cash: Herr Mueller, kürzlich rutschte die Börsenkapitalisierung von Valora unter die Marke von einer Milliarde Franken. Beunruhigt Sie das?
Michael Mueller: Nein. Zusammen mit meinen Kollegen der Geschäftsleitung haben wir die Aufgabe, die Firma langfristig in die richtige Richtung zu führen. Wir sind überzeugt, dass wir gut unterwegs sind. Auf eine bestimmte Schwelle bei der Marktkapitalisierung fokussieren wir uns dabei nicht.
Valora hatte immer den Ruf einer eher defensiven Aktie. Sie ist im laufenden Jahr aber schlechter unterwegs als der Gesamtmarkt. Welches Feedback erhalten Sie derzeit von Investoren?
Unsere Ziele haben sich in den letzten Monaten nicht verändert. Wir sind sehr zufrieden mit dem Geschäftsgang und blicken zuversichtlich in die Zukunft. Die negative Entwicklung im Aktienkurs hat stattgefunden, ohne dass wir in der Kommunikation bezüglich unserer Ziele etwas geändert haben.
Sie halten also an Ihrem Ziel von 90 Millionen Betriebsgewinn und an Ihrer Dividende fest?
Ja, wir halten an den kommunizierten Zielen mit einem Betriebsergebnis in Höhe von 90 Millionen Franken, plus minus 3 Millionen, für das laufende Jahr fest. Auch unsere langfristigen Ziele bleiben unverändert. Wir sind in den letzten Jahren eine stabile und berechenbare Dividendenpolitik gefahren.
Ein Unsicherheitsfaktor ist die Neuausschreibung von Verkaufsflächen durch die SBB. Gibt es diesbezüglich Neuigkeiten?
Gegen das Jahresende hin reichen wir die entsprechenden Dokumente ein. Den Entscheid der SBB erwarten wir Mitte 2019. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Wäre es schlimm, wenn Valora Verkaufsflächen verlöre?
Wir haben uns ganz klar einem Wachstumskurs verpflichtet und wollen daher keine Verkaufsflächen verlieren. Wir sind zuversichtlich, dass wir die bestehenden Flächen verteidigen können. Der Entscheid der SBB hat zwar einen Einfluss auf unser Schweizer Geschäft, da teilweise sehr gute Verkaufsflächen neu ausgeschrieben worden sind. Aber eine finanzielle Schieflage des Konzerns droht uns nicht.
Braucht es für den Detailhandel der Zukunft nicht tendenziell weniger Verkaufsfläche?
Der stationäre Handel wird in der Schweiz immer eine Rolle spielen, weil der unmittelbare Kundenkontakt sehr wichtig ist. Aber klar: Der Online-Kanal wird den Detailhandel weiter verändern, wobei es zwischen den Produktsegmenten zu unterscheiden gilt. Der Buch- und Kleiderhandel ist vom Online-Handel stärker betroffen als unser Geschäft, das sehr stark impulsgetrieben ist. Hier muss man physisch nahe am Kunden sein. Wer einen Kaffee trinken möchte, will das umgehend tun können.
Aber der Trend zu weniger Verkaufspersonal dürfte auch vor Valora nicht halt machen.
Die zahlreichen neuen Möglichkeiten im Bezahlprozess wie etwa Self-Checkout werden im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung bestimmt zentral sein. Es geht grundsätzlich um die Frage, wie der Kunde möglichst schnell und einfach zu seinen gewünschten Produkten kommt. Das Beispiel von 'Amazon Go' zeigt, wie wichtig neue Technologien im Detailhandel geworden sind. In der Konsequenz kann das heissen, dass das Ladenpersonal neue Funktionen übernehmen wird.
Abgesehen vom Bezahlprozess: Wie sieht der Kiosk der Zukunft aus?
Die Kunden wollen immer weniger Zeitungen und Zeitschriften, entsprechend haben wir alternative Angebote im Food- und Dienstleistungsbereich entwickelt. Der Bereich Food kann immer noch besser, frischer, attraktiver werden. Das ist sicher ein wichtiger Teil des Kiosks der Zukunft. Aber auch bei den Dienstleistungen wollen wir unsere Nähe zu den Kunden noch mehr nutzen. So kann online bestellte Ware, beispielsweise Geräte oder SIM-Karten von Swisscom, bereits heute an zahlreichen Valora-Verkaufsstellen bezahlt und oder abgeholt werden. Beim Einkaufsprozess wollen wir die Geschwindigkeit und die Einfachheit erhöhen.
Stört es Sie in diesem Zusammenhang, dass die grossen Schweizer Banken Apple Pay und Samsung Pay boykottieren?
Wir machen sehr gute Erfahrungen mit allen elektronischen Bezahlmitteln – auch mit kontaktlosen Lösungen. Wir sind daran interessiert, dass eine hohe Durchdringung dieser Bezahlmittel bei den Kunden erreicht wird.
Welche Produktgruppen laufen momentan besonders gut?
Die Entwicklung bei der Sofortverpflegung ist sehr dynamisch, da die Bevölkerung immer mobiler wird und sich darum zunehmend ausser Haus verpflegt. Entsprechend ist auch die Konkurrenz grösser geworden und die Ansprüche der Kunden an Qualität, Vielfalt und Verfügbarkeit sind markant gestiegen. Wenn beispielsweise die Schlange vor einem Brezelkönig oder Caffè Spettacolo zu lange wird, verlieren wir diesen Umsatz sofort an die Konkurrenz.
Sind E-Zigaretten und CBD-Hanfprodukte ein Trend, den Sie wahrnehmen?
Die Tabakindustrie erfindet sich gerade neu. Die neuen Produkte werden von den Kunden zwar sehr gut angenommen, es handelt sich aber noch um einen Nischenmarkt.
