Seit Ende März wird der Genfer Warenprüfkonzern SGS von einer Frau geführt. Géraldine Picaud, die frühere Finanzchefin des Zementkonzerns Holcim, trat damals die Nachfolge von Frankie Ng an. Der Markt schien die Änderung gutzuheissen, da die alten und wohl auch überholten Strukturen bei SGS für viele Investoren ein Dorn im Auge waren. Die Aktie hat seit Jahresbeginn in einer nicht stetigen Bewegung rund 20 Prozent gewonnen. Der seit Ende 2021 bestehende Abwärtstrend scheint gebrochen.
Kursentwicklung der SGS-Aktien.
«Der Hauptgrund für die gute Performance der Aktie ist sicherlich der Managementwechsel rund um die neue CEO Géraldine Picaud», sagt Fondsmanager Patrik Jäger von der Vermögensverwaltungsboutique IFS gegenüber cash.ch. Zwar haben auch die positiven Quartalszahlen geholfen, aber es seien primär die strategischen Pläne von Frau Picaud, die dem Markt gefallen.
SGS ist ein weltweit führendes Unternehmen in der Prüf-, Inspektions- und Zertifizierungsbranche (TIC). Das Unternehmen wurde schon im Jahr 1878 gegründet und nahm 1919 den Namen Société Générale de Surveillance (SGS) an. Der Hauptsitz des Unternehmens befindet sich in Genf. SGS ging 1981 an die Börse. Das Unternehmen ist weltweit mit 2650 Laboratorien und Büros sowie 97'000 Experten in 116 Ländern vertreten.
«Wir glauben, dass das Unternehmen in der Lage sein wird, die angestrebte Umsatzwachstumsrate im mittleren einstelligen Bereich auf organischer Basis zu erreichen, unterstützt durch steigende regulatorische Anforderungen, einen wachsenden Anteil an ausgelagerten TIC-Dienstleistungen und eine Konzentration auf wachstumsstärkere Marktsegmente», schreibt Alexander Burgansky, Analyst bei Research Partners, in einem Bericht von Ende Oktober. Gleichzeitig stellten die jüngsten erheblichen Veränderungen in der Unternehmensführung, der Mangel an Details zur neuen Strategie und die begrenzte Kontinuität mit der vorherigen Strategie zusätzliche Risiken für unsere kurzfristigen Finanzschätzungen dar.
Research Partners hat ein 12-Monats-Kursziel von 93,80 Franken und das «Hold»-Rating nach den Quartalszahlen bestätigt. SGS wird dabei auf der Grundlage der Modell-Schätzungen für 2024 und 2025 mit einem KGV-Multiplikator von 26 beziehungsweise 25 bewertet, was einem um Einmaleffekte bereinigten Mittelwert von 25 über die letzten 11 Jahre entspricht. Mit der «Hold»-Empfehlung ist das Analysehaus in guter Gesellschaft: Laut Bloomberg-Daten stehen fünf «Buys», 13 «Holds» und fünf «Sells» gegenüber - das durchschnittliche Kursziel liegt bei 92 Franken.
SGS berichtet vierteljährlich über die Umsatzerlöseund halbjährlich über die Finanzergebnisse. Am 25. Oktober meldete SGS für das dritte Quartal 2024 einen Umsatz von 1,699 Milliarden Franken, was einer Steigerung von 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert entspricht. Dies spiegelt ein organisches Wachstum von 7,3 Prozent wider, trotz eines negativen Währungseffekts von 3,5 Prozent. Das organische Wachstum wurde durch die überdurchschnittliche Leistung der Geschäftsbereiche Connectivity & Products (+8,4 Prozent) und Health & Nutrition (+8,2 Prozent) getragen, während langsameres Wachstum in den Bereichen Industries & Environment (+7,0 Prozent), Natural Resources (+6,9 Prozent) und Business Assurance (+5,9 Prozent) verzeichnet wurde.
Buy & Build-Ansatz hat für SGS Potenzial
Zwar wird der Mangel an Details zur neuen Strategie noch kritisiert, doch das, was bekannt ist, stimmt zuversichtlich: So plant das Unternehmen ein organisches Wachstum von 5 bis 7 Prozent pro Jahr und eine Verbesserung der Marge um 150 Basispunkte bis 2027. Zudem soll ein systematischer Buy & Build-Ansatz umgesetzt werden, M&A wird in Zukunft eine zentrale Rolle spielen. «Dies macht Sinn, denn bei einer Grösse des globalen Testing/Inspection/Certification (TIC)-Marktes von 160 Milliarden Dollar hat SGS mit einem Umsatz von 7,5 Milliarden Dollar einen Marktanteil von gerade mal 4,7 Prozent – es gibt also viel Potenzial für weitere Konsolidierung. Das entsprechende Know-how bringt Géraldine Picaud von EssilorLuxottica und Holcim mit, zwei Firmen, die den Buy & Build-Ansatz in der Vergangenheit sehr erfolgreich umgesetzt haben,» schätzt Jäger.
