Nach einer durchzogenen Entwicklung in den ersten zehn Monaten 2023 hat der Schweizer Aktienmarkt zum Jahresende hin zu einer fulminanten Erholung angesetzt. Der Swiss Market Index legte seit Ende Oktober 2023, also seit genau drei Monaten, um fast 8 Prozent zu, der breiter gefasste Swiss Performance Index (SPI) stieg um rund 7 Prozent. Ausgelöst wurde die Kursrally in Erwartung von rascheren Zinssenkungen durch die Notenbanken sowie der positiven Konjunkturentwicklung in den USA, welche die Marktteilnehmer auf eine sanfte Landung der Wirtschaft ohne Rezession hoffen lässt.

Dabei konnten sich nicht nur die zinssensitiven Technologie- und Wachstumswerte positiv in Szene setzen. Die Gesamtperformance von 18 der 20 im SMI vertreten Titel weiss zu überzeugen, wie die nachfolgende Grafik zeigt:

Performance der SMI-Titel über die letzten drei Monate (25.01.2024)

Performance der SMI-Titel über die letzten drei Monate.

Quelle: Bloomberg

Unter den Top fünf findet sich mit ABB (+21 Prozent in den letzten drei Monaten) ein Überflieger, der schon seit geraumer Zeit ganz weit oben auf den Zetteln der Anlegerinnen und Anleger steht. Auslöser für den jüngsten Höhenflug beim Industriekonzern war der Kapitalmarkttag Mitte November, als das Unternehmen ambitioniertere Wachstumsperspektiven in Aussicht gestellt hatte.

Künftig will ABB auf vergleichbarer Basis jährlich um 5 bis 7 Prozent über den Konjunkturzyklus wachsen. Darüber hinaus sollen Akquisitionen wie bisher 1 bis 2 Prozent zum Wachstum beisteuern. Insgesamt soll so ein Umsatzplus von jährlich zwischen 6 und 9 Prozent erreicht werden.

Bei Sonova (+29 Prozent), Givaudan (+22 Prozent), Geberit (+20 Prozent) und Kühne+Nagel (+20 Prozent) ist die erfreuliche Kursentwicklung nicht überzeugenden Unternehmensresultate oder Ratinghochstufung geschuldet. Vielmehr kam es dank den tieferen Langfristzinsen zu einer Gegenkorrektur, nachdem diese Titel in den letzten zwei Jahren deutliche Kursverluste eingefahren haben. Im Fall von Kühne+Nagel beflügeln die höheren Frachttarife wegen der Krise in Nahost und der blockierten Route durch das Rote Meer das Geschäft.

Beim Blick auf die hinteren Ränge fällt einmal mehr Alcon auf. Seit der Abspaltung von Novartis vor fünf Jahren hat der Titel magere 25 Prozent zugelegt. Unter Berücksichtigung der bescheidenen Dividendenrendite ist das Gesamtergebnis weiter enttäuschend.

Konsternierend ist die Kursentwicklung bei Nestlé. Verleiderverkäufe machen nach Ratingabstufungen und Kurszielreduktionen die Runde. Auch Roche kommt weiterhin nicht vom Fleck, der Aktienkurs profitiert kaum von der Übernahme der 2,7 Milliarden Dollar teuren Carmot Therapeutics, die Fettleibigkeits-Arzneien entwickelt, oder Telavant. Erst wenn absehbar ist, dass diese Übernahmen einen positiven Einfluss auf den Cashflow haben, dürfte es mit den Roche-Valoren nachhaltig nach oben gehen. 

Im Pharmabereich geht es aber auch anders, wenn man die Hausaufgaben rechtzeitig gemacht hat. Novartis (+8 Prozent) dürfte bei der Präsentation der Quartalszahlen am 31. Januar seine mittelfristige Guidance mit einem Gewinnwachstum von über 5 Prozent bestätigen. Novartis profitiert dank den richtigen Produkten in der Pipeline bereits vom Trend nach mehr Medikamenten, da die Bevölkerung immer älter wird. 

Defensiver Pharmasektor und Konsumgüterhersteller wieder stärker im Fokus

Für den Pharmasektor spricht auch das makroökonomische Umfeld, erklärt Wolf von Rotberg, Aktienstratege bei der Bank J. Safra Sarasin, auf Anfrage von cash.ch. Bezogen auf die Entwicklung dürfte sich 2024 teils spiegelbildlich wie 2023 entwickeln - sprich ein schwächerer US-Zyklus mit fallenden Inflationsraten und niedrigeren Zinsen.

«Das bedeutet, dass jene Sektoren und Titel, die stark unter den steigenden Zinsen gelitten haben, mehr Unterstützung sehen dürften. Darunter fallen defensive Sektoren im Konsumgüter- und Gesundheitsbereich, aber auch Sektoren mit erhöhten Verschuldungsniveaus.» In der Schweiz betrifft das kurzlebige Konsumgüterhersteller, zu denen auch Nestlé gehört, und den Pharmabereich, wo von Rotberg 2024 eine Outperformance erwartet.