Sie kooperieren in Deutschland mit Amazon, in der Schweiz mit Tchibo oder Starbucks. Ist das der richtige Weg, um der Flaute im Detailhandel zu begegnen?
Ich wehre mich gegen den Begriff 'Flaute'. Das Umfeld im Detailhandel ist sehr dynamisch, aber natürlich nicht immer im Interesse aller Marktteilnehmer. Die schnelle Entwicklung im Online-Handel geht zulasten bestimmter Anbieter im stationären Handel. Deshalb macht es Sinn, die physische Nähe unserer Verkaufsstellen zum Kunden auch Partnern zur Verfügung zu stellen. Der Detailhandel sollte die Berührungsängste zu Partnern ablegen.
Ist das im Fall von Amazon nicht riskant? Den klassischen Buchhandel hat der Konzern in kurzer Zeit praktisch überflüssig gemacht.
Amazon ist breit diversifiziert und in einigen Bereichen darauf angewiesen, partnerschaftstauglich zu sein. Dass sie im Retail- und Online-Segment sehr schnell und kompetitiv unterwegs sind, stimmt. Einigeln bringt uns aber nichts. Man muss Kooperationen suchen, die im Idealfall beide Seiten stärken. Eine Zusammenarbeit mit Amazon wäre im Grundsatz auch in der Schweiz denkbar.
2017 übernahmen Sie die Ladenkette BackWerk, die in Deutschland sehr erfolgreich ist. Warum sind in der Schweiz erst zwei Filialen in Betrieb?
BackWerk hat ursprünglich als Discount-Bäckerei begonnen, wo man vor allem frische und günstige Backwaren verkaufte. Mittlerweile hat sich die Kette zu einem Anbieter von 'Feel good'-Sofortverpflegung entwickelt. In der Schweiz ist dieser Prozess erst angelaufen. In Winterthur haben wir im September den ersten Laden nach neuem Konzept eröffnet und sind bisher zufrieden. Bei der Suche nach neuen Standorten sind wir wählerisch.
Sind Sie mit BackWerk mitverantwortlich für das Bäckereien-Sterben in der Schweiz?
Wir haben derzeit zwei BackWerk-Filialen in der Schweiz. Wir sind uns aber bewusst, dass wir mit unserem Angebot längerfristig kleine Bäckereien konkurrenzieren werden. Uninspirierte Anbieter haben es im Wettbewerb schwer. Es gibt aber immer noch viele Geschäfte, die erfolgreich auf lokale Spezialitäten setzen und innovative Kreationen anbieten.
Sie verfolgen eine internationale Expansionsstrategie: In welchen Märkten möchten Sie noch wachsen?
Holland ist für uns immer noch ein neuer Markt, wo wir nun dank der Akquisition von BackWerk präsent sind. Holland ist spannend, weil sich dort erst allmählich die Gewohnheiten der Konsumenten ändern: Vor allem die Dynamik im Morgengeschäft nimmt laufend zu, da die Holländer immer öfter unterwegs frühstücken. Grundsätzlich schauen wir uns aber jeden Markt an, vorausgesetzt es gibt Synergien. Auf Produktionsseite haben wir mit Ditsch den Schritt zur lokalen Präsenz in den USA gemacht, nachdem wir die USA jahrelang von Deutschland aus beliefert haben. Dieser Markt hat viel Nachholpotenzial bei qualitativ hochstehenden Backwaren.
Der Schweizer Markt steuert momentan rund 60 Prozent zum Valora-Umsatz bei. Wohin soll dieser Anteil in Zukunft gehen?
Wenn unsere Wachstumsstrategie ausserhalb der Schweiz aufgeht, dürfte der Umsatzanteil des Heimmarkts etwas zurückgehen. Die Schweiz wird aber weiterhin unser Rückgrat bilden, weil der Markt nach wie vor sehr attraktiv ist.
In der Vergangenheit ist Valora vor allem dank Übernahmen gewachsen. Bleibt das Ihre Strategie?
Übernahmen bleiben weiterhin ein wichtiges Thema. Wir schauen uns laufend Firmen an, die zu uns passen könnten, sei es geographisch oder bezüglich Produktpalette. Den Beweis, dass man das Geschäft besser beherrscht als die Konkurrenz, muss man aber über organisches Wachstum erbringen.
Sie bieten seit rund drei Jahren mit bob Finance auch Kleinkredite an. Lohnt sich das?
Obwohl sich bob Finance bislang noch negativ im EBIT niederschlägt, sind wir zufrieden. Die Erträge aus den Kundenportfolios sind, auch abzüglich der Kosten, über die gesamte Laufzeit positiv. Angaben zum Kreditvolumen machen wir aber keine.
Planen Sie weitere Finanzdienstleistungen?
Ja, wir wollen unsere Produktpalette kontinuierlich erweitern. Ob wir weitere Finanzdienstleistungen selbst entwickeln oder ob wir das mit Partnern machen, evaluieren wir laufend. Die Erfahrungen mit bob Finance helfen uns dabei.
Selecta soll einen Börsengang planen. Wäre das eine Konkurrenz für Sie?
Wir arbeiten im Kaffeebereich erfolgreich mit Selecta zusammen. Zu Börsengerüchten äussere ich mich nicht.
Sehen Sie auch das cash-Video-Interview mit Michael Mueller.
Michael Mueller (geboren 1972) ist seit März 2014 CEO der Valora Holding, davor war er während zwei Jahren deren Finanzchef. Der studierte Jurist führte schon den Jelmoli-Konzern und war im Investmentbanking sowie in der Unternehmensberatung tätig. Am Detailhandel fasziniert ihn vor allem das dynamische Umfeld, wie Mueller im cash-Video sagt.