cash.ch: Evelyne Pflugi, viele Technologieaktien haben in den vergangenen Monaten stark an Wert eingebüsst. Ist jetzt ein günstiger Zeitpunkt, um in solche Unternehmen zu investieren?
Evelyne Pflugi: Technologietitel waren sicher etwas überschätzt. Aber wir investieren nicht unbedingt in Technologietitel, sondern in Innovationen. Wir suchen branchenübergreifend Firmen, die mit ihren Innovationen schon heute Geld verdienen.
Ein konkretes Beispiel, bitte.
Recycling.
Wie bitte? Neu ist das nicht...
Es wird schon lange darüber geredet, aber vieles ist erst heute, dank neusten Innovationen, möglich. Dank Computervision und -sensorik kann Abfall jetzt maschinell so getrennt werden, dass er auch wirklich wiederverwendbar ist.
In welche Firmen sollen Anlegende investieren, wenn sie sich an einem Geschäftserfolg dieser Innovationen beteiligen wollen?
In der Schweiz etwa in die VAT Group.
Das ist ein Dienstleister für die Halbleiter- beziehungsweise Chipindustrie.
Und diese kleinen Halbleiter braucht es für die Computervision und -sensorik im Recycling. Sie investieren also hier sozusagen in die Schaufel, das heisst in den Chipindustriezulieferer – und nicht in die Goldgräber, die Recyclingfirmen.
Ja, wir schauen, wo eine Innovation das grosse Wachstum generieren dürfte, und wählen die Firmen innerhalb der gesamten Lieferkette dementsprechend aus.
Bei welcher Innovation investieren Sie in die Goldgräber, also die Endprodukte?
Im Landwirtschaftssektor sehen wir die Innovation, dass Drohnen eingesetzt werden.
Dank denen können Dünger und Schädlingsbekämpfungsmittel viel gezielter und auch sparsamer eingesetzt werden.
Wir schauen uns derzeit einige Drohnenproduzenten an, in die wir investieren könnten. Aber die meisten sind vom Börsenwert her für unsere Fonds zu klein. Dazu gehört die französische Firma Parrot.
Deren Börsenwert liegt bei rund 150 Millionen Franken.
Die US-Drohnenfirma Aerovirenment ist schon etwas grösser, mit einem Börsenwert von 1,5 Milliarden Franken.
Gibt es im Agrarbereich weitere Firmen, in die Sie investieren?
Zum Beispiel John Deere. Die haben ihre Traktoren mit Sensoren bestückt, damit beispielsweise Wasser und Herbizide gezielter und sparsamer eingesetzt werden können.
Computervision und -sensorik scheint ein grosses Thema?
Diese Innovationen kommen in vielen Branchen zum Einsatz. Beim Pharmariesen Novartis können sie ebenfalls genutzt werden, um Pillenfälschungen und Abweichungen in Chargen zu erkennen.
Mit welcher Aktie können Anlegerinnen und Anleger am meisten davon profitieren?
Einer meiner Lieblinge ist das Unternehmen Nvidia. Es hat einen Innovationsgrad von 100.
Was heisst das?
Wir schauen, wie viel Anteil vom Umsatz eine Firma mit innovativen Technologien erwirtschaftet. Der Innovationsgrad gibt den Prozentanteil des Innovationsumsatzes an. 100 heisst alles, null heisst nichts.
Bei Nvidia liegt der Anteil bei 100 Prozent. Wie viel ist es bei John Deere?
33 Prozent. Gewisse Traktoren mit Sensoren können mit höheren Margen verkauft werden.
Wo steht Tesla?
Bei 80 Prozent.
Ich hätte die höher eingeschätzt.
Die sind zu 20 Prozent auch im Geschäft mit Solarpanels oder Chassis, was nicht unbedingt innovativ ist und wo sich Tesla nicht sehr von der Konkurrenz abhebt.
Ist die Tesla-Aktie im Portfolio des Fonds?
Ja, auch der chinesische Elektroautohersteller Nio.
Chinesische Firmen sind unter Anlegenden nicht mehr so beliebt wie auch schon. Denn sie haben vermehrt politische Probleme, wenn sie international wachsen wollen.
Vor allem kleine und mittelgrosse chinesische Unternehmen haben auf dem Heimmarkt so viele Wachstumschancen, dass sie international oft gar nicht wachsen müssen. Die Kurseinbrüche in China könnten eher eine Einstiegschance sein.
Die Ingenieurin Die Ingenieurin Evelyne Pflugi ist CEO und Co-Gründerin des Vermögensverwalters The Singularity Group. Davor war sie Portfoliomanagerin und Analystin bei verschiedenen Arbeitgebern in den USA und Grossbritannien. Pflugi hat ihren Master in Ingenieurwissenschaften von der ETH, wo sie mit den Schwerpunkten in Lebensmittelwissenschaften, Biochemie und Biotechnologie abgeschlossen hat. Von den 100 Millionen Franken, die die Singularity Group verwaltet, hat sie zusammen mit den Co-Gründern Tobias Reichmuth und Eric Sarasin 3 Millionen beigesteuert. |
Was ist sonst zum Thema Elektroautos in Ihrem Portfolio?
