Herr Keiser, Sie managen für Rothschild & Co einen mit rund 800 Millionen Franken gefüllten Aktienfonds. Helfen Sie uns: Wie wird Otto Normalverbraucher zu einem besseren Investor?
Auf den Aktienmärkten prasseln auf den Anleger jeden Tag unzählige Nachrichten ein. Diesen ganzen «Noise» müssen Sie ausblenden. Kurzfristig wird spekuliert, langfristig investiert. Die Langfristigkeit ist für den Erfolg zentral, und die kann man sich antrainieren. Der Anleger sollte sich bei jedem Kauf die Frage stellen, ob er die Aktie auch dann kaufen würde, wenn er sie zehn Jahre nicht mehr aus dem Depot werfen könnte. Nur wenn er diese Frage mit Ja beantworten kann, sollte er zugreifen.
Welche Skills sind gefragt?
Geduld ist sehr wichtig, man soll nicht zu emotional sein und rational denken können. Lernbegierigkeit ist notwendig, denn für einen guten Investor ist die Arbeit nie getan. Man muss sich eben dafür interessieren, was ein gutes Unternehmen ausmacht.
Was wäre das?
Der Fokus ist unglaublich wichtig. Das Unternehmen sollte auf eine Branche fokussiert sein, idealerweise mit nur wenigen Brands. Idealtypisch ist der französische Luxuskonzern Hermès, das Negativbeispiel wäre Nestlé. Dann geht es um die «Skin in the Game». Die Manager sollten auch Eigentümer ihres Unternehmens sein, so liegt ihnen besonders viel am langfristigen Erfolg. Musterbeispiel ist auch hier Hermès. Die Familie ist seit rund 200 Jahren mit dem Unternehmen eng verhaftet. Sie wird alles tun, damit der Brand keinen Schaden nimmt. Ein gutes Unternehmen verfügt auch über Antifragilität.
Unzerstörbarkeit?
Das und noch mehr. Die besten Unternehmen werden durch Krisen noch stärker. Während schwächere Konkurrenten mit der Finanzierung kämpfen, fahren sie ihre Marktanteile hoch.
Durch Zukäufe?
Nicht unbedingt. Unternehmen sollten sich auf ihr Kerngeschäft fokussieren. Sie sollen eine gute Marktposition haben und gut wachsen - statt zuzukaufen. Jedes Unternehmen fängt in einer Nische an. Mit dem Wachstum steigt der Drang, grösser zu werden. Mit Zukäufen gehen die Unternehmen dann in neue Bereiche abseits des Kerngeschäfts und verzetteln sich dabei.
Sika gilt als eine der grossen Success-Storys – nicht zuletzt dank der vielen Zukäufe.
Das Unternehmen hat es relativ gut gemacht und hatte den Vorteil eines fragmentierten Markts. Aber die Strategie kommt auch bei Sika an ihre Grenzen. Der letzte Zukauf war noch okay, der davor besser. Firmen sollten sich lieber auf die Qualität ihrer eigenen Produkte verlassen.
Lässt sich von der Qualität der Produkte auf die Chance an der Börse schliessen? Oder anders gefragt: Ist es sinnvoll, Aktien zu kaufen, weil man die Produkte oder Dienste schätzt?
Es ist ein Ansatz. Wenn ich das Produkt schon schlecht finde, ist das Investment sicher weniger optimal. Es besteht nur die Gefahr, dass zu viele Emotionen in das Investment reinkommen und der Investor die Objektivität verliert. Aber auch für unsere Analyse ist die Qualität der Produkte ein wichtiger Punkt. Nur so hält man Kunden bei der Stange. Die Produkte müssen einzigartig sein. Das Positivbeispiel wäre die handgefertigte Tasche von Hermès, das Negativbeispiel eine Tankstelle. Ob ich zur Tankstelle A oder B fahre, ist mir als Konsument ziemlich egal. Wichtig noch: Die Produkte sollten keinen zu grossen Anteil an den Gesamtkosten des Käufers ausmachen.
Warum das?
So ist die Gefahr, den Kunden zu verlieren und Preiskonzessionen machen zu müssen, geringer. Nehmen Sie die Lifthersteller wie Otis, Schindler oder Kone. Die Lifte machen nur einen geringen Teil der Immobilienprojekte aus. Hinzu kommt, dass bei der Sicherheit nicht gespart wird. Billiganbieter haben auf dem Markt keine Chance. Nimmt man die Punkte zusammen, hat eine Firma Preissetzungsmacht, und genau die macht ein gutes Unternehmen aus. Ein Ölkonzern hat keine Preissetzungsmacht. Solche Commodity-Branchen sollte man meiden. Da bestimmen nur externe Faktoren über das Schicksal des Unternehmens.
