Baloise mit einem Plus von 20 Prozent, Swiss Re mit einem von 18 Prozent, Swiss Life mit einem von 13 Prozent und Zurich Insurance mit einem von 10 Prozent: Diese Kursperformance der Schweizer Versicherern seit Jahresbeginn sind beachtlich. Der Gesamtmarkt, gemessen am Swiss Market Index (SMI), hat im gleichen Zeitraum um 8 Prozent zugelegt.
 

Schweizer Versicherer haben bereits letztes Jahr eine gute Performance gezeigt, was laut Simon Fössmeier, Analyst bei Vontobel, nicht überraschend ist. Die Zinsentwicklung spielt zwar eine Rolle in dieser Erfolgsgeschichte an den Börsen, spiegelt aber nur einen Teil der Wahrheit wider: «Es ist eigentlich nicht so wichtig, ob die Zinsen um 0,25 Prozentpunkte nach oben oder nach unten gehen. Wichtig ist, dass wir ein Zinsniveau haben, das in der Schweiz, Europa und den USA deutlich über null liegt.»

Der erste positive Aspekt besteht darin, dass Versicherungen nicht mehr gezwungen sind, zu negativen Zinsen anzulegen. Der zweite Punkt ist laut Fössmeier das inflationäre Umfeld. Börsianer betonen immer, dass man in Zeiten der Inflation Unternehmen mit Preissetzungsmacht kaufen sollte. Und Versicherungen haben zweifellos diese Möglichkeit. Während die Inflation in der Lebensversicherung keine Rolle spielt, da die Preise dort nicht verändert werden können (und auch nicht müssen), spielt sie im Sachversicherungsbereich eine wichtige Rolle. Dort können die Preise mindestens einmal im Jahr angepasst werden, was auch geschehen ist. «Wir haben deutliche Preiserhöhungen gesehen, nicht erst seit der Inflation, sondern seit vielen Quartalen», so Fössmeier.

Um genauer zu sein: Seit dem vierten Quartal 2017 wurden global in jedem Quartal höhere Preise für Firmenversicherungen verlangt. Und diese Massnahmen, die schon relativ lange zurückliegen, sind auch heute noch relevant: «Versicherungen brauchen lange, um die Preiserhöhungen in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung oder ihrer Bilanz zu verarbeiten», sagt der Vontobel-Analyst. Man sollte diese Erhöhungen gleichzeitig auch nicht überbewerten, da sie aufgrund hoher Kosten erforderlich waren. Naturkatastrophen, erhöhte Schadensbelastungen, insbesondere in den USA, sowie die Auswirkungen von drei grossen Taifunen in Japan haben eingeschenkt.

Neues Wachstumspotenzial

Bei Baloise gibt es wohl auch einen speziellen Grund, warum die Aktie am stärksten angezogen hat. Bei der Generalversammlung Ende April wurden die Stimmrechts- und Eintragungsbeschränkungen aufgehoben. Einen Monat später trat der aktivistische Investor Cevian aus Schweden offiziell in Erscheinung. Baloise meldete in einer Pflichtmitteilung, dass Cevian mehr als 3 Prozent des Versicherungskonzerns besitzt. Knapp vier Wochen später lag dieser Anteil bereits bei 5 Prozent. Über die genauen Pläne von Cevian Capital bei Baloise ist nichts bekannt. Da der Erstversicherer jedoch seit Jahren regelmässig als Übernahmekandidat gehandelt wird, ziehen hiesige Börsenkreise ihre eigenen Schlüsse.

Bei der Dividendenrendite hat derweil Swiss Re mit 5,5 Prozent die Nase vorn: Der weltweit zweitgrösste Rückversicherer hat im ersten Quartal einen Gewinn im Rahmen der ehrgeizigen Zielvorgaben für das Gesamtjahr erzielt. Höhere Zinsen dürften die Anlageerträge weiter stützen, die Abhängigkeit von Naturkatastrophen bietet hingegen Grund für «Sorgen». 

Titel Kursentwicklung seit Jahresbeginn Vorwärtsgerichtetes Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) Dividendenrendite Datum Halbjahreszahlen
Baloise +19,8 Prozent 17 4,9 Prozent 12. September
Helvetia +5,1 Prozent 13 5,2 Prozent 5. September
Swiss Life +13,4 Prozent 16 5,0 Prozent 3. September
Swiss Re +18,4 Prozent 10 5,5 Prozent 22. August
Vaudoise Assurances +3,4 Prozent 9 4,8 Prozent 27. August
Zurich Insurance +9,6 Prozent 14 5,4 Prozent 8. August

Daten: Bloomberg.

Bei Diskussionen über Versicherungen geht oft unter, dass es neue Risiken wie Naturgefahren, Cybersicherheit oder Künstliche Intelligenz gibt, bei denen Versicherungen Wachstumspotenzial haben. «Aus diesem Grund ist es nicht überraschend, dass alle börsennotierten Schweizer Versicherer seit dem letzten Jahr gute Performance aufweisen», sagt Fössmeier. Im Bereich der Künstlichen Intelligenz sind die zu versichernden Risiken mit Energie und Infrastruktur verbunden. «Es gibt dort enorme Summen zu versichern», erklärt Fössmeier. Auch die Umstellung auf Net-Zero erfordert Investitionen in erneuerbare Energien. Aufgrund politischer Risiken würde man jedoch keine Solarfelder in kritischen Ländern ohne Absicherung errichten.

