cash.ch: Vor drei Monaten sagten Sie im cash-Interview, dass Sie für Wachstumsaktien auf zwei Jahre hinaus optimistisch sind. Trifft das immer noch zu nach der jüngsten Rally gerade bei den Techwerten?

Anastossios Frangulidis: Wachstumsaktien sind nicht nur IT-Aktien, die jetzt stark angestiegen sind. Da wir keinen weiteren, starken Zinsanstieg zu erwarten haben, sehen wir weiterhin Möglichkeiten bei Wachstumsfirmen, die eine starke Bilanz und ein gutes Geschäftsmodell haben. Gute Qualität soll bevorzugt werden. 

Der grosse Hype sind im Moment Unternehmen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Lohnt sich bei diesem Thema überhaupt noch ein Einstieg?

Man muss immer vorsichtig sein, wenn ein Teil des Marktes in kürzester Zeit sehr stark ansteigt. Wer jetzt investiert ist, kann durchaus einen Teil der Gewinne realisieren. Wichtig ist dabei, dass Anlegerinnen und Anleger breit diversifiziert investieren, so dass man nicht überrascht wird, wenn sich in diesem Umfeld etwas verändert. 

Kann es zu einer Korrektur bei den Tech-Aktien wie im Jahr 2000 während dem Platzen der Dotcom-Blase kommen?

Obwohl wir auch heute wie damals hohe Bewertungen in diesem Marktbereich haben, ist die fundamentale Lage heute anders. Die wichtige Frage, welche sich in Bezug auf KI stellt, ist, wie schnell dieser technologische Fortschritt in breiten Bereichen der produktiven Gesellschaft umgesetzt werden kann. Heute sollte die Adaption von neuen Technologien schneller gehen als während des Dotcom-Booms.

Der Ausblick bei den Unternehmensgewinnen ist gut, der Konsensus geht beim amerikanischen Aktienmarkt für 2024 und 2025 gemäss IBES-Daten von einem Wachstum von mehr als neun Prozent aus. Ist das mit Blick auf die sich eintrübende Konjunktur nicht zu optimistisch?

Für das laufende Jahr liegt das erwartete Gewinnwachstum mittlerweile bei etwa null. Aufgrund der bereits erfolgten negativen Gewinnanpassungen, welche schon im Juli letzten Jahres begonnen hatten, erachte ich die jetzigen Prognosen für das laufende Jahr als vernünftig. Die hohe Prognose von fast zehn Prozent für die nächsten beiden Jahre kann auf der anderen Seite nur dann erfolgreich sein, wenn die amerikanische und globale Konjunktur nach der aktuellen Phase der Abschwächung nicht in eine Rezession fällt und sich dann schnell erholt. Allerdings dürfte es selbst nach einer Rezession schwieriger mit der schnellen Erholung werden, weil die Notenbanken aufgrund der strukturell wirkenden Inflationskräfte die Leitzinsen nicht so stark senken können wie wir uns dies in den letzten Jahrzehnten gewöhnt waren.

Ab wann werden denn die Zinsen in den USA wieder fallen - ursprünglich wurden Zinssenkungen zum Jahresende von 50 bis 100 Basispunkten schon eingepreist?

Wir erwarten, dass die Zinsen erst im Jahr 2024 in den USA sinken werden. Allerdings werden die Zinsen nicht so stark fallen, dass es zu einer erheblichen Neubewertung an den US-Aktienmärkten führen wird. Dies, weil die Notenbanken die Zinsen nur in den neutralen, aber nicht in den expansiven Bereich senken werden. 

Ist der Zinshöhepunkt in den USA schon erreicht? Die Kerninflation liegt ja immer noch bei 5,5 Prozent.

Beim Fed sind wir mit den Leitzinsen de facto auf dem Höchstniveau, auch wenn es noch eine Leitzinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte geben kann. Die Fed dürfte dann auf diesem Plateau die Zinsen bis Ende Jahr halten. In Europa sieht es ein bisschen anders aus. Die Zinsentwicklung folgt im Vergleich zu den USA meist mit einer Verzögerung von sechs Monaten, wie wir bereits in früheren Zyklen gesehen haben. Das heisst, dass im Gegensatz zur Fed die Zinserhöhungen in Europa und auch in der Schweiz weitergehen werden. In Bezug auf die US-Kerninflation gehen wir davon aus, dass sich diese im nächsten Jahr Richtung 3 Prozent zurückbildet. Das Inflationsziel des Fed wird damit nicht erreicht. 

Einige Marktbeobachter erwarten, dass die Teuerung in den USA Ende Jahr wieder anziehen wird. Ist das realistisch?