Auch Research Partners glaubt, dass die Erhöhung der staatlichen, regulatorischen, unternehmens- und verbraucherbezogenen Standards das Wachstum im TIC-Sektor weiter vorantreiben wird. «Wir gehen davon aus, dass unabhängige Anbieter wie SGS weiterhin von einem wachsenden Anteil an Outsourcing, einer Konzentration auf schneller wachsende Marktsegmente (wie beispielsweise Zertifizierungen, Konnektivität und Gesundheit & Ernährung) und einer weitgehend nicht-diskretionären Nachfrage aufgrund verbindlicher Prüfanforderungen profitieren werden, was zu loyalen Kunden und einer geringeren Umsatzvolatilität im Vergleich zu anderen Dienstleistungssektoren führt,» so Burgansky in der Studie.
Aktuell ist es vor allem die Bilanz, die die Restriktionen bezüglich Wachstums vorgibt. Aufgrund der hohen Dividenden sowie der Aktienrückkäufe ist die Verschuldung auf das Doppelte des Nettoschulden/EBITDA-Verhältnisses angestiegen, was den Spielraum für M&A etwas einschränkt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die operative Marge - diese ist so tief wie seit dem Jahr 2003 nicht mehr. «SGS hat hier in der Vergangenheit deutlich an Boden gegenüber den Hauptkonkurrenten Intertek und Bureau Veritas verloren. Um den Anschluss an die Konkurrenz nicht zu verpassen, ist die angestrebte Margenverbesserung also ein Muss,» so Jäger.
Insbesondere das in Paris ansässige Unternehmen Bureau Veritas hat mit seiner Aktienperformance die Konkurrenz hinter sich gelassen: plus 24 Prozent seit Jahresbeginn und plus 23 Prozent über einen Zeitraum von fünf Jahren.
Kursentwicklung der Aktien von Bureau Veritas.
Kapitalmarkttag als Katalysator
Der nächste mögliche Katalysator steht auf jeden Fall schon an: SGS wird am Dienstag, den 19. November, einen Kapitalmarkttag in Antwerpen abhalten, bei dem das Management seine Vision für das Unternehmen präzisieren wird. «Gut möglich, dass der Anlass das Interesse der Investoren nochmals erhöhen wird. Gelingt der Buy & Build-Ansatz, wird SGS in den nächsten Jahren durch Ergänzungsakquisitionen solide wachsen», meint Jäger.
Die Dividende des Unternehmens für 2023 in Höhe von 3,20 Franken pro Aktie (unverändert gegenüber dem Vorjahr und als Wahldividende angeboten) impliziert eine Ausschüttungsquote von 107 Prozent. Das Unternehmen hat erklärt, dass es seine Dividende in absoluten Zahlen bei 3,20 Franken pro Aktie (was einer aktuellen Rendite von 3,4 Prozent entspricht) für die Dauer der aktuellen Strategieperiode, bis 2027, beibehalten will. Research Partners schätzt, dass die effektive Ausschüttungsquote bis dahin auf 75 Prozent gesunken sein könnte, was unserer Meinung nach die Grundlage für eine Wiederaufnahme des Dividendenwachstums bilden könnte.
Die Hauptaktionärin, die Groupe Bruxelles Lambert (GBL), schätzt die hohe Bardividende, was sich jedoch etwas mit der geplanten Wachstumsstrategie beissen könnte. Dieses Thema wurde bislang elegant gelöst, indem eine Wahldividende angeboten wurde: Wer die Dividende in bar braucht, kann diese entsprechend beziehen, während diejenigen, die an die Firma glauben, Aktien erhalten können.
«Fast 65 Prozent der Aktionäre haben 2024 die Aktiendividende gewählt, was zeigt, dass die Mehrheit der Aktionäre eine Wachstumsstrategie befürwortet. Obwohl die GBL nur zwei Verwaltungsräte stellt, ist es für Géraldine Picaud sicher wichtig, den Rückhalt der Aktionäre zu haben. Bislang scheint dies voll und ganz der Fall zu sein», sagt Jäger.
SGS befindet sich auf einer Reise, um zu einer besseren Wachstumsdynamik zurückzufinden und den Margenrückgang umzukehren. Der Fortschritt wird jedoch nicht linear verlaufen. Immerhin ist das organische Wachstum nach wie vor intakt. Mit dem diesjährigen Kursanstieg hat die Aktie viele der Erwartungen in Bezug auf Margenverbesserungen und organische Erholung bereits eingepreist. Wenn diese hohen Erwartungen nicht vollständig erfüllt werden und eine klarere strategische Kommunikation ausbleibt, könnte ein Rückschlag folgen.
Simona Sarli, Analystin der Bank of America, sieht positive Impulse vom Kapitalmarkttag und glaubt, dass SGS am Beginn eines mehrjährigen Turnarounds steht, der das Potenzial hat, die Erträge bis 2027 mit einem jährlichen EPS-Wachstum (Wachstum des Gewinns/Aktie) von 8,5 Prozent zu steigern. «Die neue CEO hat eine erfolgreiche Bilanz bei Turnarounds, und da wir glauben, dass die Probleme von SGS kostenbedingt sind, sind wir von der Strategie 2027 überzeugt und sehen Aufwärtspotenzial für die Ziele von SGS.»