Sie haben mehrfach Hermès erwähnt. Haben Sie in Ihren Fonds einen starken Fokus auf Luxus und Brands?
Eigentlich gar nicht so sehr. Wir finden Luxus interessant, aber auch nur wenige Anbieter. So sind wir etwa von Kering (Anmerkung der Redaktion: mit Marken wie Gucci oder Yves Saint Laurent) weniger überzeugt. Das sind Brandmanager, die Marken kaufen und verkaufen. Im Unterschied zu Hermès ist die Bindung zu den Marken bei Kering deutlich weniger eng. Das gilt noch stärker für grosse Konsumgüterkonzerne. Da kauft man mal wieder einen Brand oder trennt sich von ihm. Die machen den Job eines Portfoliomanagers, wie ich einer bin.
Ein interessanter Gedanke. Solche Firmen gleichen Beteiligungsgesellschaften, und sie werden zum Dachfondsmanager?
So ähnlich könnte man es sehen. Kering ist ein Konglomerat, das man fast nicht mehr analysieren kann. Daher kaufen wir bevorzugt Firmen mit nur einem Brand wie etwa L’Oréal. Da habe ich nur eine Marke in einer Branche, da ist alles schön aufgeräumt.
Ich nehme an, auch ein Fondsmanager hat seine Favoriten. Welches sind Ihre fünf Lieblingsaktien?
Hermès, Costco Wholesale, Mastercard, Moody’s und Microsoft.
Ein Tool, um Wissen zu beschaffen, das in der Regel nur Grossinvestoren offensteht: Sie sprechen oft mit Firmenlenkern. Wie wichtig sind solche Insights?
Die Gespräche sind für uns sehr wichtig. Ich habe kürzlich den CEO von VAT im Rheintal getroffen. So haben wir die Infos für unser Finanzmodell aus erster Hand. Das ganze Zeug von Bloomberg brauchen wir nicht. Dabei geht es natürlich um viel mehr als nur um Zahlen. Durch die Treffen bekomme ich ein Gespür, wie die Firmenlenker ticken, was ihren Charakter ausmacht. Viel lässt sich auch über den Umgang mit den Mitarbeitern erkennen. Natürlich geht es dabei auch um ihre Visionen und ihre Strategie.
Der Vorstand sieht die Zukunft des eigenen Unternehmens in der Regel positiv. Besteht dabei also nicht die Gefahr, die Objektivität zu verlieren?
Das ist so. Daher sprechen wir auch mit Zulieferern, Kunden, Konkurrenten und dem Regulator. Diese Treffen sind besonders wichtig. So erhalten wir ein holistisches Bild der Branche.
Dabei lässt sich viel zwischen den Zeilen analysieren. Privatanleger müssen sich mehr auf Zahlen verlassen. Welches ist für Sie die wichtigste Kennzahl?
Das ist die Kapitalrendite. Bei Aktienanlagen erwartet der Investor eine Rendite – meist liegt sie irgendwo zwischen fünf und zehn Prozent. Was häufig vergessen wird: Bei Unternehmen ist es genau gleich. Die investieren ja auch in Sachanlagen, Umlaufvermögen und generieren daraus einen Gewinn. Dem stelle ich die Kapitalkosten entgegen. Liegt die Kapitalrendite unter den Kapitalkosten, vernichte ich Geld. Firmen, die so unterwegs sind, gefallen mir natürlich nicht. Wir wollen Unternehmen, die eine Rendite auf das Kapital von 20 Prozent und mehr aufweisen. Je höher die Kapitalrendite, desto grösser der Zinseszinseffekt.
Zinseszinseffekt – das klingt nach dem legendären Investor Warren Buffett. Ihr Vorbild?
Mehr noch Charlie Munger. Er hat Warren Buffett beigebracht, dass Qualitätsunternehmen zwar teuer, aber langfristig die besseren Investments sind. Munger hat Buffett auf den richtigen Weg gebracht.
Also war Munger das grössere Anlagegenie?
Wahrscheinlich. Buffett war ursprünglich ein «Cigar Butt Investor». Er war auf besonders günstige Firmen aus, die keiner mehr wollte. Die meisten Investoren suchen billige Unternehmen, aber meistens sind das schlechte Firmen. Sie werden nicht zufällig zu tiefen Preisen gehandelt. Im Umkehrschluss erscheinen die meisten guten Unternehmen Investoren kurzfristig gesehen zu teuer. Doch das ist zu kurz gedacht. Hat der Anleger einen Zehn-Jahres-Horizont, kann er auch teure Unternehmen kaufen. Wir haben das durchgerechnet. Selbst wenn ich Hermès vor zehn Jahren mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 400 gekauft hätte, hätte ich mit der Aktie immer noch acht Prozent im Jahr verdient.
Aber die Schnäppchenjagd ist etwas Verlockendes.
