Die Berichtssaison in der Schweiz für das erste Halbjahr neigt sich dem Ende zu. Die Zahlen sind recht gut ausgefallen, trotzdem kommt der SMI kaum vom Fleck. Woran liegt das?
Stefan Meyer: Insgesamt fielen die Resultate robust aus. Dabei müssen wir aber berücksichtigen, dass im Vorfeld mehr Gewinnwarnungen als im Vorjahr ausgesprochen wurden. Insofern hat es leicht mehr positive als negative Überraschungen mit etwas grösseren Abweichungen als in der Vergangenheit gegeben. Uns ist aufgefallen, dass primär die Umsatzentwicklung gut ausfiel und die Margen sich besser als befürchtet gehalten haben.
Worauf ist das zurückzuführen?
Generell hat geholfen, dass die Lieferkettenengpässe teilweise behoben wurden. Das hat einerseits zu weniger Kosten geführt. Andererseits konnte dank der vorhandenen Teile nun wie geplant produziert werden. Dadurch sind auch die Logistik- und Transportkosten gesunken. Das ist eine Erleichterung.
Viele Firmen erwähnen negative Währungseinflüsse. Lässt sich dieser Effekt quantifizieren?
In Lokalwährung können sich die Halbjahresabschlüsse sehen lassen, auch wenn die Wechselkursverluste in Franken betrachtet höher als erwartet ausfielen. Der Wechselkurseinfluss ist relativ schwierig zu prognostizieren, weil nicht alle Umsätze und Kosten den Währungen zugeordnet werden können. Insofern wird der Impact eher unterschätzt, obwohl er gerade in der Schweiz besonders wichtig ist. Die grossen Unternehmen im SMI erzielen mehr als 90 Prozent ihres Gewinns im Ausland. Diese Währungsverluste dürften entsprechend in den nächsten Quartalen relativ hoch bleiben und es scheint, dass noch nicht alles eingepreist ist.
Spricht das für eine Seitwärtsbewegung im SMI?
Diese Währungseinflüsse sind schon ein Dämpfer respektive reduzieren das Potenzial gegen oben. Allerdings müssen wir klar festhalten, dass sich die Schweizer Börse im Vergleich zum Ausland währungsbereinigt sehr gut entwickelt hat. Dies, weil der Währungseinfluss auf die Marge relativ gering ist. Die Marktposition der Firmen wird durch den Wechselkurs nicht verändert. Einer der Gründe dafür ist, dass ein Grossteil der im Ausland verkauften Güter auch im Ausland produziert werden.
Mit der hohen Teuerung haben die Firmen ihre Preise zum Teil deutlich angehoben. Jetzt sinkt die Inflation. Drückt das auf den Umsatz und die Gewinne der Schweizer Unternehmen?
Das ist ganz klar ein Risiko mit Blick nach vorne, weil sich die Firmen bisher sehr gut geschlagen haben und die Kostenerhöhungen an die Kunden weitergaben. Deshalb hat sich auch das Volumenwachstum zum Teil deutlich abgeschwächt oder ist gar negativ ausgefallen. In der Tendenz sinken nun nach den Preiserhöhungen die Absatzvolumen und der Wettbewerb unter den Firmen zu, so dass dies einen negativen Einfluss auf die Marge und somit die Gewinne haben könnte. Das Kostenmanagement und die Komponenten- und Logistikkosten dürften auf der anderen Seite eine Entlastung bringen.
Müssen Anlegerinnen und Anleger in so einem Umfeld sehr selektiv vorgehen oder können diese weiterhin auf den Gesamtindex setzen?
Das konjunkturelle Umfeld ist auf jeden Fall schwieriger geworden. Es ist aber auch sehr heterogen. Das kann zu gegenläufigen Trends an der Börse führen in Anbetracht der relativ vielen, potenziellen Risiken. Wichtig ist, eine ausgewogene Auswahl an Unternehmen zu treffen und gut diversifiziert zu bleiben. Selektiv sollten Anlegerinnen und Anleger versuchen, Aktien von Unternehmen zu bevorzugen, die bessere Chancen bieten oder in einem gut laufenden Bereich tätig sind. Die selektive Aktienauswahl bleibt sehr wichtig.
Welche Trends funktionieren im Moment?
