générale CIB in London. Er stiess im Juni 2010 zu SG CIB. Zuvor war er Chefökonom bei The ECU Group, einem in London ansässigen Währungsmanager.

Kit begann seine Karriere 1984 in einer Research-Boutique in Frankfurt und arbeitete 14 Jahre lang als Ökonom für The Mitsui Bank und SG Warburg sowie als Währungs-, Zins- und Kreditstratege bei NatWest/RBS, wo er auch globaler Leiter Research war . Kit wurde in Kenia geboren und wuchs in Frankreich auf, wo er auch 20 Jahre lang lebte. Er studierte Wirtschaftswissenschaften am University College in London.

Thomas Daniel Marti
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