Der Einstiegskurs gilt für jeden Investor individuell und hat für die breite Masse eigentlich keine Bedeutung. Das verwirrt und führt zu falschen Handlungen. Das Downside ist immer 100 Prozent. Eine Aktie, die bereits 90 Prozent gefallen ist, kann auf null gehen. Eine der wichtigsten Regeln: Nie in eine Blackbox investieren.
Was meinen Sie damit?
Wenn man ein Unternehmen nicht analysieren kann, fällt man auf die Nase. Wir haben keine Banken im Depot. Banken mit grösserem Kreditbuch sind schwer durchschaubar und stellen für den aussenstehenden Investor ein unkalkulierbares Risiko dar. Banken vergeben kurzfristig Kredite – wenn diese ausfallen, bricht es ihnen das Genick. Auch die meisten Versicherungen oder auch Pharmatitel mit ihren klinischen Studien fallen in die Kategorie Blackbox. Rückversicherungen sind eine völlige Blackbox.
Viele Anleger investieren für die Rente. Was muss ich tun, um mit einem dicken Kapitalpolster in den Ruhestand gehen zu können?
Das ist eigentlich ziemlich einfach. In jüngeren Jahren sollte man einen Teil der Ersparnisse, beispielsweise alles, was man auf Sicht von fünf bis zehn Jahren nicht braucht, in Aktien investieren. Und damit meine ich ausdrücklich investieren, nicht spekulieren. Idealerweise setzt sich das Portfolio aus 25 bis 30 hochwertigen Firmen zusammen. Das reicht, mehr kann man ohnehin nicht im Blick behalten. Diese Aktien werfen im Schnitt eine jährliche Rendite von zehn Prozent ab. Bei so einer Rendite wirkt der Zinseszinseffekt über die Jahre extrem.
Wie investieren Sie für sich selbst, wie betreiben Sie Altersvorsorge?
Ich habe mir schon überlegt, meinen Wohnsitz nach Italien zu verlegen, die Pensionskassengelder auf diese Art zu beziehen und das Kapital so anzulegen, wie ich es will – nämlich in die 20 besten Firmen der Welt. Würden alle so investieren, gäbe es keine Vorsorgelücke, und ich könnte schon vorzeitig in den Ruhestand gehen.
Es wird viel über die spezifischen Anforderungen für Frauen punkto Investitionen und Altersvorsorge gesprochen. Sehen Sie auch für Männer spezielle Anforderungen?
Männer sind häufig zu aktiv. Sie haben das Gefühl, dauernd am Depot herumschrauben zu müssen. Vielleicht fehlt die Geduld. Aber wurden die 20 Firmen sorgfältig ausgewählt, muss ich nicht mehr viel machen. Ein, zwei Anpassungen im Jahr, mehr braucht es meistens nicht. In einer Untersuchung wurden die Depots von Privatanlegern unter die Lupe genommen. Wie sich zeigte, ragten die Depots heraus, die sich im Besitz von Personen befanden, die bereits verstorben waren. Am zweitbesten waren die vergessenen Investments. Die meisten Leute pfuschen nur herum. Laufen die Aktien gut, verkaufen sie zu früh, bei fallenden Kursen ziehen sie schnell die Reissleine und verpassen die Erholung.
Ist das Schwierigste in Ihrem Job also, nichts zu tun?
So ist es. Die meiste Arbeit fällt vor dem Kauf an. Man sollte am Anfang extrem tief in die Analyse reingehen. Bei uns dauert es Monate, bis wir ein Unternehmen durchleuchtet haben. Die meisten Leute kratzen immer nur an der Oberfläche. Das bringt nichts.
Wie finden Sie Direktinvestitionen in Uhren, Autos oder Immobilien?
Ich investiere nur in Sachen, die ich bewerten kann. Ich kaufe gerne Sneakers für meine Sammlung. Aber das Ziel, Geld damit zu verdienen, habe ich nicht. Dafür müsste ich viel näher am Markt sein. Wenn ich mich jeden Tag mit Turnschuhen beschäftigen würde, wäre das etwas anderes.
Beat Keiser managt bei der Bank Rothschild & Co in einem Team von vier Personen den 800 Millionen Franken schweren "LongRun Global Equity Fund" und ist Head of Equities. Keiser ist seit zehn Jahren bei Rothschild in Zürich und baute dort das Equity Research auf. Zuvor war er als Aktienanalyst und als Unternehmensberater tätig.
Dieses Interview erschien zuerst in "Bonanza", einer Publikaion von. "Bilanz" und "PME", unter dem Titel «Die meisten pfuschen rum».
1 Kommentar
Das tönt doch sehr gut, Idealvorstellung. Wie könnte ein Retailkunde von diesem Approach und der Erfahrung profitieren?