In einer idealen Welt würde eine Regierung die beiden am Dienstag geplanten Wirtschaftsgipfel dem Rest der Welt als sinnvolle Ergänzung verkaufen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) will sich im Kanzleramt um die besonderen Nöte der Industrie kümmern; Finanzminister Christian Lindner (FDP) will zusammen mit seiner Fraktion mit dem Mittelstand sprechen. «Gut, dass Kanzler und Finanzminister die Leerstelle in der Wirtschaftspolitik dieser Regierung füllen wollen», versucht die Präsidentin des Familienunternehmer-Verbandes, Marie-Christine Ostermann, deshalb gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters der Tandemveranstaltung eine positive Note abzuringen. Der «Drei-Viertel-Gipfel» mit dem Mittelstand sei nur die logische Ergänzung des «Ein-Viertel-Gipfels» im Kanzleramt, fügt sie mit Blick darauf hinzu, dass die Industrie nur 25 Prozent der deutschen Wertschöpfung ausmache.

Allerdings ist die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP alles andere als eine ideale Welt. Deshalb hat die Regierung es geschafft, mit den Einladungen zu den Wirtschafts-Gipfel eine neue Koalitionskrise heraufzubeschwören. Der Kanzler lud ohne Abstimmung mit Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zum Auftakt einer Serie vertraulicher Treffen mit Wirtschaftsvertretern ins Kanzleramt ein. Öffentlichkeitswirksam sammelte eine verschnupfte FDP danach ebenfalls verschnupfte Verbände ein, die im Kanzleramt nicht eingeladen sind. Nebenbei legte der eigentlich mitzuständige Wirtschaftsminister ein Konzept vor, wie er die Wirtschaft mit einem Investitionsfonds und steuerlichen Abschreibungen aus der Krise holen will. «Am Ende bleibt Verärgerung, dass sich ein Jahr vor den Wahlen nicht einmal das Kern-Trio der Ampel sauber abspricht», ärgert sich ein Regierungsvertreter über die unabgestimmte Kommunikation von SPD, Grünen und FDP, die ein Dauerproblem dieser Ampel-Regierung zu sein scheint.

Kopfschüttelnd wird bei anderen Regierungsvertretern registriert, dass durch den Streit des Ampel-Trios wieder einmal Positivnachrichten verdeckt wurden: Dabei deutete am Freitag ein überraschend positiver Ifo-Index erstmals das Ende des Sinkfluges der deutschen Wirtschaft an. Und die gebeutelte deutsche Baubranche verzeichnete im August den kräftigsten Auftragszuwachs seit mehr als zweieinhalb Jahren. Doch ein sichtlich verärgerter Finanzminister Lindner kritisiert öffentlich, dass die Ampel-Regierung für 50 Prozent der Zurückhaltung bei Firmen und Verbrauchern mit «politisch gemachter Unsicherheit» verantwortlich sei.

Was können die Gipfel bringen?

Dabei sind sich Scholz, Lindner und Habeck mittlerweile einig, dass etwas gegen die lahmende Konjunktur getan werden muss. Anfang des Jahres hatten sich der FDP- und der Grünen-Politiker noch gemeinsam geärgert, dass der Kanzler alles schönrede. Nun ist der von Scholz immer wieder beschworene Aufschwung aber nicht gekommen, weshalb der SPD-Politiker unter massiven Druck seiner Partei und der SPD-Bundestagsfraktion gerät. Gemeinsam sieht das Trio die Dringlichkeit, dass die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft so nicht bleiben können - und der bisher geplante 49-Punkte-Wirtschaftspakt mit Reformschritten nicht ausreicht.

Mit der Einladung ins Kanzleramt gibt Scholz dabei einer Forderung von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nach, der eine erneute «konzertierte Aktion» mit Industrie und Gewerkschaften gefordert hat. Mit dem Vorschlag nach einem Bundeszuschuss zur Deckelung der Netzentgelte vor zehn Tagen schliesst der Kanzler die Kluft zur SPD, die seit Monaten vergeblich forderte, dass er in der Ampel einen Industriestrompreis durchsetzen solle.

Das Problem: Zumindest nach Vorstellung von SPD und Grünen kostet die Aufschwung-Ankurbelung mehr Geld und erfordert eine andere Haushaltspolitik - die FDP-Chef Lindner aber ablehnt. Die steuerliche Förderung von Investitionen nach US-Vorbild, die sowohl SPD als auch Grüne jetzt wollen, verschärft den Haushaltsstreit mit Finanzminister Lindner. Und beim Thema Entbürokratisierungen haben Scholz und Habeck zwar weitreichende Vorschläge gemacht. Aber der Kanzler stösst beim versprochenen Abspecken des nationalen Lieferkettensorgfaltsgesetzes auf EU-Niveau noch bis Jahresende auf Widerstand. Und Habeck wurde von seiner eigenen Partei sofort gebremst, als er im Überschwang der Reformfreude die Abschaffung aller Berichtspflichten für Firmen inklusive des Umweltbereiches forderte.

Dabei hatte auch Scholz gemahnt, dass es nur einen Ausweg aus der Krise gebe: «Wir müssen gemeinsam rauskommen aus dieser unguten Lage, in der schlechte Zahlen zu schlechter Stimmung führen – und schlechte Stimmung zu noch mehr schlechten Zahlen», mahnte er beim Arbeitgebertag und forderte den Schulterschluss von Politik und Wirtschaft. Tatsächlich bekam der Kanzler neben Kritik auch Lob von Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, dass die Regierung offensichtlich nun die Nöte der Wirtschaft besser verstehe.

Aber dann folgte der nächste Frontalangriff des Koalitionspartners FDP: «Die Finanzpolitik kann nicht reparieren, was die Wirtschaftspolitik versäumt», wies Lindner Forderungen nach mehr Geld zurück. «Deshalb brauchen wir jetzt eine andere Wirtschaftspolitik.» Seinem Koalitionspartner Habeck warf er gleich noch «konzeptionelle Hilflosigkeit» vor. Der Doppel-Gipfel am Dienstag droht deshalb eher zu einem neuen Gegeneinander als zum neuen Schulterschluss der Ampel-Spitzen zu führen.

(Reuters)