Es gibt verschiedene Gründe, weshalb sich die Inflation in den USA aber auch global normalisieren wird. Einerseits verschwinden die durch die Corona-Pandemie entstandenen Verzerrungen auf der Angebotsseite der Volkswirtschaft. Das zeigt sich zum Beispiel beim amerikanischen Einkaufsmanagerindex für die Industrie. Dieser zeigt, dass sich die Lieferfristen normalisieren und auch die Materialpreise entwickeln sich rückläufig. Das ist eine erfreuliche Entwicklung im Vergleich zu den Störungen während der Covid-Periode. Ein weiterer Treiber sind zudem die verschlechterten Konjunkturperspektiven einhergehend mit einer reduzierten Nachfrage nach Gütern auf globalem Niveau. Damit lassen die Teuerungsrisiken aus zyklischer Sicht nach. Trotzdem wird die Inflation strukturell höher bleiben.

Wieso sinkt die Teuerung nicht schneller respektive deutlicher?

Ein wichtiger Faktor ist der angespannte Arbeitsmarkt weltweit, weil das Angebot an Fachkräften heute tiefer ist als früher. Ein weiterer Punkt ist die zunehmende Regionalisierung der globalen Volkswirtschaft und die dadurch reduzierte Effizienz der globalen Produktion. In Bezug auf den Arbeitsmarkt kann festgehalten werden, dass die Arbeitnehmer vom gesamten Einkommen der Volkswirtschaft mit einem höheren Anteil rechnen können in den nächsten Jahren - dies zu Lasten der Unternehmensgewinne.

Führt das nicht dazu, dass sich das Gewinnwachstum deutlicher verlangsamen dürfte?

Gewinne sind nominelle Werte. Das heisst, wenn wir etwas höhere Inflation auf längere Frist haben, dann werden die Umsätze der Unternehmen und damit auch die Gewinne steigen, selbst wenn die Löhne anziehen. Diese Situation dürfte sich aber auf die Margen auswirken, und da sind die Erwartungen der Analysten meiner Meinung nach sehr optimistisch. Ich erwarte, dass wir wohl eher einen weiteren Rückgang der Margen sehen werden - gekoppelt mit einem vernünftigen, nominellen Wirtschaftswachstum, das den Gewinnen erlauben wird, weiter zu wachsen, wenn auch weniger stark als von vielen Analysten erwartet.

Da scheint es sinnvoll, weiterhin an den Aktienmärkten investiert zu bleiben?

Vorerst bleibt die Gefahr einer Aktienpreiskorrektur in einem rezessiven Szenario gross. Heute gehen die Aktienmärkte von einem 'Soft landing' der US-Volkswirtschaft aus, was aber alles andere als sicher ist. Mittelfristig versprechen Aktienanlagen aber immer noch höhere Renditen als andere Anlageklassen. Dies gilt auch unter der Annahme, dass die Inflation höher sein wird als in den letzten zwei Jahrzehnte. Um das reale Vermögen langfristig zu sichern, muss man in Aktien investiert sein. 

Welchen Einfluss auf den hiesigen Aktienmarkt haben die von Ihnen erwarteten Zinserhöhungen in der Schweiz?

Wir rechnen noch mit zwei Zinserhöhungen um je 25 Basispunkte in der Schweiz, nachdem sich das Land im vergangenen Jahr mit einer importierten Inflation konfrontiert sah, welche sich zunehmend auf dem Binnenmarkt verbreitete. Das will die Schweizerische Nationalbank (SNB) weiter bekämpfen. In Bezug auf den Franken sehen wir, dass sich dieser in den letzten Jahren real nicht aufgewertet hat. Dies ist für die Unternehmen wichtig. In diesem Sinne sehe ich keine Schwierigkeiten für Schweizer Unternehmen, wenn der Franken sich nominell nicht übermässig aufwertet. 

Bremsen die höheren Zinsen nicht gerade bei kleineren Firmen, welche auf die Schweiz ausgerichtet sind, das Gewinnwachstum?

Der starke Franken reduziert das Inflationspotential, und gerade die KMU's profitieren von dieser Entwicklung. Dies, weil die Realeinkommen in der Schweiz nicht so stark gefallen sind wie in anderen Ländern - und der Konsum hält einigermassen. Das zeigt die Stärke des Modells Schweiz. Ich mache mir keine Sorgen, dass sich das gross ändern wird. Auch dann, wenn die SNB die Zinsen weiter erhöht. 

Anastassios Frangulidis ist Leiter Multi Asset Schweiz und Chefstratege bei Pictet Asset Management in Zürich.

 

Thomas Daniel Marti
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