Interessanterweise haben fast alle im SMI vertretenen Unternehmen, die ihre Jahresabschlüsse in Dollar statt in Franken erstellen oder Aktien mit einem höheren Kurs-/Gewinnverhältnis (KGV), den breiten SMI in den letzten Monaten weitgehend übertroffen, sagt Onur Von Burg von der Banque Heritage. «Wir sind jedoch der Ansicht, dass die derzeit eingepreisten Zinssenkungserwartungen einen zu grossen Optimismus widerspiegeln und Enttäuschungen dieser Erwartungen eine relative Outperformance der defensiven Titel in der Schweiz gegenüber den eher zyklischen und wachstumsorientierten Unternehmen begünstigen sollten. Eine leichte Abwertung des Franken dürfte auch das defensivere Segment des Schweizer Aktienmarktes begünstigen.»

Für den Moment will Daniel Hartmann, Chefökonom bei Bantleon, eine Fortsetzung der Rally an den globalen Aktienmärkten für die nächsten Wochen nicht ausschliessen. So gefragt die zyklischen Aktien wie ABB, Kühne + Nagel, Sonova und Richemont waren und die Nase in der jüngsten Vergangenheit vorne hatten, so überwiegen nun die mittelfristigen Risiken, weil das Sentiment unter den Anlegern schon jetzt sehr euphorisch ist. 

Die Konjunktur in den USA kühlt sich ab, das Expansionstempo verlangsamt sich und die Liquiditätsschwemme der letzten Jahre verliert an Kraft. Deshalb ist jetzt kaum der richtige Zeitpunkt, um auf mittlere Sicht nachhaltigen Rückenwind für Nachzügler wie zyklische Werte oder Small Caps zu erwarten, so Hartmann. «Aus unserer Sicht sollte der Anleger kurzfristig auf Sicht fahren und sich mittelfristig tendenziell eher defensiv positionieren.».   

ETF-Engagement reduziert Risiko bei unsicherer Perspektive

Unter den Schwergewichten im SMI drängt sich als defensives Investment Novartis wegen des zuverlässigen Wachstums auf, während Nestlé und Roche wegen der tiefen Bewertung 'nur' grundsätzlich Potenzial haben. Es ist weiterhin offen, ob die Kurstiefpunkte bei den beiden Valoren noch vor uns liegen. 

Definitiv eine Überlegung wert ist Lonza: Der am Freitag publizierte Abschluss für 2023 hat wider Erwarten überzeugt und mittelfristig profitiert das Unternehmen als Zulieferer der Pharmabranche vom Megathema Gesundheit. Gegenüber dem Allzeithoch im September 2021 von 784,40 Franken stehen die Valoren immer noch 46 Prozent tiefer, auch wenn die Volatilität im Titel hoch bleiben dürfte. 

Als alternative Variante bietet sich ein ETF auf Schweizer Aktien wie zum Beispiel der UBS ETF SMI an, da darin auch die Versicherungsvaloren Swiss Life, Swiss Re und Zurich Insurance mit ihren starken Dividendenrenditen vertreten sind. So erübrigt sich die Titelwahl und das Risiko wird minimiert, mit einem einzigen Titel auf das falsche Pferd zu setzen. Die gesamthafte defensive Ausrichtung mit Fokus SMI könnte sich 2024 auszahlen.

Kursperformance SPI-Titel über drei Monate (25.01.2024)

Kursperformance SPI-Titel über drei Monate.

Quelle: Bloomberg

Im breiteren Swiss Performance Index (SPI) stechen neben den konstant volatilen Biotech-Aktien DocMorris mit einem Plus von 107 Prozent hervor, nachdem das E-Rezept in Deutschland zu Jahresbeginn eingeführt wurde. Trotz diesem fulminanten Zwischenspurt steht der Titel im Vergleich zu vor zwei Jahren aber immer noch 60 Prozent im Minus, und die Analysten sind sich uneinig, ob die Rally weitergeht. Das tiefste Kursziel liegt gemäss Daten der Nachrichtenagentur Bloomberg bei 47 Franken, das höchste bei 105 Franken.

Mit Comet (+59 Prozent) und Inficon (+36 Prozent) schaffen es zwei wachstumsstarke Halbleiter-Zulieferer unter die Top 10 der SPI-Performer. Gemäss von Rotberg von J. Safra Sarasin dürften die strukturellen Stories im Halbleiterbereich weiter tragen. 

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Meyer Burger (-43 Prozent). Während bei DocMorris der Turnaround in greifbare Nähe rückt, kann dies bei Meyer Burger trotz dem jüngsten Eingrenzen der Kursverluste vorerst nicht behauptet werden. Die Anlegergemeinde blickt gespannt, ob es der deutschen Regierung gelingt, ein Unterstützungsprogramm für die in Deutschland tätigen Solarpanel-Hersteller auf die Beine zu stellen.

Bei Ascom (-20 Prozent) sind die Gründe für den Kursrückgang hausgemacht. Das auf spitalinterne Kommunikation spezialisierte Technologieunternehmen wartete Anfang Dezember mit einer Gewinnwarnung auf und senkte für das Gesamtjahr die Erwartung zur Umsatzentwicklung. Bei Hochdorf zeigt sich, wie harzig eine Sanierung des Unternehmens selbst bei sinkenden Refinanzierungskosten dank der tieferen Zinsen verlaufen kann, wenn es operativ weiterhin nicht läuft. 

Thomas Daniel Marti
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