Allerdings muss man hier genau hinsehen, da die Geopolitik insbesondere bei der Cybersicherheit eine grosse Rolle spielt, bedingt durch staatlich geförderte oder gesteuerte Angriffe. Solche Risiken sind schwer oder gar nicht versicherbar. Insofern ist der Cybersicherheitsmarkt zwar ein enormer Wachstumsmarkt, aber einige Unternehmen sind auch sehr zurückhaltend in Bezug auf die Übernahme solcher Risiken.

Der Herbst birgt Überraschungspotenzial

Der Analyst von Vontobel sieht derzeit noch Potenzial bei Swiss Re, da die Rückversicherung für ihn weiterhin der attraktivste Subsektor bleibt. Bei den anderen Schweizer Versicherungen empfiehlt er, die Aktien zu halten, wobei sich dies im Laufe des Jahres noch ändern könnte. Denn es steht ein interessanter Herbst bevor. Anfang September veröffentlicht Baloise einen Halbjahresplan und eine neue Strategie. Helvetia hat im Dezember einen Kapitalmarkttag mit einer ebenfalls neuen Strategie und einem neuen Finanzplan geplant. Swiss Life wird dies ebenfalls im Dezember tun. Zurich Insurance wird Ende November ebenfalls einen Kapitalmarkttag abhalten. 

Es gibt zudem eine ungewöhnliche Häufung von Managementwechseln im gesamten Sektor. Swiss ReBaloise und Helvetia haben einen neuen CEO, Zurich Insurance einen neuen Finanzchef, Swiss Life einen neuen CEO und einen neuen Finanzchef.

«Wer einen neuen CEO hat, möchte sich möglicherweise anders positionieren», so Fössmeier. Ein Management-Wechsel muss aber nichts Negatives heissen: Wie der Analyst Kamran Hossain von JPMorgan schreibt, dürfte Swiss Re unter dem künftigen Firmenchef Andreas Berger in Sachen Gewinnentwicklung und Kapitalrückführung an die Aktionäre zuverlässiger werden als dies in der Vergangenheit der Fall war. 

Swiss Life als «Exot»

Alle sechs börsennotierten Schweizer Versicherungen haben eine sehr hohe Solvabilitätsquote, die deutlich über der ihrer europäischen Konkurrenten liegt. Bei Zurich Insurance liegt der Swiss Solvency Test (SST) ratio bei 234 Prozent, bei der Swiss Re bei 306 Prozent, bei der Swiss Life bei 212 Prozent, bei der Baloise 207 Prozent, bei der Helvetia bei 288 Prozent und bei der Vaudoise bei 334 Prozent. 

In Europa sind Munich Re, Hannover Rück genauso wie Swiss Re im attraktiven Rückversicherungsgeschäft tätig, sind aber deutlich teurer als Swiss Re. Wenn man Zurich Insurance mit ausländischer Konkurrenz vergleicht, vor allem mit Allianz und Generali, ist der Konzern aus Zürich führend im Bereich Firmenversicherung. Zurich Insurance ist jedoch nicht wie die anderen im Asset Management tätig, sondern eher im Bereich fondsgebundene Lebensversicherung. Allianz ist im Asset Management ungefähr so gross wie BlackRock. Es handelt sich um enorme Vermögensverwalter. Die Bewertung von Zurich Insurance ist im Vergleich zur Konkurrenz am höchsten, da die Profitabilität durch das Amerika-Geschäft ebenfalls hoch ist.

Swiss Life hingegen hat mit ihrem Geschäftskonzept in Europa eine einzigartige Position. Die hohen Immobilienbestände werden von ausländischen Investoren häufig hinterfragt. «Sie können einfach nicht verstehen, warum der Schweizer Immobilienmarkt eine Insel der Glückseligkeit ist», so Fössmeier. Der hohe Immobilienbestand kann im Gegenteil sogar als Vorteil betrachtet werden. Die Investmentrendite im Portfolio von Swiss Life ist im Vergleich zur Konkurrenz im Vorteil. Nicht jedes Jahr, aber über mehrere Jahre hinweg. 

Während Swiss Re aufgrund der Bewertung und der Dividendenrendite weiterhin interessant für einen Kauf ist, sollte man bei Swiss Life und Zurich auf einen möglichen Rücksetzer im Sommer abwarten. Baloise, Helvetia und Vaudoise sind weiterhin Aussenseiter, aber mit entsprechendem Überraschungspotenzial. Insbesondere Cevian könnte bei Baloise für Kursbewegungen sorgen. Wer mehr Sicherheit bei einer Investition sucht, sollte den ereignisreichen Herbst abwarten und sich dann neu positionieren.

ManuelBoeck
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