Das südkoreanische Chemieunternehmen LG Chem, Samsung SDI wie auch das mittelgrosse chinesische Unternehmen Gotion High-tech Co. Letzteres ist besonders auf Batterien für Elektrovehikel spezialisiert.
Sind E-Fahrzeuge ein gutes Anlagethema, bei dem Anlegende einsteigen könnten?
Es ist derzeit wahrscheinlich eher etwas zu hoch gelobt – und es gibt andere Bereiche, in denen es weniger volatil zugeht.
Was sind sonst noch interessante Innovationen für Anlegerinnen und Anleger?
Im Baubereich ist es zum Beispiel wiederverwendbarer Beton. Dort wird viel investiert und die Schweizer Firma Sika ist gut positioniert.
Unter den aussichtsreichen Innovationen listen Sie auch den 3D-Druck.
Ja, dort profitiert etwa die US-Firma 3M.
Die vor allem wegen ihrer Post-it-Zettel Bekanntheit erlangt hat.
Bei 3M versteht man, wie neue Materialien entwickelt werden, etwa für den 3D-Druck.
Zuerst braucht es geeignete Materialien, bevor man etwas drucken kann.
Ja, man kann nicht einfach Bäume zerhäckseln und damit einen Tisch ausdrucken. 3M hat Materialien entwickelt, die gewisse Strukturen und Fähigkeiten bieten, die den 3D-Druck ermöglichen.
Auch in der Gesundheitsbranche wird der 3D-Druck eingesetzt.
Ja, dort druckt Johnson & Johnson massgeschneiderte Menisken und neue Kniegelenke. Die Firma ist als Pharmafirma selber bis zu einem gewissen Grad ein 3D-Druck-Unternehmen geworden.
Was ist mit den Schweizer Pharmariesen?
In die Branche investieren wir insgesamt nicht viel. Pharmafirmen sind aus unserer Perspektive gar nicht so innovativ, sondern eher darauf spezialisiert, Patente anzumelden.
Wenn die grossen Pharmafirmen wirklich innovativ wären, müssten sie sich nicht mit Patenten schützen, sondern wären der Konkurrenz immer einen Schritt voraus?
Wir haben einen Think Tank. Einige der Experten dort schmunzeln, wenn sie grosse Versprechungen mit Patenten sehen.
Aber die grossen Pharmafirmen geben viel Geld für Forschung und Entwicklung aus.
Nach unserer Erfahrung ist es erfolgversprechender und bringt mehr Wertgewinn, wenn Geld für Akquisitionen ausgegeben und mehr mit jungen, innovativen Firmen zusammengearbeitet wird. Microsoft macht das gut. Die sind im Bereich Big Data sehr gross geworden, weil sie sehr gute Akquisitionen tätigen, nicht weil sie viel für Forschung ausgeben.
Wie ist das in Bereichen wie künstliche Intelligenz (KI) oder Blockchain?
Leute, die in den Bereichen künstliche Intelligenz oder Blockchain tätig sind, belächeln Patente eher.
Pharmafirmen verstehen da keinen Spass.
Im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) geht es nicht um Patente, die eine Software oder einen Algorithmus schützen sollen, sondern darum, die richtigen Daten richtig zu kombinieren. In der Blockchaintechnologie machen Patente keinen Sinn, denn sie entsprechen nicht dem Ziel der Dezentralisation und verstossen so gegen ein fundamentales Prinzip der Blockchain.
Wie können Anlegende in KI investieren?
Und wie investieren Sie in Blockchain?
Nochmals zurück zur Gesundheitsbranche. Investieren Sie in Biotech-Firmen?
Da sich ein grosser Teil der Biotech-Unternehmen im Forschungs- und Entwicklungsstadium befindet, kommen sie für uns mangels Cash-Inflow nicht infrage.
Ist Crispr ein Thema – also die Genschere, mit der einzelne Gene in Lebewesen ausgetauscht werden können?
Wir hatten Aktien des US-Unternehmens Crispr Therapeutics in unserem Portfolio. Aber wir denken, dass sich der Einsatz von Crispr zuerst im Bereich von Lebensmitteln durchsetzen dürfte, weil es dort weniger Regulierung gibt als beim Einsatz am Menschen.
Und sonst im Gesundheitsbereich?
Thermo Fisher ist unser grösstes Investment im Biotech-Sektor. Die sind schon über 200 Milliarden Franken an der Börse wert. Die Firma macht aus biologischen Daten nutzbare Informationen.
Dieses Interview erschien zuerst im Digitalangebot der "Handelszeitung" unter dem Titel: "«Pharmafirmen sind aus unserer Perspektive gar nicht so innovativ»"