Im Moment kristallisieren sich verschiedene Themen heraus. Ein Thema sind etwa die Covid-Pandemie-Gewinner und -Verlierer. Nachdem das Thema für die Finanzmärkte erledigt ist, zeigt sich jetzt eine Gegenbewegung. Der Tourismus ist so ein Bereich, der jetzt trotz sich abschwächender Wirtschaft aufholt. Es wird international mehr gereist. Davon profitiert zum Beispiel der Flughafen Zürich.
Auf Unternehmensebene dürfte noch viel mehr Bewegung sein als bei den Trends.
Absolut. Gerade Firmen, welche in den letzten Jahren eher gelitten und jüngst die Hausaufgaben gemacht haben, sind gut positioniert, um dank operativer Verbesserungen eine Aufholjagd zu starten. Ebenso gibt es Unternehmen wie Alcon, welche nun die Früchte aus der Investitionstätigkeit der letzten Jahre ernten können.
Was hat Alcon richtig gemacht?
Nach der Abspaltung von Novartis hat das Unternehmen massiv in die Forschung und Entwicklung investiert. Jetzt kommen diese neuen Produkte auf den Markt und das Unternehmen gewinnt damit stetig Marktanteile. Dies wird die Firma auch in den kommenden Quartalen weiter stärken.
Ein Unternehmen, dessen Aktien letztes Jahr an der Börse abgestraft wurden, ist Logitech. Wie schwierig ist es für Logitech, wieder in die normale Wachstumsphase zurückzukehren?
Ich würde das eher als zeitintensiv bezeichnen. Während der Corona-Zeit musste sich Logitech auf eine Überhitzung einstellen und so gut wie möglich liefern. Das ist auch gelungen. Jetzt besteht die Herausforderung darin, die aktuelle Durststrecke zu überwinden. Das benötigt einfach Zeit, weil ganz andere Fragen wie Kostenreduktion im Vordergrund stehen. Andererseits darf das Unternehmen die langfristigen Investitionen in die Innovation nicht vernachlässigen. Für Logitech ist es eine anspruchsvolle Aufgabe und auch eine aufreibende Zeit. Das trifft aber nicht nur für Logitech, sondern auch auf alle anderen Pandemie-Gewinner wie Kühne+Nagel zu.
Sonova hat während der Pandemie wegen Lieferengpässen Einbussen erlebt. Mit dem Nachholeffekt ging es mit den Aktien 2022 hoch, seit Anfang Jahr 2023 wieder bergab. Wieso?
Der Hörgerätehersteller ist ein speziellerer Fall. Einige nicht von Covid profitierende Gesundheitsbereiche hatten während der Pandemie enorme Einschränkungen zu kämpfen, besonders mit Mobilitätsrestriktionen und Spitalkapazitäten. Dann kam 2021 und 2022 eine relativ robuste Erholung. Jetzt sind wir in einer Phase der Konjunkturabschwächung, welche den konsumnahen Medtech-Titeln zusetzt, da die Nachfrage nach diesen Produkten nachlässt.
Interessant ist, dass Versicherungsaktien wie Zurich im Vergleich zu den Bankaktien trotz steigender Zinsen nicht wirklich zulegen können. Weshalb?
Höhere kurzfristige Zinsen helfen den Banken, während die Versicherungen mehr von höheren, langlaufenden Zinsen profitieren. Versicherungen investieren deutlich mehr in längere laufende Obligationen. Diese höheren Renditen helfen Versicherungen wie der Zurich mittelfristig im Lebengeschäft und bei der Anlagerendite. Dem entgegen wirkt allerdings die wegen der steigenden Inflation höher ausfallenden Kosten für Schadensfälle, welche nicht sofort durch höhere Prämien ausgeglichen werden können. In vielen Fällen wird die Prämie nur einmal pro Jahr angepasst. Zudem kriegen die Dividendentitel wie Zurich durch die attraktiver werdenden Obligationenrenditen zunehmend Konkurrenz. Auf mittlere Frist ist der Trend bei den Versicherungsvaloren aber freundlich.
Das würde heissen, dass Versicherungsaktien bei stärkeren Kurskorrekturen auf längere Frist hinzugekauft werden können?
Ja, auf jeden Fall. Und die Versicherungsaktien, die man bereits hält, sollte man im Depot belassen.